ehler  Los Angeles (UPI) — Bei einem dreisten Raubüberfall am hellichten Tag wurden Samuel Stuka, 53, und seine Frau Myra, 47, die Besitzer des Spirituosengeschäfts «Golden Liquors», 4126 South Figueroa Street, heute vormittag um zehn Uhr von einem großen Mann mit grauem Cowboyhut mit einer Schrotflinte niedergeschossen und tödlich verwundet, so Detective Hans Waggoner, University Station, der die Untersuchungen leitet. «Es gab einen Augenzeugen», teilte Waggoner der Presse mit, «und wir verfolgen gegenwärtig mehrere Spuren. Der Mann war allein und fuhr in einem roten Fahrzeug davon, entweder in einem Camaro oder in einem zweitürigen Nissan mit Heckspoiler.»

Der Augenzeuge, dessen Name nicht genannt wurde, hörte nach Angaben des Detectives die beiden Schüsse und ging hinter einer Hecke neben dem Geschäft in Deckung. Er sah, wie der Mörder seinen Wagen bestieg und davonfuhr, konnte jedoch das Kennzeichen nicht feststellen.

«Das Vorgehen des Täters ist uns vertraut», sagte Waggoner, «und wir haben ein paar gute Hinweise.» Weitere Ausführungen machte er angesichts der laufenden Ermittlungen nicht. Mrs. Robert L. Prentiss, die Tochter des Ehepaares, die mit ihrem Gatten und ihren beiden Kindern Bobby, 4, und Jocelyn, 2, in Covina wohnt, gab an, ihr Vater habe das Geschäft vor drei Monaten erworben, nachdem er aus Glen Ellyn, Ill., nach Los Angeles gezogen sei, um möglichst nah bei seinen Enkelkindern zu sein.

«Er war halb pensioniert», erklärte sie, «aber er brauchte etwas, wohin er täglich gehen konnte. Deshalb hat er den Laden gekauft. Meine Mutter half ihm nur vorübergehend aus...» Mit diesen Worten brach Mrs. Prentiss zusammen und konnte nicht weitersprechen.

Der Raubüberfall auf «Golden Liquors» warder dritte Überfall auf eine Spirituosenhandlung in dieser Woche im südwestlichen L. A., aber Mr. und Mrs. Stuka seien die ersten Geschäftsinhaber gewesen, die ermordet wurden, sagte Waggoner. Eine Schrotflinte sei auch bei den beiden anderen Überfällen verwendet worden.

«Mr. Stuka hat wahrscheinlich auf irgendeine Weise Widerstand leisten wollen», meinte Detective Waggoner. «Das ist ein Fehler, wenn der Räuber ein abgesägtes Gewehr hat.» - Charles Willeford, Seitenhieb. Reinbek bei Hamburg 1996

Fehler (2) Ihr habt inzwischen bemerkt, daß der Evolution weder an euch speziell noch an sonstigen Wesen gelegen war, denn ihr ging es nicht um irgendwelche Lebewesen, sondern um den berüchtigten Code. Der Code der Vererbung ist eine immer wieder von neuem artikulierte Nachricht, und allein diese Nachricht zählt in der Evolution - ja, eigentlich ist der Code mit der Evolution identisch. Der Code ist mit der periodischen Produktion von Organismen beschäftigt, denn ohne ihre rhythmische Unterstützung würde er unter den unaufhörlichen Brownschen Attacken der unbelebten Materie zerfallen. Er ist also eine sich selbst erneuernde, weil zur Selbstwiederholung fähige Ordnung, die vom thermischen Chaos belagert wird. Woher kommt seine seltsam heroische Haltung? Sie kommt daher, daß er aufgrund des Zusammentreffens günstiger Bedingungen gerade dort entstand, wo dieses thermische Chaos unnachgiebig darauf hin arbeitet, jegliche Ordnung zu zerfetzen. Gerade dort ist er entstanden, und folglich muß er sich dort auch behaupten; er kann diesem stürmischen Gebiet ebensowenig entfliehen, wie die Seele sich vom Körper lösen kann.

Die lokalen Bedingungen, unter denen er entstand, haben ihm dieses Schicksal auferlegt. Gegen sie mußte er sich panzern, und das tat er, indem er sich mit lebenden Körpern umgab, die für ihn allerdings nur eine ständig dahinsterbende Stafette bilden. Denn kaum, daß er ein Mikrosystem bis zur Größe eines Makrosystems ausgebaut hat, beginnt es schon zu verderben, und schließlich geht es zugrunde. Diese Tragikomödie hat sich wahrlich niemand ausgedacht - sie selbst hat sich zu diesem ständigen Gezerre verurteilt. Die Tatsachen, die beweisen, daß es so ist, wie ich sage, kennt ihr - seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden sie für euch zusammengetragen -, aber euer Denken, das sich insgeheim von hochfahrenden anthropozentrischen Ehrvorstellungen leiten läßt, ist so träge, daß ihr weiterhin bei der stark erschütterten Vorstellung bleibt, das Leben sei das Hauptphänomen und der Code habe nur eine dienende Funktion - als stützendes Band, als Kennwort der Auferstehung, das das Leben von neuem beginnen läßt, wenn es in den Individuen stirbt.

Nach dieser Vorstellung muß sich die Evolution des Todes bedienen, weil sie ohne ihn nicht weitergehen könnte; und sie spart nicht mit ihm, damit die nachfolgenden Gattungen vollkommener werden, denn der Tod ist ihr schöpferisches Korrektiv. Sie ist also ein Autor, der immer vortrefflichere Werke publiziert, wobei die Buchherstellung - also der Code - für sie nur ein unerläßliches Instrument ist. Geht man jedoch nach dem, was eure Biologen, die sich in der molekularen Biophysik recht gut auskennen, neuerdings verkünden, so ist die Evolution weniger ein Autor als vielmehr ein Verleger, der laufend Werke vernichtet, weil er an der Kunst der Buchherstellung Gefallen gefunden hat!

Was ist also wichtiger - die Organismen oder der Code? Die Argumente für den Primat des Code klingen gewichtig, denn während die Organismen in unübersehbarer Zahl entstanden und zugrunde gegangen sind, ist der Code stets derselbe geblieben. Doch das bedeutet nur, daß er sich vollends festgefahren hat - im Bereich der Mikrosysteme, der ihn entstehen ließ und aus dem er, in Gestalt der Organismen, in periodischen Abständen, aber doch vergebens emportaucht; unschwer zu begreifen, daß gerade diese Vergeblichkeit, die Tatsache, daß schon das Entstehen eines Organismus im Keim vom Tode gezeichnet ist, den ganzen Prozeß in Gang hält, denn hätte irgendeine Generation von Organismen - etwa gleich die erste, also die Uramöben - die Fähigkeit erlangt, den Code in vollkommener Weise nachzubilden, dann wäre die Evolution damit beendet gewesen, und die alleinigen Herren des Planeten wären eben jene Amöben, die bis zum schließlichen Erlöschen der Sonne den Code mit unfehlbarer Präzision weitergeben würden; aber dann würde ich nicht in diesem Gebäude zu euch sprechen und ihr würdet mir nicht zuhören, sondern hier würde sich die Savanne ausbreiten, über die der Wind streicht. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main 1986 (st 1266, zuerst 1973, 1981)

Fehler (2) Monsieur le Prince, Fürst Condé, ist der geborene Feldherr; das traf zu allen Zeiten nur auf ihn, Caesar und Spinola zu.

Dem ersten kam er gleich, den zweiten hat er übertroffen. Unerschrockenheit ist noch einer der geringsten seiner Charakterzüge. Von Natur war er mit ebensoviel Geist wie Mut begabt. Diesem ließ das Schicksal, indem er den Mann einem kriegerischen Jahrhundert bescherte, freien Raum; jenem zog die Geburt, oder genauer: die Erziehung in einem dem Kabinett ergebenen, Ja unterwürfigen Hause allzu enge Grenzen. Man hat ihm nicht früh genug die großen und allgemeinen Grundsätze eingeflößt, aus denen sich bildet, was wir Folgerichtigkeit nennen. Sie sich selbst anzueignen, blieb ihm, dem vom Glück Verwöhnten, inmitten unvorhersehbar sich überstürzender Ereignisse keine Zeit. So kam es dazu, daß er, mit dem wenigst bösartigen Herzen der Welt, doch Ungerechtigkeiten verübte; daß er, mit dem Hochsinn eines Alexander, ebensowenig wie jener von Schwäche frei war; daß er, mit dem herrlichsten Verstand, dennoch Unvorsichtigkeiten beging; daß er, begabt mit allen Eigenschaften eines Françcois de Guise, dem Staat bei gewissen Gelegenheiten doch nicht so gut diente, wie es seine Pflicht gewesen wäre; und daß er, jenem Henri aus dem gleichen Hause in allem ebenbürtig, seine Anhänger nicht so weit vortrieb, wie es ihm möglich gewesen wäre. Er vermochte es nicht, seinem eigenen Verdienst gemäß sich durchzusetzen, und das ist ein Fehler; doch ist er selten, ist erlesen.  - (retz)

Fehler (3) Der Maresciallo hob den Arm, lud durch und feuerte. Ein wütender, schmerzerfüllter Aufschrei sagte ihm, daß sein Schuß zwar getroffen, aber nur verwundet hatte. Dann wurde er nach hinten gerissen, und riesige Hände legten sich um seinen Hals. Er versuchte unter Aufbietung seiner ganzen Kraft und seines ganzen Gewichts den Angreifer abzuschütteln, aber er war von Anfang an aus dem Gleichgewicht und wurde nach hinten gedrängt, bis seine Beine an etwas Festes stießen, wie er wußte eine der großen Wannen mit Ton. Er hielt immer noch die Beretta fest und schlug nun damit um sich, feuerte noch einmal und hörte das Geschoß von etwas Metallischem abprallen. Der Griff um seinen Hals wurde unerbittlich, und ihm war klar, daß er bald das Bewußtsein verlieren wurde. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung gelang es ihm, ein Knie hochzuziehen und zuzustoßen. Mitten in der Bewegung wurde ihm bewußt, daß er damit einen Fehler begangen hatte, und wahrscheinlich seinen letzten, denn so geriet er nur noch mehr aus dem Gleichgewicht und fiel rückwärts in die Wanne, wo ihm das Wasser in die Ohren klatschte, daß sie sangen. Seine Augen waren noch offen, aber er verlor langsam den Sinn für die Realität und war nicht sicher, ob er die glitzernden Äuglein dicht an seinem Gesicht wirklich sah oder sie sich nur einbildete. Dann tauchte sein Kopf ganz nach hinten ins Wasser und in den schleimigen Ton darunter. Durch das Brausen und Blubbern drang ihm ein erstickter Schrei ans Ohr, und in seinem letzten bewußten Augenblick war er noch klar genug, um zu überlegen, ob es wohl sein eigener gewesen war. - Magdalen Nabb, Tod in Florenz. Zürich 1992 (zuerst 1987)

Fehler (4)  Die Erde war ursprünglich sehr heiß und ohne Atmosphäre. Im Laufe der Zeit kühlte sie ab und erhielt durch die Gasemissionen des Gesteins eine Atmosphäre. In dieser frühen Atmosphäre hätten wir nicht leben können. Sie enthielt keinen Sauerstoff, sondern viele Gase, die für uns giftig sind, zum Beispiel Schwefelwasserstoff (das Gas, dem verdorbene Eier ihren unangenehmen Geruch verdanken). Es gibt jedoch primitive Formen des Lebens, die unter solchen Bedingungen existieren können. Man nimmt an, daß sie sich im Meer entwickelt haben, möglicherweise dank Zufallsverbindungen von Atomen zu größeren Strukturen, sogenannten Makromolekülen, die in der Lage waren, andere Atome im Meer zu ähnlichen Strukturen zusammenzusetzen. Auf diese Art könnten sie sich reproduziert und vermehrt haben. In einigen Fällen wird es zu Reproduktionsfehlern gekommen sein. Die meisten Fehler dürften dazu geführt haben, daß sich die neuen Makromoleküle nicht mehr reproduzieren konnten und schließlich verschwanden. Doch einige wenige Fehler haben vermutlich neue Makromoleküle hervorgebracht, die zu noch besserer Reproduktion fähig waren. Sie waren deshalb im Vorteil und haben allmählich die ursprünglichen Makromoleküle ersetzt. Auf diese Weise wurde ein Evolutionsprozeß eingeleitet, der zur Entwicklung immer komplizierterer reproduktionsfähiger Organismen führte. Die ersten primitiven Lebensformen haben verschiedene Stoffe aufgenommen, unter anderem Schwefelwasserstoff, und Sauerstoff freigesetzt. Dieser Austausch veränderte die Atmosphäre allmählich, bis sie die Zusammensetzung annahm, die wir heute vorfinden und die die Entwicklung höherer Lebensformen wie die der Fische, Reptilien, Säugetiere und schließlich des Menschen ermöglichte. -  Stephen Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit. Reinbek bei Hamburg 1991 (zuerst 1988)

Fehler (5)   Von der anderen Seite des Tisches warnte die rote Marie: «Reiz ihn nicht, Johnny.»

«Ich reiz ihn nicht, und ich lasse mich auch von keinem reizen. Ich habe ihm gesagt, daß ich keinen Pinky kenne, und er kann mich ...»

Er kam nicht dazu, zu sagen, was Coffin Ed ihn konnte. Eine Seite von Coffin Eds Gesicht verkrampfte sich, während er mit der rechten Hand blitzschnell nach seiner Hüfte griff. Der rote Johnny reagierte instinktiv. Er riß den Kopf hoch, folgte mit den Augen der Bewegung von Coffin Eds Hand. Sein linker Fuß stemmte sich gegen den Fußboden, sein linker Arm flog nach oben, um den Schlag abzuwehren. Die Bewegung von Coffin Eds Hand nahm er überhaupt nicht wahr, die mit Grave Diggers Revolver nach vorn fuhr und ihm mit dem Lauf einen Rückhandschlag quer über die schlaffen Lippen versetzte.

Dem roten Johnny wurden sämtliche Vorderzähne in den Mund geschlagen; zwei der unteren spritzten wie röstender Puffmais aus seinem Mund. Er stürzte mit seinem Stuhl hintenüber. Mit einem dumpfen Schlag traf sein Hinterkopf auf das Linoleum, gleichzeitig flogen seine Füße nach oben, stießen von unten gegen die Tischplatte, daß die Whiskeyflasche sechs Zoll hoch in die Luft sprang und im Fallen das Glas zertrümmerte.

Der unerwartete, ohrenbetäubende Lärm erschreckte den Hund. Er sprang über den Kopf des roten Johnny hinweg auf die innere Tür zu. Der rote Johnny glaubte, der Hund wolle ihm an die Kehle, und versuchte zu schreien. Aber er brachte keinen Laut hervor, sondern spuckte nur Blut und eingeschlagene Zähne.

Coffin Ed bemerkte es nicht. Er fuhr herum, und seine Linke landete in Maries Magen. Sie japste nach Luft und erstarrte mitten in der Bewegung. Die rechte Hand vor sich erhoben, den linken Arm nach hinten ausgestreckt, den schweren, schlaffen, fetten Körper auf dem Ballen des rechten Fußes lagernd, wirkte sie wie die Karikatur einer Primaballerina bei einem Pas aus Schwanensee.

Aber niemand fand das komisch. Ihr Gesicht war von Schrecken verzerrt, denn Coffin Ed sah wie ein mordsüchtiger Wahnsinniger aus.

Der Stuhl scharrte auf dem Boden, als der rote Johnny sich herumwälzte, sich mit beiden Händen an die Kehle griff und würgende Töne von sich gab.

Coffin Eds Kopf wurde von einem einzigen großen, rotflammenden Schmerz angefüllt, durch den alle Geräusche nur wie entfernte Verwünschungen hindurchdrangen. Von irgendwo kam ihm der Verdacht, daß der rote Johnny versuchte, eine Waffe zu ziehen. Er fuhr wieder herum und versetzte ihm einen Tritt gegen den Kiefer.

Der rote Johnny stöhnte einmal auf und verlor das Bewußtsein.

Der Hund drückte die Tür zum Haus auf und lief auf den Gang hinaus. Die Kette schleifte klirrend hinter ihm her.

Die rote Marie griff haltsuchend nach der Tischkante. Ihre Hand glitt ab, und sie fiel krachend auf den Boden.

In den vorderen Räumen des Hauses kreischten Frauen auf.

Coffin Ed stand mitten in der Küche, den langläufigen, vernickelten Revolver in der linken, den Totschläger in der rechten Hand, sah sich ratlos und benommen um, als ob er gerade aus einem Elektroschock erwachte. - Chester Himes, Heroin für Harlem. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1966)

Fehler (6)   Alles vollkommene im Bereich der Menschen ist an irgendeinem Punkt notwendig unvollkommen. Ein kleinster Fehler ist der Schwerpunkt jeder Größe. / Die Fehler müssen in die Komposition treten wie die Gifte in die Medizin. - Hans Jürgen von der Wense, Von Aas bis Zylinder, Bd. I. Frankfurt am Main 2005

Fehler (7)  Dem Leben ist gleichgültig, daß die Lebewesen sterben, aber die Lebewesen wollen seltsamerweise an dem sie verachtenden Leben bleiben. Sie haben eine andere Absicht als das Leben. Darum hat das Leben bei den sogenannten "höheren Lebewesen" den Orgasmus erfunden: Sie sollen sich gefälligst paaren und dabei den Tod vergessen. Der Orgasmus als Strategie des Lebens gegen die Lebewesen. Gegenwärtig scheint das Leben über die Menschen den Sieg zu erringen: Sex ist salonfähig, und der Tod wird verschwiegen. Jedoch beginnt sich dieser Sieg als Pyrrhussieg herauszustellen. Die Leute treiben Sex des Orgasmus halber und nicht, um Kinder zu machen. Die Pille als Waffe des Menschen gegen das Leben. Also hat das Leben bei der verfeinerten Sex-Strategie "Orgasmus" einen Fehler begannen. (Das ist nicht überraschend: das Leben macht lauter Fehler.) Welchen Fehler? Das Leben ist mit dem Orgasmus über sein Ziel hinaus geschossen.

Der Orgasmus wurde erfunden, damit sich die Lebewesen auch unter Lebensgefahren paaren mögen (damit sie den Tod zugunsten des Lebens vergessen). Aber den Tod vergessen ist Selbstvergessen. Im Orgasmus werden die Leute selbstlos: Das eine Selbst verschwimmt dabei im anderen. Im Orgasmus überwinden zwei Menschen den Tod und damit das Leben. (Übrigens bietet dies eine Definition von "Pornographie": Beschreibung des Paarens bei Weglassung der Lebensüberwindung.) Das ist gegen das Interesse des Lebens. Es erlaubt (unter anderem), den Sex von der Vermehrung zu trennen. Angenommen: "Mensch" meine ein verneinendes Lebewesen (auch die eigenen Lebensbedingungen verneinend). Das nannte man früher ein "geistiges" Wesen. Dann ist die Trennung zwischen Sex und Vermehrung eine spezifisch menschliche Verneinung des Lebens. Ein Beweis, wie sehr das Leben beim Orgasmus ( und beim Menschen überhaupt) über sein Ziel hinaus schoß. - Vilém Flusser

Fehler (8)   Die unendliche Vielfalt der Fehler Gottes, oder der Natur, oder der Macht, das sind die Dinge und die Geschöpfe der Welt.

Wir sind nichts anderes. Von daher rührt 'ne gewisse Befriedigung 'ne gewisse Verblüffung. Das Komische. Der amüsierliche, unendlich amüsierliche, überraschende, befremdliche, bizarre Aspekt all dieser Fehler, dieser Monstren

Die Brüderlichkeit unter ihnen.

Das Mitleid
Die Barmherzigkeit zwischen ihnen

Die Liebe desgleichen.

Die Verachtung (oder der Zorn)

die sie zu recht empfinden gegenüber den Göttern.

Einzig die unbegrenzte Fähigkeit zum Irrtum, die unbegrenzte Quantität und die unbegrenzte Vielfalt der Fehler ist überhaupt irgendwie bewundernswert.

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DIE HARMONIE DER FEHLER der Gottheit: das ist die Welt, das Funktionieren der Welt.

Die Welt, die wir kennen, wäre demnach nicht - gemäß Leibniz - Die beste der möglichen Welten.

Es wäre lediglich festzuhalten daß Die Fehler gegenseitig sich kompensieren oder sich harmonisieren, so daß sie also funktional werden.   - Francis Ponge, Schreibpraktiken oder Die stetige Unfertigkeit. München 1988 (Edition Akzente, zuerst 1984)

Fehler (9)    Nehmen wir an, dass die Simulatoren (oder zumindest ihre ersten Generationen) sehr viel über die Naturgesetze wissen, aber nicht alles. Sie beherrschen die Physik und die Programmiertechnik, die man braucht, um ein Universum zu simulieren, aber es bleiben Lücken in ihrem Wissen oder, noch schlimmer, ein Teil ihres Wissens ist falsch. Diese Lücken und Fehler sind natürlich nur klein und auf den ersten Blick nicht zu bemerken, sonst wäre unsere fortgeschrittene« Zivilisation nicht fortgeschritten. Trotz dieser Fehler könnten die Simulationen über eine lange Zeit laufen, ohne dass ernste Probleme auftauchen.

Aber irgendwann würden die kleinen Fehler schließlich doch ihre Wirkung entfalten: Immer wieder kommt es nun zu logischen Widersprüchen, und in kleinen Bereichen scheinen immer mal wieder die Naturgesetze verletzt zu werden. Die Bewohner der Simulation sind verwirrt. Sie misstrauen den Beobachtungen ihrer (simulierten) Astronomen, die zeigen, dass sich die Naturkonstanten im Laufe der Zeit ändern.  - (bar2)

Fehler (10)  Heute ist mir hier ein schrecklicher Fehler unterlaufen. Als ich mit der U-Bahn bis Shepherd's Bush kam und ausstieg, rief und rief und winselte die Natur derart in mir, daß ich dachte, um einen Penny würde es mir wieder gutgehen, und ging, das Geschäft zu verrichten. Doch entweder weil ich innerlich so geplagt war oder weil meine Augen allmählich nachlassen, verlor ich einen Shilling, und die Nacht brach ein, bevor ich die richtige Wächterin erwischte, um ihn wieder für mich herauszufischen; und inzwischen - mit wieviel Kummer und Bestürzung! - ging ein weiterer Penny den gleichen Weg, so daß mir nun zwei Pence fehlen, und mein Zimmer ist nur eine Meile von der Stelle entfernt, wo ich dem Befehl der Natur gehorcht habe. So war es schon immer! Ich bin sicher, daß alle diese Dinge in dem Land, wo Du lebst, unbekannt sind, und doch zweifle ich daran, trotz aller Raffinesse des Amerikaners, daß er den Penny irgendwo am Straßenrand einwirft.  - (ryder)

Fehler (11)  Die Übermittlung des Codes ist wahrlich fast perfekt. Nimmt dabei doch jedes Molekül seinen spezifischen, allein ihm angemessenen Platz ein, während die Kopier-, Ablese- und Kontrollprozeduren von speziell dafür eingesetzten Polymer-Aufsehern aufs schärfste überwacht werden. Und trotzdem kommen Fehler vor, häufen sich allmählich die Lapsus des Codes, so daß also der Baum der Arten aus einem Wörtchen erwachsen ist, das ich soeben - im Zusammenhang mit der Präzision des Codes - ausgesprochen habe: »fast«.

Und es besteht nicht einmal Hoffnung auf ein Berufungsurteil, mit dem die Physik, im Gegensatz zur Biologie, erklären würde, die Evolution habe - gewissermaßen zur Belebung ihrer Erfindungskraft - »absichtlich« einen gewissen Fehlerspielraum zugelassen, denn dieses Tribunal, in dem die Thermodynamik den Richter stellt, wird verkünden, daß es auf der molekularen Ebene keine fehlerfreie Übermittlung von Botschaften geben könne. In der Tat habe die Evolution sich nichts ausgedacht, sie habe schlechthin nichts gewollt, niemanden speziell geplant, und daß sie ihre eigene Fehlbarkeit ausnutze, daß sie, ausgehend von der Amöbe, durch eine Kette von Mißverständnissen in der Übermittlung beim Bandwurm oder beim Menschen gelandet sei, habe seine Ursache in der physikalischen Natur der materiellen Basis des Übermittlungsvorganges . . .

Folglich verharrt sie im Fehler, weil sie nicht anders kann - zu eurem Glück. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1973)

Entscheidung Dummheit Machen Denken Denken
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Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Unklugheit
Synonyme