ochter   Bernarda lebte in Todesangst, seitdem sie bei der Tochter gewisse geisterhafte Züge entdeckt hatte. Sie zitterte bei dem bloßen Gedanken an den Augenblick, da sie hinter sich schauen und die unergründlichen Augen des schmächtigen Wesens sehen würde, das in duftigen Schleiern und mit der wilden Mähne dastand, die schon bis zu den Kniekehlen reichte. »Kind«, schrie sie, »ich verbiete dir, mich so anzusehen!« Wenn sie gerade ganz auf ihre Geschäfte konzentriert war, spürte sie im Nacken den zischelnden Atem einer lauernden Schlange und sprang vor Entsetzen auf.

»Kind!« schrie sie. »Klopf an, bevor du hereinkommst !«

Das Mädchen steigerte Bernardas Angst durch eine Litanei in der Yorubasprache. Nachts war es noch schlimmer, denn Bernarda wachte plötzlich mit dem Gefühl auf, jemand habe sie berührt, und dann stand das Mädchen an ihrem Fußende und hatte ihr beim Schlafen zugesehen. Der Versuch mit der Schelle am Handgelenk erwies sich als vergeblich, sie klingelte nicht, da Sierva Maria sich so behutsam bewegte. »Von einer Weißen hat dieses Geschöpf nur die Farbe«, sagte die Mutter. Das war insofern richtig, als das Mädchen sich sogar einen afrikanischen Namen ausgedacht hatte, den sie abwechselnd mit dem eigenen benutzte: Maria Mandinga.

An einem frühen Morgen kam es zur Krise in der Beziehung. Bernarda war wahnsinnig vor Durst nach ihren Kakaoexzessen aufgewacht und sah in der Tiefe des Tonkrugs eine Puppe von Sierva Maria schwimmen. Für sie war das nicht schlicht eine Puppe, die im Wasser schwamm, sondern etwas Schauerliches: eine tote Puppe. - Gabriel García Márquez, Von der Liebe und anderen Dämonen. München 2001 (zuerst 1994)

Tochter (2) Ich hasse, hasse, hasse sie und will sie irgendwann umbringen! Ich möchte Flügel haben und fliegen können, sie sollte irgendwo wohnen und alle anderen Mütter auch mit ihren Kindern. Ich würde durch alle Räume fliegen, nur nachts, die Kinder mit meinem vergifteten Atem anblasen, dann müßten erst die Kinder tot sein und dann die Mütter beim Anblick ihrer toten Lieblinge vor Gram krepieren, steif wie die Haselnußsträucher sollten sie umkippen, sich im Fall die Schädel einschlagen an den Nachtpötten, Bettkanten, Leselampen, Wasserleitungen, Zimmerspiegeln! Ich werde ein fliegender Hund sein mit schneeweißem Fell, das im Mondlicht glimmert und flimmert, mit spitzer Schnauze. Mit weit nach vorn, nach hinten gestreckten Pfoten, buschig aufgedrehtem Schwanz werde ich durch die Räume fliegen, in denen die schlafenden Kinder liegen, gesunde, kranke, alle schön aneinandergereiht in weißen Kinderbetten mit Gitterstäben, Babysalben, Teddybären, Puppen und bunten Bällen, mit denen sie noch einige Stunden zuvor auf der Wiese gespielt haben. Ich werde meine zugespitzten Vorderzähne in die aus dem Schlaf erwachenden Augen treiben, ihnen die dünnen Hälse anbeißen, damit sie alle verbluten, gesunde und kranke, damit es auf der ganzen Welt keine Kinder mehr gibt und somit auch keine Mütter; ich will dann der Hund bleiben, der wunderschöne weiße, und mit glänzenden Flügeln über die höchsten Berge fliegen, über Kirchtürme, wenn der Mond scheint, über den tiefsten Seen werde ich schweben, meinen schlanken Leib darin spiegeln, mich wunderschön finden, alle sollen sie Angst haben vor dem grausam schönen Vieh!  - Jo Imog, Die Wurliblume. Reinbek bei Hamburg 1972 (rororo 1471, zuerst 1967)

Tochter (3) Heute kommt meine Tochter für eine Woche zu mir. Ich habe schon eine Höllenangst vor diesem skeptisch u. ironisch überspitzten Recidiv meines Ich. Wird kaum gut abgehn. Ich kann nicht mit irgendwem länger wie einen halben Tag Wohnung u. Licht u. Gegenstände teilen, alle diese Nester der Zerstörung!   - Gottfried Benn an F.W. Oelze, 16.6.1936
 
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