liegen Zur Zeit des Heidentums waren es Königinnen und edle Frauen von welchen man sagte, daß sie in den Lüften zu fliegen verstünden, und diese Zauberkunst, die damals für etwas Ehrenwertes galt, wurde später, in christlicher Zeit, als eine Abscheulichkeit des Hexenwesens dargestellt. Der Volksglaube von den Luftfahrten der Hexen ist eine Travestie alter germanischer Traditionen und verdankt seine Entstehung keineswegs dem Christentum, wie man aus einer Bibelstelle, wo Satan unseren Heiland durch die Lüfte führt, irrtümlich vermutet hat. Jene Bibelstelle könnte allenfalls zur Justifikation des Volksglaubens dienen, indem dadurch bewiesen ward, daß der Teufel wirklich imstande sei die Menschen durch die Luft zu tragen. - Heinrich Heine, Elementargeister (1837)

Fliegen (2) Zenon sagt, dass ein fliegender Pfeil in jedem Moment seiner Flugbahn einen bestimmten, exakt umrissenen Ort einnimmt. An einem exakt umrissenen Ort befindet sich der Pfeil in Ruhe, denn an einem Ort kann er sich nicht bewegen. Da sich der Pfeil in jedem Moment also in Ruhe befindet, müsste er sich insgesamt in Ruhe befinden. Paradox: Wir nehmen aber wahr, dass der Pfeil fliegt. - Wikipedia

Fliegen (3) Manche von den Gaffern kicherten vor Spannung, und dann hörte er, wie ein rhythmisches Klatschen begann, wie im Theater, wenn der Vorhang nicht hochgehen will und das Publikum ungeduldig wird. Feuerwehrmänner brachten die Leute zur Ruhe. Nun kam die Leiter herauf.

»Okay, David. Jetzt ist es gleich soweit«, sagte jemand beruhigend vom Fenster her - vielleicht war es Ed -, aber David sah nicht hin. »Okay, David, keine Bange!«

Es war ihm, als ob William Neumeister ihm zusähe, mit unerschütterlichem Vertrauen. William Neumeister beobachtete ihn voller Ruhe, mit verschränkten Armen.

»Wir holen Ihr Mädchen, David. Wie heißt sie? Annabelle?«

David blickte zu einem Stern empor und verschmähte es zu antworten.

»Sie ist dort unten und wartet auf Sie, David. Unten auf der Straße. Sie müssen nur die Leiter hinuntersteigen.« Die Stimme klang so falsch, falscher ging es nicht.

Es gab keine Wahrheit, nur Müdigkeit von diesem Leben und ewige Enttäuschung!

Die Feuerwehrmänner riefen einander Anweisungen und Befehle zu. Ein kleiner Mann kam die Leiter heraufgeklettert, während sie noch hinausgefahren wurde und hin- und herschwankte. David wurde aufmerksam. Er war überzeugt, daß er den Burschen von der Leiter stoßen könnte, aber das würde, das wollte er nicht, höchstens, wenn der Feuerwehrmann gewalttätig wurde. Was ging es schließlich den Mann an — so oder so —, der nur seine Pflicht tat?

»Sie steht unten, David. Sehen Sie?« sagte die Stimme vom Fenster her. »Sie winkt Ihnen.«

David glaubte ihm nicht, aber er blickte hinunter. Er sah kein Mädchen, das winkte.

»Aushalten, Junge!« sagte der Feuerwehrmann auf der Leiter mit angstvollem Ausdruck, und David erschrak, wie nahe er schon war.

Es blieben ihm nur noch wenige Sekunden. Er blinzelte und schaute um sich. Das waren seine kärglichen Möglichkeiten - die Ecke, das Fenster mit dem halben Dutzend ausgestreckter Hände, denen er sich nicht um alles in der Welt ausgeliefert hätte, und über ihm ein Bettuch, das ihn nicht ganz erreichte und ihn ohnehin vielleicht nur narren sollte. Oder die Möglichkeit zu springen. War er nicht schon oft genug hier gestanden, vor ein paar dürftigen Möglichkeiten, die im Grunde alle auf nichts hinausliefen? Unentschlossenheit und höchste Spannung erfüllten ihn zugleich. Das Blut, das von seiner Stirn lief, hatte ihm die Wimpern des linken Auges verklebt.

»Okay, Boy. Halt dich fest!« sagte der Feuerwehrmann.

»Olé«, rief jemand in der Tiefe.

»Sie kriegen ihn«, meinte eine Stimme über ihm.

Nun sah er drunten ein Mädchen in einem weißen Mantel oder einem hellen Regenmantel, ohne Hut, regungslos, das Gesicht zu ihm emporgewandt, eine Hand umklammerte vor Erregung die andere. Hatte sie nicht die gleiche Haarfarbe wie Annabelle? Aber in der schwachen Beleuchtung konnte er es nicht sicher sagen.

»Rufen Sie ihr etwas hinunter, David!« sagte der Polizist (der die ganze Zeit ohne Unterbrechung auf ihn eingeredet hatte). »Sagen Sie ihr, daß Sie kommen. Nur noch ein paar Minuten...«

Die Leiter kratzte an den Steinen nur knapp unterhalb der Brüstung, auf der David stand.

Das Mädchen winkte nicht herauf, was ihn nur in der Hoffnung bestärkte, daß es vielleicht doch Annabelle war. Annabelle würde - vielleicht - nicht winken, selbst wenn er es wollte. Nun blieb ihm wohl kein anderer Ausweg mehr. Die Vorstellung, daß ihn der Feuerwehrmann gleich berühren würde, war ihm unerträglich.

Nun überlegte er nicht länger und schritt hinaus in den kühlen Raum, zu raschem Flug hinab zu ihr, erfüllt allein von dem Gedanken an ihre schöngeschwungene Schulter. Nackt, wie er sie nie gesehen hatte. - Patricia Highsmith, Der süße Wahn. Zürich 1974 (zuerst 1960)

Fliegen (4)

Fliegen (5) Langsam breitete Robert Benton seine Flügel aus, schlug mehrmals damit und segelte majestätisch vom Dach und in die Dunkelheit.

Sofort wurde er von der Nacht verschluckt. Unter ihm machten Hunderte winziger Lichtpunkte andere Dächer kenntlich, von denen andere Personen flogen. Dicht bei ihm schwebte eine violette Gestalt, die dann ins Schwarze entschwand. Doch Benton befand sich in einer anderen Art von Stimmung, und der Gedanke an nächtliche Wettflüge verlockte ihn nicht. Die violette Gestalt näherte sich abermals und winkte einladend. Benton lehnte ab, kurvte aufwärts.

Nach einer Weile flog er in gleichbleibender Höhe weiter und ließ sich dahmtreiben auf Luftströmungen, die heraufkamen von der Stadt unter ihm, der Stadt des Lichts., Ein wunderbares, erhebendes Gefühl durchströmte ihn. Er ließ seine mächtigen, weißen Schwingen zusammenklatschen und warf sich in wilder Freude in die vorübertreibenden Wölkchen, tauchte in Richtung des unsichtbaren Bodens der enormen schwarzen Mulde, in der er flog, und sank schließlich auf die Lichter der Stadt zu, denn seine Mußezeit näherte sich ihrem Ende.

Von irgendwo tief unten zwinkerte ihm ein Licht zu, das heller war als die anderen: das Amt für Kontrolle. Mit seinem Körper zielend wie mit einem Pfeil, die weißen Flügel über sich gefaltet, hielt er darauf zu. Hinab ging's, gerade und sicher. Kaum dreißig Meter von dem Licht entfernt breitete er seine Schwingen aus, ließ sich abfangen von der festen Luft um ihn her und landete sacht auf einem ebenen Dach.

Benton ging, bis ein Leitlicht aufleuchtete, dessen Strahl ihm den Weg zur Eingangstür wies. Auf den Druck seiner Fingerspitzen hin glitt die Tür zurück, und er trat hindurch. Sofort begann er zu sinken, schoß mit zunehmender Geschwindigkeit in die Tiefe. Der kleine Fahrstuhl stoppte plötzlich, und Benton trat hinaus in das Hauptbüro des Controllers.

«•Hallo«, sagte der Controller, »nehmen Sie Ihre Flügel ab und setzen Sie sich.«

Benton tat es. Säuberlich faltete er seine Flügel und hängte sie an einen der kleinen Haken an der Wand. - Philip K. Dick, Und jenseits - das Wobb. Sämtliche SF-Geschichten Band 1. Zürich 1998


Gravitation Bewegung

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