nmut (sinnliche)  Willkürlichen Bewegungen allein kann Anmut zukommen, aber auch unter diesen nur denjenigen, die ein Ausdruck  moralischer Empfindungen sind. Bewegungen, welche keine andere Quelle als die Sinnlichkeit haben, gehören bei aller Willkürlichkeit doch nur der Natur an, die für sich allein sich nie bis zur Anmut erheben. Könnte sich die Begierde mit Anmut, der Instinkt mit Grazie äußern, so würden Anmut und Grazie nicht mehr fähig und würdig sein, der Menschheit zu einem Ausdruck zu dienen. - Schiller, Kallias-Briefe

 Anmut (2) Die Reißkohle Herrn Ingres' huldigt der Anmut bis zum Monströsen: nie ist ihm der Rücken geschmeidig und langgestreckt genug, der Hals zu biegsam, nie. sind die Schenkel glatt genug, erzwingen sämtliche Kurven der Körper, die der Blick mehr umfaßt und berührt, als daß er sie sieht, vom Auge die letzte mögliche Gefolgschaft. Seine "Odaliske" hat etwas von der vorsintflutlichen Echse; sie führt einem vor Augen, was eine gut geleitete Zuchtwahl aus einer Frauenrasse hätte machen können, die seit Jahrhunderten mit der gleichen Ausschließlichkeit zum Genuß erzogen worden wäre, mit der man das englische Pferd für die Rennbahn gezüchtet hat. - (deg)

Anmut (3) Nun schlug die Uhr, die Standuhr mit dem messingglänzenden Zifferblatt, zwölfmal, und seine Frau trug das Essen herein, wobei ihr Kopf hinter der Suppenschüssel zu verschwinden schien, was aussah, als gehe ein mit Schüsseln besetztes Tablett auf Beinen, die sich anmutig bewegten, denn sie war klein und zierlich. - Hermann Lenz, Der Wanderer. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1986)

Anmut (4) Im Wörterbuch der miròesken Zeichen dürfte eines der erstaunlichsten wohl jenes »laufende junge Mädchen« sein. Der Eindruck des Laufens, der Leichtigkeit, der Schnelligkeit, der Jugend und der Anmut jener Atlante entsteht durch die einfache Verlängerung des den Körper darstellenden Strichs (über dem ein kleines Gesichtsdreieck sitzt) und dem Anbringen zweier breiter, dicker, verrschiedenfarbiger Keulen an die Bauchkugel — zwei gut verteilte Flächen, die den Beinen der jungen Läuferin »entsprechen«. Das Ergebnis ist unbestreitbar ein »junges laufendes Mädchen«.  - Raymond Queneau, Striche, Zeichen und Buchstaben. München 1990 (zuerst 1950)

Anmut (5) In der Bar, deren ständiger Gast ich lange Zeit war, sang eine Mulattin namens Bricktop. Eine Frau zwischen Dreißig und Vierzig, ziemlich stark, aber von erstaunlicher Anmut. Ihre leichtgebräunte Haut, von Sommersprossen übertupft, die ihr Gesicht und ihre Arme wie mit Goldkörnern überhellen. Prachtvolle Toiletten. Sehr lebhafte Augen unter schwarzen lackierten Haaren. Ein Mund, den man als »geistreich« bezeichnen muß. Sie besaß insbesondere jene außerordentliche Intelligenz der Bewegungen, die bei einer Josephine Baker zum Paroxysmus gesteigert sind und die sich von der Pantomine unterscheiden, wie zum Beispiel die Akrobatik von der Gymnastik, eine köstliche Anmut in den Bewegungen der Arme und der Finger, dem Augenaufschlag, dem Lippenspiel, dem Zucken des Fußes, alles dies vereinigt mit einer Stimme, wie ich sie nie gehört habe, einer Stimme, die einem schweren, bestickten Stoffe, der wie durch Beilhiebe zerfetzt ist, oder einem Sperlingsschwarm, in den Adler eingebrochen sind, oder den Ruinen der Paläste von Palm-Beach oder Los Angeles nach einem Erdbeben gleicht.

Und diese Frau wußte nichts von Komödiantentum. Sie war gelangweilt. Ihre Lieder schrieb sie sich in ein kleines Schulheft. Sie lernte sie, indem sie sie mit halber Stimme vor sich hinsang. Sie trank, ohne jemals betrunken zu werden. Sie hatte lange Unterhaltungen mit dem intellektuellen Neger Jackson, der sie auf dem Klavier begleitete. Sie machte sich ab und zu einen Spaß daraus, das Duett »I am in love again« mit Buddie Gilmore zu singen, einem kleinen, kugelrunden Neger voller Phantasie und Laune, der als Drummer des syncopated Orchestra (einer von Harry Wellmon dirigierten Truppe von etwa 40 Negern - Sängern, Tänzern und Musikern) nach Paris kam und sich sofort durch sein Schlagsolo einen Namen gemacht hatte.

Sie empfing die Gäste, sagte jedem eine Liebenswürdigkeit, vollendete Dame des Hauses. Leutselig und lächelnd war der Herr des Hauses, wenig um Reklame besorgt, empfing jeden mit der entgegenkommenden Herzlichkeit eines alten Verwalters, der auf dem Schlosse seiner Herrschaft die intimsten Freunde des Hauses empfängt. - Michel Leiris, Leidenschaften. Frankfurt am Main 1992 (Fischer-Tb. 10560)

Anmut (6)

Schönheit Charme Bewegung
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Zauber
Synonyme
Grazie