Anmerkung   Die nur sehr wenig abwechslungsreichen Varianten der physischen Liebe sind nicht der einzige Gegenstand,  dem Burton als Kommentator Aufmerksamkeit schenkt.  Vielmehr wartete er mit einem enzyklopädischen und aufgeblähten Kommentar auf, dessen Mitteilungsbedürfnis zu seiner Notwendigkeit im umgekehrten Verhältnis steht. So umfaßt der 6. Band (der mir vorliegt) an die dreihundert Anmerkungen, von denen die folgenden hervorgehoben zu werden verdienen: eine Verurteilung der Gefängnisse und eine Verteidigung der Leibesstrafen wie der Geldstrafen; ein paar Beispiele für die Achtung des Islam vor dem Brot; eine Legende von der Behaartheit der Beine der Königin Belkis; eine Erklärung der vier emblematischen Farben des Todes; orientalische Theorie und Praxis der Undankbarkeit; die Mitteilung, daß bei den Engeln die Farbe von Schafwolle am beliebtesten sei, bei den Geistern der Goldfischton; eine zusammengefaßte Wiedergabe der geheimen Nacht der Herrschaft oder der Nacht aller Nächte; ein kritischer Hinweis auf die Oberflächlichkeit von Andrew Lang; eine Diatribe gegen das demokratische Regierungssystem; eine Aufzählung der Namen Mohammeds auf der Erde, im Feuer und im Garten; eine Erwähnung des Volkes der Amalekiter, die hoch in die Jahre kommen und hochgewachsen sind; eine Anmerkung über die Schamteile der Muselmanen, welche beim Mann vom Nabel bis zum Knie und bei der Frau von Kopf bis Fuß reichen; eine Betrachtung über den «asa'o» des argentinischen Gaucho; ein Hinweis auf die Beschwerlichkeiten des «Reitens», wenn das Reittier ebenfalls menschlich ist; ein grandioses Projekt, hundsköpfige Affen mit Weibern zu kreuzen, um auf solche Art eine Unterrasse tüchtiger Proletarier zu gewinnen. Im Alter von fünfzig Jahren hat ein Mensch Lieblingsvorstellungen, Obszönitäten und eine Masse von Anekdoten in sich aufgespeichert; Burton schüttet diesen ganzen Sack in seinen Anmerkungen aus.  - J. L. Borges, Vorwort zu: Tausendundeine Nacht nach Burton. Stuttgart 1984 (Die Bibliothek von Babel 26, Hg. Jorge Luis Borges)

Anmerkung (2)  sofern die Anmerkung an anderer Stelle, welcher auch immer, gesetzt werde, scheint nur schwer abzuleugnen, daß sie ein plump schmeichlerisches Zuzwinkern bleibt, eine gezierte Herablassung; als wolle man sagen: paßt auf, hier verbirgt sich eine Raffinesse, die euch leicht entgehen kann, der Sinn, der Schlüssel liegt hier, ein wenig weiter rechts, weiter oben, weiter unten, seitlich, paßt auf, dank meiner Meisterschaft kann er euch nidit entgehen, halt, genau da - und immer so weiter; eine äußerst ermüdende Haltung und hinterhältig obendrein: als ob der Kommentator als Meister und Marschall der Schreibkunst und kostbarer Konzepte vorgestellt werde, während das, was den Kommentator auszeichnet gerade seine verzweifelte Nichtigkeit ist, die ihn zwingt, sich selber zum Instrument der Erläuterung zu machen, zum hysterischen und lärmenden Schausteller seiner eigenen unglaublichen intellektuellen Jämmerlichkeit und völligen Ungeeignetheit. Wir betonen diese seine Vollkommenheit im Negativen: jedwede Unvollkommenheit im Negativen verdirbt und entkräftet nämlich den sinnlosen Sinn jeglichen Kommentars. Jedwede anteilnehmende Freude an der eigenen gewiegten und gelehrten Arbeit oder Verschworenheit mit dem eigenen lasterhaften Überleben macht den Menschen ungeeignet für jegliches Schicksal, das nicht nur schieres Platznehmen sei am eigenen Geburts-, Lebens- oder Beerdigungsbankett; während desselbigen ihm sein eigenes Fleisch aufgetischt wird und er sich am trügerischen Rubinrot seines eigenen Blutes erlaben wird; sodaß er sich also, angefangen von einer Kraftbrühe von Tränen und Kinderpisse, über die Lendenstücke der mittleren Jahre schließlich zur Neige eines Desserts ausgetrockneter Testikel bewegt, und zum Abschlußtrunk aus tödlichem Champagnersdiweiß: mit wekhsel-biger Zeremonie unter festlidiem Rülpsen das Bankett zum Abschluß kommt, das er so verfressen und eintönig aus sidi selber zelebrierte, als Feinschmecker seiner eigenen mürben Schleimhäute, Schlecker und Schleckerei, Likör und Lippe, Gaumen, Grabhügel, Gurgel und Gruft.  - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt am Main 1988
 
 

Kommentar Gelehrsamkeit

 

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