iebe, erste  Auf dem Felsen stehend, Haare und Mantel vom Sturm gepeitscht, belauerte ich in Ekstase die Gewalt des Orkans, der unter dem sternenlosen Himmel seine Wut an einem Schiff ausließ. In triumphierender Haltung verfolgte ich die Entwicklung dieses Dramas, von dem Augenblick an, da das Schiff Anker warf, bis zu dem Augenblick, da es verschlungen wurde, fatales Gewand, das jene, die sich darin eingehüllt hatten wie in einen Mantel, in die Eingeweide des Meeres hinunterriß.

Aber der Augenblick nahte, da ich selbst an diesen Szenen der verstörten Natur als Schauspieler mitwirken sollte. Als der Platz, wo das Schiff seinen Kampf gekämpft hatte, deutlich zeigte, daß dieses den Rest seiner Tage im Erdgeschoß des Meeres verbringen würde, kamen jene, die von den Fluten davongetragen worden waren, zum Teil wieder an die Oberfläche. Sie umschlangen einander zu zweit, zu dritt, was ein Mittel war, ihr Leben nicht zu retten; denn sie wurden in ihren Bewegungen gehemmt und gingen unter wie durchlöcherte Krüge... Welch ein Heer von Seeungeheuern zerteilt da die Fluten mit solcher Geschwindigkeit? Es sind ihrer sechs; ihre Flossen sind stark und bahnen sich einen Weg durch die empörten Wogen. Bald machen die Haie aus all diesen Menschenwesen, die ihre vier Gliedmaßen auf solch unsicherem Kontinent bewegen, nur noch ein Omelett ohne Eier und teilen es unter sich nach dem Gesetz des Stärkeren. Das Blut vermengt sich den Wassern und die Wasser vermengen sich dem Blut. Die wilde Lust ihrer Augen reicht aus, um den Schauplatz des Blutbades zu beleuchten... Aber was bringt denn dort hinten am Horizont die Wasser schon wieder in Aufruhr? Man könnte es für eine heranbrausende Windhose halten. Was für Ruderschläge! Ich sehe, was es ist. Eine riesige Haiin eilt herbei, um sich an der Entenleberpastete zu beteiligen und kalte Fleischbrühe zu essen. Sie rast vor Wut; denn sie hat Hunger. Ein Kampf entspinnt sich zwischen ihr und den Haien um ein paar zuckender Gliedmaßen willen, die hier und da auf der roten Sahne umherschwimmen, ohne ein Wort zu sagen. Rechts und links teilt sie bissige Hiebe aus, die tödliche Wunden erzeugen. Noch ist sie von drei lebendigen Haien umringt und muß sich nach allen Seiten drehen und wenden, um deren Bänke zu vereiteln. Mit wachsender, bisher nie gekannter Erregung verfolgt der am Ufer stehende  Zuschauer diese neuartige Seeschlacht. Seine Augen sind auf die mutige Haiin mit den so starken Zähnen gerichtet. Er zögert nicht mehr, er schultert sein Gewehr und schießt mit gewohnter Gewandtheit seine zweite Kugel in die Kiemen eines der Haie, im Augenblick, da dieser sich auf dem Kamm einer Woge zeigt. Bleiben zwei Haie, die dadurch nur noch erbitterter kämpfen. Von der Höhe der Klippe wirft sich der Mensch mit dem brackigen Speichel ins Meer und schwimmt auf den schön gefärbten Teppich zu, in der Hand das stählerne Messer, das ihn niemals verläßt. Von jetzt an hat es jeder Hai mit einem Feind zu tun. Er nähert sich seinem ermatteten Gegner und stößt ihm, ohne Überstürzung, seine spitze Klinge in den Leib. Das bewegliche Bollwerk entledigt sich leicht des letzten Gegners... Jetzt sind sie allein, der Schwimmer und die von ihm gerettete Haiin. Einige Minuten lang sahen sie sich fest ins Gesicht; und beide erstaunten, so viel grausame Lust in den Blicken des anderen zu finden. Schwimmend drehen sie sich im Kreise, lassen einander nicht aus den Augen und jeder sagt sich: «Ich lebte bis jetzt im Irrtum; da ist einer, der böser ist als ich.» Da glitten sie zwischen zwei Wellen, einstimmig und in gegenseitiger Bewunderung aufeinander zu, die Haiin, das Wasser mit ihren Flossen zerteilend und Maldoror, die Fluten mit seinen Armen schlagend; und sie hielten den Atem an in tiefer Verehrung, jeder von dem Wunsche erfüllt, zum erstenmal sein lebendiges Ebenbild zu betrachten. In drei Metern Entfernung angelangt, prallten sie plötzlich, ohne die geringste Mühe aufeinander wie zwei Magneten und küßten sich mit Würde und Dankbarkeit in einer so zärtlichen Umarmung wie die eines Bruders oder einer Schwester. Die fleischlichen Lüste folgten diesem Freundschaftsbeweis auf dem Fuße. Zwei nervöse Schenkel preßten sich eng an die klebrige Haut des Ungeheuers wie zwei Blutegel; und Arme und Schwimmflossen um den Körper des geliebten Gegenstandes geschlungen, umfingen sie einander in Liebe, während ihre Kehlen und ihre Brüste bald nur noch eine einzige meergrüne Masse mit Algengeruch bildeten; inmitten des weiter tobenden Orkans; beim Leuchten der Blitze; den Gischt der Wogen als Hochzeitsbett, von der unterirdischen Strömung wie in einer Wiege davongetragen, den unbekannten Tiefen des Abgrunds entgegenstürzend, vermählten sie sich in langer, keuscher und grauenhaft häßlicher Paarung! ... Endlich hatte ich eine gefunden, die mir ähnlich war!... Von jetzt an stand ich nicht mehr allein im Leben!... Sie dachte genau so wie ich!... Ich war meiner ersten Liebe begegnet! - (mal)

Liebe, erste (2) Das Mädchen führte den Diakon in die Locanda del Faico, wo die Händler und die Höker, die Kerzenkrämer und Rosenkranzverkäufer wohnten, die ihre Geschäfte mit den Priestern, den Bruderschaften und den Huren machten.

Der Diakon folgte dem Mädchen auf einen baufälligen Dachboden. Die Alte, die sie bis zur Kammertür begleitet hatte, sagte, sie müsse ausgehen, und stieg holzschuhklappernd die Treppe hinunter. Der Diakon drückte das Mädchen an sich, um sie zu küssen, und wiederholte wie aus einem imaginären Regiebuch die früher versäumten Taten.

»Wir können uns aufs Bett legen«, sagte das Mädchen nach diesem verliebten Kuß, den sie der Schüchternheit des jungen Klosterbruders zuschrieb.
»Sag mir doch bitte, wie du heißt.«
»Ich heiße Margherita, aber alle nennen mich Margotta. Und du?«
Der Diakon zögerte einen Augenblick.
»Baldassare. Nicht immer stimmen die Namen mit den Personen überein.«
»Er paßt aber gut zu dir, für mich klingt er richtig. Du bist der erste Baldassare, den ich kenne.«
»Für mich ist Margotta auch neu.«

Der Diakon begann sich langsam auszuziehen, wobei er seine schwarzen Kleider zu denen des Mädchens auf ein kleines Strohsofa legte. Er schloß die Augen und hielt sie so lange geschlossen, bis er sich, als er sie wieder öffnete, ganz nackt im Zimmer stehen sah und das auf dem Bett liegende Mädchen erblickte, auch sie nackt, die langen Haare kunstvoll über das Kopfkissen gebreitet. Einen Augenblick geriet er in Panik - es war das erste Mal, daß er sich in dieser Lage befand, die so natürlich war und doch so schwierig für einen, der vierundzwanzig Jahre alt geworden war, ohne jemals die glorreiche Sünde Adams begangen zu haben.

Das Mädchen hatte die Unerfahrenheit des jungen Diakons sofort erkannt und mochte ihm ihr Repertoire erotischer Phantasien nicht vorrühren, um ihn nicht zu erschrecken. Sie drückte ihn mit Seufzen und Stöhnen an sich, und half ihm beim Ausüben des Liebesakts mit zartfühlender Hand und einer Beteiligung, die ihm aufrichtig erschien.

Am Schluß, noch atemlos von den Mühen der Liebe, fragte Margotta ihn, ob es ihm gefallen habe. Der Diakon antwortete, er hätte den Eindruck gehabt, in einer gut gefederten Kutsche zu fahren, und am Ende habe er zu fliegen geglaubt. - (ma3)

Liebe, erste (3)

Erste Liebe

- Charles M. Schulz, This is your life, Charlie Brown! London 1969 (Hodder Fawcett Coronet Books, zuerst ca. 1960)

Liebe, erste (4)  Ich hatte die Schule kaum betreten, als ich mich in ein Mädchen, das mit mir von gleichem Alter war und mir gerade gegenübersaß, auf das leidenschaftlichste verliebte. Ich zitterte am ganzen Körper, wenn sie kam, wenn nur ihr Name genannt wurde, ich war unglücklich, wenn sie einen Tag ausblieb, dennoch war ich kaum vier Jahre alt. Besonders ihre roten Lippen und ihre schwarzen Augenbraunen schwebten mir immer vor Augen; daß ihre Stimme Eindruck auf mich gemacht, erinnere ich mich nicht, obgleich hievon später sehr viel bei mir abhing. Natürlich wagte ich nicht, mich ihr zu nahen, sondern floh sie, selbst im Spiel, ja, erzeigte ihr eher Feindseligkeiten, als etwas Freundliches, um eine Neigung, mit der meine Kameraden mich geneckt haben würden, nur zu verbergen. Doch fiel ich, als einmal ein Knabe sie bei den Haaren riß, wütend über ihn her und schlug ihn, bis er blutete, was sie mir gar nicht dankte, da sie diesen Knaben lieber hatte, wie mich.  - (heb)

Liebe, erste (5)   Ich  erschrak vor ihrem  Blick, Zittern befiel mich und ich mußte mich abwenden. In ihren Augen hatte ich das Leben der Erdenmenschen in seiner seltsamen Schamlosigkeit gesehen. Ich wollte schlafen, tief und fest schlafen, um dieses Leben zu vergessen, das all meine Träume übertraf. In ihrem Zimmer ging Galina Apollonowna meist mit gelöstem Haar umher, in roten Hausschuhen und in einem chinesischen Morgenrock. Der Spitzenbesatz ihres tief ausgeschnittenen Nachthemdes ließ die weiße Wölbung der schwer herabhängenden Brüste ein Stückchen frei, der Morgenrock zeigte mit rosa Seide gestickte Drachen, Vögel und Bäume.

Den ganzen Tag über trug sie auf feuchten Lippen ein verträumtes Lächeln. Sie ging umher und stieß gegen die unausgepackten Koffer und die Turngeräte, die auf dem Fußboden lagen. Galina stieß dagegen, hob den Schlafrock bis übers Knie und sagte zu ihrem Mann:

»Küsse mich da, wo es weh tut.«

Und der Offizier beugte seine langen Beine in Dragonerhosen und eng anliegenden, gespornten Lackstiefeln, und ließ sich auf den schmutzigen Fußboden nieder. Lächelnd rutschte er auf den Knien zu ihr und küßte die wunde Stelle, die Stelle, wo das Bein unterm Strumpfband leicht geschwollen war. Ich sah aus meinem Fenster zu, wie er sie küßte, und empfand quälenden Schmerz dabei. Doch ist es der Mühe nicht wert, davon zu erzählen, da Liebe und Eifersucht eines zehnjährigen Knaben der Liebe und Eifersucht eines erwachsenen Mannes gleich sind. Zwei Wochen lang hielt ich mich dem Fenster fern und mied Galina. - (babel)

Liebe, erste (6)  Eine von Gautiers Töchtern, die es zwar leise, aber heftig an Respekt für ihre Mutter fehlen läßt, weil sie sie daran hindern will, Champagner zu trinken, erzählt mir ihre erste Leidenschaft im Kloster, ihre erste Liebe, die einer Eidechse galt, einer Eidechse, die sie mit dem sanften und menschenfreundlichen Äuglein ansah, die immer an ihr und auf ihr war und alle Augenblick den Kopf aus der Blusenöffnung streckte, um sie anzuschauen und zu verschwinden. Eine arme kleine Eidechse, die eine eifersüchtige Schulkameradin aus Bosheit zerquetschte und die, ihr Gedärm hinter sich herziehend, sich zu ihr schleppte, um bei ihr zu sterben. Unbefangen erzählt sie dann, daß sie ihr ein kleines Grab gegraben habe, auf das sie ein Kreuzchen steckte, und daß sie nicht mehr zur Messe gehen wollte und nicht mehr betete; ihr religiöses Gefühl war erloschen, so sehr fand das Kind diesen Tod ungerecht. - (gon)

Liebe, erste (7)  Beim Kaminfeuer erzählt uns Flaubert seine erste Liebe. Er fuhr nach Korsika. Seine Jungfernschaft hatte er ganz einfach mit dem Zimmermädchen seiner Mutter verloren. Er gerät in ein kleines Hotel in Marseille, wo Frauen, die aus Lima zurückkamen, ein Mobiliar aus dem 16. Jahrhundert mitgebracht hatten, Möbel aus Ebenholz mit Perlmutt-Inkrustierung, die die Hotelgäste in Bewunderung versetzten. Drei Frauen in seidenen Morgenmänteln, die glatt, von den Schultern bis zu den Absätzen hingen; ein Negerlein in Nanking und Pantoffeln. Für den jungen Normannen, der bisher nur von der Normandie nach der Champagne und von der Champagne nach der Normandie gereist war, war das von einer höchst verführerischen Exotik. Außerdem ein Patio voll exotischer Blumen, in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte. - Einmal kam er vom Baden im Mittelmeer zurück; von diesem Jungborn noch ganz erfrischt, fühlte er sich von der Frau in ihrer Stube angelockt, einer prachtvollen Frau von fünfunddreißig Jahren. Er wirft ihr einen dieser Kußhände zu, in die man seine ganze Seele legt. Am Abend kommt die Frau in sein Zimmer und beginnt ihn zu lutschen. Es wurde eine himmlische Vögelei, dann gab es Tränen, dann kamen Briefe, dann nichts mehr.

Mehrfach kam er nach Marseille zurück. Niemals konnte man ihm sagen, was aus den Frauen geworden war. Als er das letzte Mal durchkam, um wegen seines Karthago-Romans nach Tunis zu fahren - jedesmal suchte er das Haus wieder auf - , fand er das Hotel nicht mehr. Er schaut sich um, er sucht, er entdeckt, daß es ein Spielzeugladen geworden ist. Im ersten Stock ein Perückenmacher: er steigt hinauf, läßt sich rasieren und erkennt die Tapete wieder. - (gon)

Liebe, erste (8)   Der fromme Mann überschlug die Stimme, wischte die Lippen, schluchzte sehr rührend und malte den Schmerz der Verwandten und Freunde und der ganzen Gemeinde. Gab ein Bild dieser jungen Frau, schilderte die Tugenden ihrer Seele: Wohltätigkeit und Frömmigkeit, Kindesliebe, Gattenliebe, Mutterliebe. Pries in glühenden Farben die Güte und die Schönheit und den seltenen Liebreiz der Verblichenen -

Das war es.

(Jan Olieslagers schrieb nieder: »Ob diesem Seelenhirten wohl jemals die Erkenntnis dämmern wird, daß er der große Galeotto war? Er, der infamste Kuppler aller Zeiten?«)

- Diese Phrase haftete in Stephes Hirn: »Die Güte und die Schönheit und der seltene Liebreiz der Verblichenen.« - Er sollte das Grab zuwerfen an diesem Abende. Er stand in der Grube, hob die Kränze und Blumen hinaus, die einstweilen auf dem Sarge lagen. Und bemerkte, daß ein, zwei Schrauben am Sarge lose waren.

Das kam öfter vor. Er nahm mechanisch seinen Schraubenzieher aus der Tasche, sie fester anzuziehn. Aber er setzte sein Instrument an andere Schrauben, schraubte sie nicht fest, sondern lose. Ertat das nicht -etwas in ihm tat es. Er schraubte alle Schrauben los und hob den Deckel vom Sarge.

Dann starrte er auf die Tote.

Wie sie ausschaute? Das hatte Stephe längst vergessen, vermutlich schon in der nächsten Viertelstunde. In seinem Gedächtnis lebten nur die banalen Worte des Geistlichen, und nur mit denen vermochte er dem Freunde sie zu beschreiben: »Die Güte und die Schönheit und der seltene Liebreiz der Verblichenen«.

Stephe starrte auf die tote Frau. Eine Locke war ihr über das Gesicht gefallen, die strich er zurück. (Die Farbe? - O nein, die Farbe wußte er nicht.) Aber seine harten Finger berührten diese bleiche Wange. Fuhren auf und nieder über das Gesicht. Eine Hand erst, dann beide.

Dann schloß er den Sarg. Schraubte alle Schrauben fest zu. Stieg hinaus aus dem Grabe, warf es zu.

Das war Stephes erstes zartes Abenteuer in dem Garten der Liebe.  - Hanns Heinz Ewers, Der schlimmste Verrat. In: H. H. E., Der letzte Wille der Stanislawa d'Asp. Frankfurt am Main und Berlin 1991

Liebe
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