ille  Balzac dachte zweifellos, für den Menschen gäbe es keine größere Schande und keinen tieferen Schmerz als das Aufgeben des Willens. Ich habe das einmal bei einer Versammlung erlebt, wo die wunderbaren Wirkungen des Haschischs besprochen wurden. Balzac hörte zu und stellte mit belustigender Aufmerksamkeit und Lebhaftigkeit Fragen. Diejenigen, die ihn kannten, werden erraten, daß er sich dafür interessierte. Doch die Idee, wider seinen Willen denken zu müssen, mißfiel ihm sehr. Man bot ihm dawamesk an. Er prüfte es, roch daran und gab es, ohne es zu versuchen, zurück. Der Kampf zwischen seiner fast kindlichen Neugier und seinem Widerwillen gegen den Verlust des freien Willens verriet sich auf seinem ausdrucksvollen Gesicht in auffallender Weise. Die Liebe zur Würde trug den Sieg davon. Tatsächlich ist es schwierig, sich den Theoretiker des Willens, diesen geistigen Zwillingsbruder des Louis Lambert, vorzustellen, wie er damit einverstanden wäre, auch nur ein Stückchen dieser kostbaren Substanz aufzugeben.  - Charles Baudelaire, Die künstlichen Paradiese. Zürich 2000 (zuerst ca. 1860)

Wille (2)  »Ich will meinen kleinen Finger heben, und die Hebung desselben findet statt. Bewegt etwa mein Wille den Finger direct? Nein, denn wenn der Armnerv durchschnitten ist, so kann der Wille ihn nicht bewegen. Die Erfahrung lehrt, daß es für jede Bewegung nur eine einzige Stelle gibt, nämlich die centrale Endigung der betreffenden Nervenfaser, welche imstande ist, den Willensimpuls für diese bestimmte Bewegung dieses bestimmten Gliedes zu empfangen und zur Ausführung zu bringen. Ist diese eine Stelle beschädigt, so ist der Wille ebenso machtlos über das Glied, als wenn die Nervenleitung von dieser Stelle nach den betreffenden Muskeln unterbrochen ist.« Und ein wenig später, vollends deutlich: »... so ist es auch die Erregung am Centrum, von welcher der Strom ausgeht...« Mit einer geringen, übrigens unwesentlichen Abweichung vom strengen Bildzusammenhang der telegraphischen Sprache wird alsdann die unmittelbare Tätigkeit des Willens im Verhältnis zu den Zentralnerven-Endigungen auf die folgende, suggestiv einleuchtende und handfeste Art beschrieben: »Wir können uns also die centralen Endigungsstellen der motorischen Nervenfasern gleichsam als eine Claviatur im Gehirn denken; der Anschlag ist, abgesehen von der Stärke, immer derselbe, nur die angeschlagenen Tasten sind verschieden.«  - Eduard von Hartmann, nach: Dolf Sternberger, Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1974 (st 179, zuerst 1938)

Wille (3) Unregelmäßig in seinen Mahlzeiten, aß Napoleon schnell und schlecht. Auch hier findet man diesen absoluten Willen, den er überall kundgetan. Kaum spürte er Appetit, sofort mußte er gestillt werden, und seine Leute waren darauf dressiert, an jedem Ort und zu jeder Stunde ihm sofort beim ersten Befehl Geflügel, Koteletten und Kaffee vorzusetzen. - (bri)

Wille (4) Der Wille hat seinen Sitz nicht im Gehirn, und überdies ist er, als das Metaphysische, das prius des Gehirns, wie des ganzen Leibes, daher nicht durch Verletzungen des Gehirns veränderlich. - Nach einem von Spallanzani gemachten und von Voltaire wiederholten Versuch bleibt eine Schnecke, der man den Kopf abgeschnitten, am Leben, und nach einigen Wochen wächst ihr ein neuer Kopf, nebst Fühlhörnern: mit diesem stellt sich Bewußtseyn und Vorstellung wieder ein; während bis dahin das Thier, durch ungeregelte Bewegungen, bloßen, blinden Willen zu erkennen gab. - (wv)

Wille (5) Auf eine ganz großartige Weise kann man zu einer intuitiven Erkennmiß vom Daseyn und Wirken des Willens in der unorganischen Natur gelangen, wenn man sich in das Problem der drei Körper hineinstudirt und also den Lauf des Mondes um die Erde etwas genauer und specieller kennen lernt. Durch die verschiedenen Kombinationen, welche der beständige Wechsel der Stellung dieser drei Weltkörper gegen einander herbeiführt, wird der Gang des Mondes bald beschleunigt, bald verlangsamt, und tritt er der Erde bald näher, bald ferner: dieses nun aber wieder anders im Perihelio [Sonnennähe], als im Aphelio [Sonnenferne] der Erde; welches Alles zusammen in seinen Lauf eine solche Unregelmäßigkeit bringt, daß derselbe ein wirklich kapriciöses Ansehn erhält, indem sogar das zweite Keplerische Gesetz nicht mehr unwandelbar gültig bleibt, sondern er in gleichen Zeiten ungleiche Flächen umschreibt. Die Betrachtung dieses Laufes ist ein kleines und abgeschlossenes Kapitel der himmlischen Mechanik, welche von der irdischen sich durch die Abwesenheit alles Stoßes und Druckes, also der uns so faßlich scheinenden vis a tergo [von hinten treibenden Kraft], und sogar des wirklich vollbrachten Falles, auf erhabene Weise unterscheidet, indem sie neben der vis inertiae [Kraft der Trägheit] keine andere bewegende und lenkende Kraft kennt, als bloß die Gravitation, diese aus dem eigenen Innern der Körper hervortretende Sehnsucht derselben nach Vereinigung. Wenn man nun, an diesem gegebenen Fall, sich ihr Wirken bis ins Einzelne veranschaulicht; so erkennt man deutlich und unmittelbar in der hier bewegenden Kraft eben Das, was im Selbstbewußtseyn uns als Wille gegeben ist. Denn die Aenderungen im Laufe der Erde und des Mondes, je nachdem eines derselben, durch seine Stellung, dem Einfluß der Sonne bald mehr, bald weniger ausgesetzt ist, haben augenfällige Analogie mit dem Einfluß neu eintretender Motive auf unsern Willen und mit den Modifikationen unsers Handelns danach. - (wv)

Wille (6)  »Das Wollen ist auch nur eine Erfahrung«, möchte man sagen (der ‹Wille‹ auch nur ›Vorstellung‹). Er kommt, wenn er kommt, und ich kann ihn nicht herbeiführen.

Nicht herbeiführen? - Wie was? Was kann ich denn herbeiführen? Womit vergleiche ich das Wollen, wenn ich dies sage?  - (wit)

Wille (7)   »Kein Mensch seiner Zeit und vielleicht überhaupt keiner Zelt«, sagt Carpenter (zitiert von M. Ribot in seinem schönen Buch über die Krankheiten des Willens), »hat mehr als Coleridge die Kraft des Verstandes eines Philosophen und die Phantasie eines Dichters in sich vereint. . . Und doch gibt es niemand, der bei Begabung mit so hervorragenden Talenten weniger Nutzen daraus gezogen hätte: der große Mangel seines Charakters war, daß ihm der Wille fehlte, um seine natürlichen Gaben zu nutzen, so daß er, obwohl ihm ständig gigantische Projekte vorschwebten, niemals ernsthaft versucht hat, auch nur ein einziges auszuführen. Er fand zum Beispiel zu Beginn seiner Laufbahn einen großzügigen Verleger, der ihm dreißig Guineen für Gedichte versprach, die er vorgetragen hatte,... doch kam er lieber jede Woche betteln, als eine einzige Zeile des Gedichts zu liefern, das er nur hätte aufzuschreiben brauchen, um sich zu befreien.« - Marcel Proust, Tage des Lesens. Frankfurt am Main 1967 (es 37, zuerst 1925)

Wille (8)

Wille (9) »Er willens und sie gewillt«, wie Homer sagt, entfernten sie sich rasch außer Sicht des Landhauses.  - (cowp)

Wille (10)  Der Wille gibt dem Werke Wärme, die Seele nimmt es auf, die Vernunft führt es aus, und der Intellekt zeigt, ob es gut oder böse ist. Der Wille besitzt eine große Seelenkraft. Wieso? Die Seele steht im Herzensgründe, wie der Mensch an einer Ecke seines Hauses, um es ganz zu überschauen, alle Werkzeuge des Hauses zu leiten und sich nach Osten kehrend mit erhobenem rechten Arme Zeichen zu geben, was man zum Wohle des Hauses erledigen soll. So macht er die Seele gegen Sonnenaufgang gewendet durch die Straßen des ganzen Körpers hin. Sie legt den Willen gleichsam als den rechten Arm auf den Grund der Adern und des Markes, um den ganzen Körper zu bewegen; denn der Wille tut alles, das Gute und das Böse.

Wie das Feuer im Ofen, so kocht der Wille jedes Werk. Das Brot wird gebacken, damit es die Menschen verzehren, davon Kraft bekommen und also leben können. So ist auch der Wille die Starke des ganzen Werkes. Er zermahlt es in der Überlegung, gibt in seiner Stärke den Sauerteig hinein und zermürbt es in seiner Härte. So bereitet er das Werk in dessen Prüfung zu, kocht es in seiner Hitze und gibt auf diese Weise dem Menschen eine kräftigere Nahrung als im Brote. Denn während die Speise manchmal im Menschen aufhört, währt das Werk des Willens bis zur Trennung von Leib und Seele fort. Ist auch das Wirken des Kindes, des jungen Menschen, dessen, der in der Vollkraft steht, und des vom Alter Niedergebeugten sehr verschieden, immer schreitet es im Willen einher und zeigt in ihm seine Vollendung. Der Wille hat in der Brust des Menschen ein Gezelt, das Gemüt- (bin)

Wille (11)  Und darin leit der Wille, der stirbet nimmer. Wer kennet die mysteria des Willens sampt seiner Macht? Ist doch GOtt selbst nur ein großer Wille, der durchdringt alle Ding ob seines hohen Elferns. Der Mensch stehet den Engeln nach, ja letztlich dem Tode selbst, nur kraft der Schwäche seines so matten Willens.  - Joseph Glanvill, nach: Edgar Allan Poe, Ligeia. Nach E. A. P., Werke I. Olten 1966:


Ich Motiv Antrieb

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