ereinigung  Das einzige Ziel allen Strebens eines guten Muselmanen ist die innige Vereinigung mit Gott. Verschiedene mystische Verfahren sollen die Gläubigen diesem Zustand der Vollendung näherbringen, und jede Bruderschaft verfügt über eine eigene Methode der Vorbereitung. Im allgemeinen versetzt diese Methode den einfachen Jünger des Glaubens in einen Zustand völliger Abgestumpftheit, die ihn zu einem blindgefügigen Werkzeug in den Händen seines Meisters werden läßt.

Jeder Orden hat einen Scheik an der Spitze, den Meister des Ordens: »Du wirst in den Händen deines Scheiks sein wie der Leichnam zwischen den Händen des Totenwäschers. Gehorche ihm in allem, was er befohlen hat, denn es ist Gott selbst, der mit seiner Stimme gebietet. Ihm nicht gehorchen heißt, den Zorn Gottes herausfordern. Vergiß nie, daß du sein Knecht bist und nichts tun darfst, was er nicht befohlen hat.

Der Scheik ist der Liebling Gottes; er ist allen anderen Geschöpfen überlegen und steht im Rang gleich unter dem Propheten. Du sollst also nichts sehen als ihn, ihn allein und überall. Verbanne aus deinem Herzen jeden anderen Gedanken als den, der entweder Gott oder den Scheik zum Gegenstand hat.«

Dieser geheiligten Persönlichkeit unterstehen als Nächste die Mozuadden, gleichsam Vikare des Scheiks und Verbreiter der Lehre.

Schließlich sind die einfachen Jünger des Ordens, die Khuan oder Brüder, zu nennen.

Jede Bruderschaft hat ihre eigenen Gebetformeln und, man kann wohl sagen, ihre besondere Abstufungsgymnastik, um den Zustand des Halluzinierens zu erreichen, in welchem der Mensch mit der Gottheit eins wird. Diese spezielle Methode nennt man Dirkr.

Meist handelt es sich um eine ganz kurze Anrufung oder besser, den Ausruf eines Wortes oder Satzes in endloser Wiederholung.

Die Adepten wiederholen unter gleichmäßigen Bewegungen von Kopf und Hals zweihundert-, fünfhundert-, ja tausendmal hintereinander, sei es das Wort »Gott«, sei es in ihren Gebeten immer wieder auftretende Formel: »Es gibt keine Gottheit außer Gott«, der sie noch einige Zeilen in einer Anordnung folgen lassen, welche jeweils für eine Bruderschaft kennzeichnend ist.

Der Neubekehrte heißt bei seinem Eintritt in den Orden Talamid, nach seiner Weihe wird er Murid, dann Fakir, Sufi, Salsk und schließlich Med Jedub, der Entrückte. In diesem Stadium machen sich bei ihm die Inspiration oder aber der Irrsinn bemerkbar, da sich der Geist von der Materie löst und nur noch dem Antrieb einer Art mystischer Hysterie gehorcht. Der Mensch gehört dann nicht mehr dem körperlichen Dasein. Einzig das geistige Leben existiert noch für ihn, und er bedarf auch nicht mehr der Observanz der kultischen Übungen.

Über diesen Zustand hinaus gibt es nur noch den des Tuhid, der die höchste Sellgkeit, die Identifizierung, das Einswerden mit Gott bedeutet.

 Auch die Ekstase hat ihre Abstufungen, die der Scheik Snussi sehr eigenartig beschrieben hat. Er war Anhänger des Ordens der Kheluatya, die sich durch seherische Traumdeutung hervortun. Man wird die merkwürdigen Parallelen kaum übersehen können, die sich zwischen dieser und der christlichen Mystik aufdrängen.

Scheik Snussi schreibt: ... 'Der Adept erfreut sich sodann der Manifestation weiterer Lichter, die für ihn der wirksamste Talisman sind.

Die Anzahl der Lichter ist siebzigtausend. Sie unterteilt sich in mehrere Gruppen, aus denen die Sieben Stufen, die zum Vollkommenheitsstadium der Seele führen, gebildet werden. Die erste dieser Stufen ist die Menschlichkeit. Die für diesen Zustand reifen Gläubigen werden dort zehntausend Lichter sehen, deren Farbe fahl ist. Sie vermischen sich untereinander... Um die zweite Stufe erreichen zu können, muß das Herz geheiligt sein. Man entdeckt zehntausend weitere Lichter, die dieser zweiten Stufe eigen sind, der Ekstase der Leidenschaft. Ihre Farbe ist hellblau... Man gelangt zur dritten Stufe, der Ekstase des Herzens. Hier sieht man die Unterwelt und ihre Attribute sowie zehntausend weitere Lichter, deren Farbe so rot ist wie die einer remen Flamme... Dies ist der Punkt, der die Genien mit allen ihren Attributen zu sehen erlaubt.

Im Höherschreiten zur nächsten Stufe sieht man zehntausend neue Lichter, die dem Zustand der Ekstase der körperlichen Seele zugehören. Diese Lichter sind von kräftig gelber Farbe, und man erkennt in ihnen die Seele der Propheten und Heiligen.

Der fünfte Grad ist der einer mystischen Ekstase, die alle Engel und zehntausend neue Lichter von leuchtendem Weiß erkennen läßt.

Die sechste ist die der ekstatischen Besessenheit. Man ergötzt sich an zehntausend neuen Lichtern, die wie klare Spiegel gefärbt sind. An diesem Punkt angelangt, empfindet man eine besellgende Verzückung des Geistes, die El-Khadir heißt und das Prinzip des geistigen Lebens ist. Erst in diesem Zustand sieht man unseren Propheten Mohammed.

Schließlich gelangt man zu den letzten, verborgenen zehntausend Lichtern, nachdem man die siebente Stufe erreicht hat, die die Seligkeit ist. Diese Lichter sind grün und weiß; aber sie sind allmählichen Veränderungen unterworfen: So gehen sie zu den Färbungen der Edelsteine über, nehmen dann wieder eine helle Schattierung an und scheinen endlich in einer Tönung, die mit nichts vergleichbar ist, die es nirgends gibt, und sich dennoch über das ganze Weltall breitet... Ist man zu diesem Stadium vorgedrungen, enthüllen sich die Attribute Gottes... Es ist nicht mehr, als gehöre man noch zu dieser Welt. Die irdischen Dinge schwinden dahin.«  - (err)

Vereinigung (2)  Das gemeinschaftliche Essen ist eine sinnbildliche Handlung  der Vereinigung. Alle Vereinigungen außer der Ehe sind bestimmt gerichtete, durch ein Object bestimmte, und gegenseitig dasselbe bestimmende Handlungen. Die Ehe hingegen ist eine unabhängige, Totalvereinigung. Alles Genießen, zueignen, und assimiliren ist Essen, oder Essen ist vielmehr nichts, als eine Zueignung. Alles Geistige Genießen kann daher durch Essen ausgedrückt werden -. In der Freundschaft ißt man in der That von seinem Freunde, oder lebt von ihm. Es ist ein ächter Trope den Körper für den Geist zu substituiren - und bey einem Gedächtnißmale eines Freundes in jedem Bissen mit kühner, übersinnlicher Einbildungskraft, sein Fleisch, und in jedem Trunke sein Blut zu genießen. Dem weichlichen Geschmack unserer Zeiten kommt dis freylich ganz barbarisch vor - aber wer heißt sie gleich an rohes, verwesliches Blut und Fleisch zu denken. Die körperliche Aneignung ist geheimnißvoll genug, um ein schönes Bild der Geistigen Meinung zu seyn - und sind denn Blut und Fleisch in der That etwas so widriges und unedles? Warlich hier ist mehr, als Gold und Diamant und die Zeit ist nicht mehr fern, wo man höhere Begriffe vom organischen Körper haben wird. - Novalis, Teplitzer Fragmente (1798)

Vereinigung (3)   Man kennt Völker, bei denen man für Vater und Mutter kein würdigeres Grab weiß als den eigenen Magen, und die Christen nähren sich wohl von Gottes Fleisch und Blut. Wie auch könnte man sich inniger vereinigen mit dem, was man liebt, als dadurch, daß man es ißt? Wenn wir keine Menschenfresser geblieben sind, so kommt dies vielleicht nur daher, daß wir gewisse Indiskretionen, gewisse Promiskuitäten, gewisse Abneigungen und Mißbräuche vermeiden möchten. Vielleicht nur aus einem hygienischen Bedürfnis, wie man das Abendmahl nicht mehr unter beiderlei Gestalt genießt?   - Marcel Jouhandeau, Das Leben und Sterben eines Hahns. Tiergeschichten. Stuttgart 1984 (zuerst 1947)

Vereinigung (4)  Benennung der totalen Vereinigung: sie ist die »einzige und einfache Lust«, »die unbefleckte und ungetrübte Freude, die Vollkommenheit der Träume, das Ziel aller unserer Hoffnungen«, »die göttliche Herrlichkeit«, das heißt: die ungeteilte Ruhe. Weiter: die Erfüllung des Besitzanspruches; ich träume davon, daß wir einander im Sinne einer absoluten Aneignung besitzen; das ist die genußbringende [fruitive] Vereinigung, der Genuß [fruition} der Liebe (ist das Wort pedantisch? Mit seinem plastischen Anlaut und dem scharfen Vokalgeriesel fügt es der Wollust, von der es spricht, noch einen oralen Genuß hinzu; wenn ich es ausspreche, genieße ich diese Vereinigung mit dem Munde).   - (barthes)

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