ehnsucht  Ich sehne mich nach einer furchtbaren Katastrophe. Erdbeben. Grandiose Explosion. Ihre Mutter ist wenn auch unsäuberlich, so doch sofort und für immer beseitigt, ebenso wie alle anderen auf Meilen im Umkreis. Lolita wimmert in meinen Armen. Ein freier Mann, nehme ich sie zwischen den Trümmern in Besitz. Ihre Bestürzung, meine Erklärungen, Beteuerungen, Winseleien. Müßige, idiotische Phantasiegespinste. Wäre Humbert nicht so feige, hätte er höchst abscheulich mit ihr gespielt (gestern zum Beispiel, als sie wieder in mein Zimmer kam, um mir ihre Zeichnungen, Schulkunstprodukte, zu zeigen); er hätte sie bestechen können, ohne daß es herausgekommen wäre. Ein unkomplizierterer und sachlicherer Mensch hätte sich nüchtern an käuflichen Ersatz gehalten - falls man weiß, wo er zu finden ist, ich weiß es nicht. Trotz meines männlichen Aussehens bin ich furchtbar schüchtern. Meiner romantischen Seele wird ganz klamm und schaurig bei dem Gedanken, in irgendeine greulich indezente Unannehmlichkeit zu geraten.   - (lo)

Sehnsucht (2) Es hatte nur einiger ordinärer Bemerkungen, gewisser Geräusche, eines Stöhnens, vielsagender Schreie hinter einer Wand bedurft, um ihn so zu verwirren. Als ob er gerade eine erschreckende Entdeckung gemacht hätte.

Ja, er hatte tatsächlich eine gemacht; durch diese Worte, von denen er wußte, daß es sie gab, weil er sie schon gehört hatte, von Schulkameraden ausgesprochen, oder sie in Pissoirs gelesen hatte. Über die verschiedenen Arten des Geschlechtsverkehrs hatte er theoretische Kenntnis aus Büchern, die er heimlich gelesen hatte, und aus Zeitungsartikeln. Diese Raserei, dieser Taumel, diese Bestialität — Ja, sogar in der Bibel wurde davon gesprochen!

Aber zu wissen, daß in seinem Hause von ihm, von seiner Frau, von seinem Sohn, von ihrem Leben, ihren Tabus, von dem, was sie glaubten, nur durch eine einfache Wand getrennt, Menschen so etwas taten —

Warum seine plötzliche Sucht, mehr davon zu erfahren, mehr zu hören, mit diesen Leuten bekannt zu werden?

Denn er hatte sie drei Nächte hintereinander belauscht, hatte sich gezwungen, nicht einzuschlafen, obwohl ihm sonst sein Schlaf so teuer war, war enttäuscht gewesen, wenn sich nichts oder nichts Besonderes ereignete.

Er hatte den Mann gesehen, der größer war als er, stärker als er und schöner als er. Er wirkte nicht wie ein unglücklicher Mensch, der von seinem Laster angefressen wurde und den Gewissensbisse quälen. Er strotzte vor Gesundheit, war das personifizierte leichte freie Leben. - Georges Simenon, Der Umzug. München 1971 (Simenon-Romane  117, zuerst 1957

Sehnsucht (3)   Glauben Sie mir junger Mann! Der Kommis hat auch Stunden, wo er sich auf ein Zuckerfaß lahnt, und in süße Träumereien versinkt; da fallt es ihm dann wie ein Fünfundzwanzig-Pfund-Gewicht aufs Herz, daß er von Jugend auf ans G'wölb gefesselt war, wie ein Blassel an die Hütten. Wenn man nur aus unkompletten Makulaturbüchern etwas vom Weltleben weiß, wenn man den Sonnenaufgang nur vom Bodenfenster, die Abendröte nur aus Erzählungen der Kundschaften kennt, da bleibt eine Leere im Innern, die alle Ölfässer des Südens, alle Heringfässer des Nordens nicht ausfüllen, eine Abgeschmacktheit, die alle Muskatblüt Indiens nicht würzen kann.  - Johann Nestroy, Einen Jux will er sich machen In: J. N., Werke, Hg. O. M. Fontana. Darmstadt 1968 (zuerst 1842)

Sehnsucht (4)  
Wünsche
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Synonyme