- (
kere
)
Unverwundbarkeit (2) Um seiner Rolle zu entsprechen,
braucht der Held Mut, und Sabaté
hatte seinen Mut bewiesen. Ein Held muß aber auch schlau
und scharfsinnig sein. Überdies braucht er Glück,
oder - um es mythisch zu sagen - er muß unverwundbar
sein. Wenn er Fallen sowohl bemerkt als auch zu umgehen
vermag, dann hat er für jene Eigenschaften durchaus den Beweis erbracht. Ein
Held braucht aber auch Siege, und dafür standen die Beweise noch aus. Sie würden
aber außer durch Tötung von Polizisten nach rationalem Ermessen wohl kaum zu
erbringen sein. Aber für die Armen, die Unterdrückten und Unwissenden, deren
Horizont kaum bis zur Stadtgrenze reicht, sondern meistens nur bis zur Grenze
ihres barrio, ist es schon Sieg genug, wenn es einem »Outlaw« überhaupt
gelingt, trotz der konzentrierten Macht der Reichen und ihrer Schergen und Kerkermeister
zu überleben. Daß Sabaté dazu fähig wäre, bezweifelte in Barcelona - einer Stadt,
die mehr kompetente Richter zur Beurteilung von Rebellenqualitäten hervorbringt,
als fast jede andere - keiner mehr; Sabaté selbst am allerwenigsten. - (
hob
)
Unverwundbarkeit (3) Urkundlich belegte Geschichten vom Tod der Banditen lauten folgendermaßen: Oleksa Dovbus, der Karpatenbandit des 18. Jahrhunderts, wurde nicht von seiner Geliebten Erzika verraten, wie dies im Lied behauptet wird, sondern ein Bauer namens Stepan Dzvinka, dem er einst geholfen hatte, erschoß ihn hinterrücks. Verraten wurden Salvatore Giuliano, Angiolillo und Diego Corrientes. Wie anders konnten solche Männer sterben?
Waren sie nicht unsichtbar und unverwundbar?
Von echten »Volksbanditen« nimmt man dies stets an, wodurch sie sich wahrscheinlich
von anderen Desperados unterscheiden. In diesem Glauben spiegelt sich die
Identifizierung der Banditen mit der Bauernschaft. Bis zur Unkenntlichkeit
verkleidet oder im Gewand der unscheinbaren Einheimischen gehen diese Banditen
durch das Land, und solange sie sich nicht von selbst offenbaren, bleiben
sie von den Truppen der Obrigkeit unerkannt. Da sie keiner verrät und weil
sie sich durch nichts von den einfachen Leuten unterscheiden, sind sie
so gut wie unsichtbar. Dieser Beziehung geben die Anekdoten bloß symbolischen
Ausdruck. Um ein einigermaßen komplexeres Phänomen scheint es sich bei
ihrer Unverwundbarkeit zu handeln. Auch hier spiegelt sich bis zu einem
gewissen Grade jene Sicherheit wider, die Banditen inmitten ihres eigenen
Volkes und auf eigenem Boden genießen. Andrerseits drückt sich darin aber
auch der Wunsch aus, daß man den Helden des Volkes nicht besiegen kann.
Solche Wünsche sind es auch, welche die immerwährenden Mythen vom guten
König - und vom guten Banditen - schaffen, an dessen Tod man nicht glaubt,
sondern man nimmt an, er würde eines Tages wiederkommen und dann von neuem
die Gerechtigkeit herstellen. Die Weigerung, an den Tod des Banditen zu
glauben, ist ein Kriterium für seinen Adel. Sergente Romano wurde demnach
nicht wirklich getötet, man kann ihn noch immer einsam und geheimnisvoll
die Landschaft durchstreifen sehen; Pernales - einer von mehreren Banditen
Andalusiens, von denen man solche Geschichten erzählt - ist »eigentlich«
nach Mexiko entkommen, und Jesse
James hat sich nach Kalifornien retten können. Denn die Niederlage
und der Tod eines Banditen bedeuten die Niederlage seines Volkes, und was
noch ärger ist, auch das Ende der Hoffnung. Die Menschen vermögen es, ohne
Gerechtigkeit zu leben, und im allgemeinen werden sie dazu gezwungen, doch
können sie nicht ohne Hoffnung leben.
Die Unverwundbarkeit der Banditen
ist aber nicht allein symbolisch zu verstehen. Beinahe immer ist sie auf
eine Magie zurückzuführen, die das Wohlwollen der
göttlichen Wesen widerspiegelt, welche sich für die Angelegenheiten des
Banditen interessieren. Die Banditen Süditaliens trugen Amulette,
die von Papst oder König
geweiht worden waren, und sie wähnten, unter dem Schutz der Heiligen Jungfrau
zu stehen. - (
hob
)
Unverwundbarkeit (4) In seinem Herzen fand Pater Jacopo wohl heraus, daß die beispiellose Einsamkeit dieser Frau und ihr ebenso beispielloser Hochmut ein und dieselbe Todsünde waren. Lange grübelte er darüber nach, auf welche Weise er den Kampf mit ihr aufnehmen könne, und schalt sich selbst einen unwürdigen Priester, weil er keine Antwort zu finden vermochte. Er fastete und wachte in der Hoffnung, dadurch seine weiche Natur zu stärken und die richtige geistige Waffe für die Kraftprobe zu finden. Hungrig und erschöpft auf dem steinernen Fußboden kniend, kämpfte er seinen. Kampf um die Frau, die sich zur gleichen Stunde an Leckerbissen und reichlichem Wein gütlich tat oder friedlich hinter den Seidenvorhängen ihres Himmelbetts des Schlummers pflog.
Einen Augenblick redete sich Pater Jacopo ein, die unfaßliche Einsamkeit Lady Floras sei vielleicht für sie ein Weg des Heils. Welche Einsiedlerin in der Wüste, welche Säulenheilige, gerühmt durch alle Zeiten, würde er aus ihr machen können! Doch wies er den Gedanken als gefährliche Versuchung wieder ab. Er war, fühlte er, gleichzeitig zu bequem und zu vermessen. Vor seinem geistigen Auge - denn er war ein Mann von höchst lebendiger Phantasie - sah er das Schottenweib oben auf ihrer Säule ragen, aufrecht, kolossal und stets schwindelfrei, eins mit dem Marmor, auf welchem sie stand. Von ihrer Höhe herab würde sie auf die Männer und Frauen zu Füßen der Säule blicken, neu bestärkt In ihrer Überzeugung von der Stecknadelgröße der Menschen, oder sie würde ruhig aufwärts schauen, mächtig bestätigt nun in ihrer Überzeugung, daß der Himmel leer sei. Entsetzlich wäre sie - die Eremitin mit dem heiteren, grimmigen Lächeln - droben auf ihrem Podest!
»Nein«, dachte Pater Jacopo, »auf den niederen, rauhen Wegen der Menschheit, auf den Straßen, Gassen und Landstraßen, auf denen Menschenfüße sich dahinschleppen - auf denen muß meine hochfahrende Lady zum Himmel wandeln.«
So entschloß er sich und sprach ihr zuerst von der Einheit alles Erschaffenen.
»Ich weiß«, sagte die Lady, »Ihr Evangelisten der Einheit verkündet zuerst,
daß einer nicht für sich und er selbst sein soll. Das aber ist meine Unversehrbarkeit.
Ich habe nicht geheiratet, ich habe keinen Liebhaber genommen, der Gedanke an
Kinder stößt mich ab - alles nur, weil ich wünsche, in meiner Haut einzig und
allein zu sein.« -
Tania Blixen, Widerhall. Letzte Erzählungen. München 1968
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