prechen   Blatten, brabbeln, diebern, flicken, kaspern, loschen, parlen, schranzen, spritzen, truschen. - (pu)

Sprechen (2) Des Krösus Sohn konnte, als er längst das sprechfähige Alter erreicht hatte, noch nicht sprechen, und auch als er weiter herangewachsen war, brachte er keinen Laut hervor. So galt er lange Zeit als stumm und sprachlos. Als aber sein Vater in einer verheerenden Schlacht besiegt worden war, geschah es, daß in der Stadt, in der er eingeschlossen, ein feindlicher Krieger, der in ihm nicht den König erkannte, mit gezücktem Schwert auf ihn eindrang. Da nun öffnete der junge Mann seinen Mund, versuchte zu schreien, und durch diese Kraftanstrengung überwand er seine Sprachhemmung, löste gewissermaßen seiner Zunge Band und begann deutlich und vernehmbar zu sprechen. Er schrie dem feindlichen Krieger zu, der König Krösus dürfe nicht getötet werden. Da zog der Feind sein Schwert zurück, dem König ist das Leben geschenkt, und von Stund an begann der junge Mann zu sprechen.

In seinen ›Geschichtserzählungen‹ hat Herodot diese Begebenheit aufgezeichnet; seinem Bericht nach waren dies die ersten Worte, die der Krösus-Sohn ausrief: »Mann, töte den Krösus nicht!« - (gel)

Sprechen (3)  Erst radikale Veränderungen im Körperbau lockerten dem Urmenschen die Zunge.

Kürzlich entdeckte der französische Forscher Michel Brunet im Tschad den Schädel eines sechs bis sieben Millionen Jahre alten Hominiden. Zuvor muss sich der gemeinsame Stammbaum von Mensch und Schimpanse aufgespalten haben. "Das war zugleich auch eine wichtige Zäsur auf dem Weg zur Sprache", erläutert der Bielefelder Linguistik-Professor Peter Finke.

Von da an hat sich der Körperbau des menschlichen Vorfahren einschneidend verändert, bis er anatomisch überhaupt in der Lage war, die komplizierten Laute der Sprache zu bilden. Zu den körperlichen Voraussetzungen einer komplexen Lautsprache, so hat unlängst der Neuropsychologe Robert Provine von der University of Maryland herausgefunden, zählt vor allem der aufrechte Gang.

Ohne den aufrechten Gang, so Provine Provine, sei keine Atmung möglich, mit der sich vernünftig sprechen lässt. Bei Vierbeinern wie Hunden und Katzen beobachtete der Forscher, dass sie bei jedem Schritt einmal einatmen — im Gegensatz zum Menschen, der aufrecht stolzierend mehrere Schritte machen kann, bis er wieder Luft in seine Lungen saugen muss.

"Der aufrechte Gang, der eine veränderte Atmung ermöglichte, ist das Schlüsselereignis für die Entwicklung der Sprache", sagt Provine. - Der Spiegel 43 / 2002

Sprechen (4) Man nehme z. B. die Batrachier [Froschlurche]: wie sie, in ihren Bewegungen, schwerfällig, träge und langsam sind, so sind sie auch unintelligent und dabei von äußerst zähem Leben; welches Alles sich daraus erklärt, daß sie, bei gar wenigem Gehirn, sehr dickes Rückenmark und Nerven haben. Ueberhaupt aber ist der Gang und die Armbewegung hauptsächlich eine Gehirnfunktion; weil die äußern Glieder, mittelst der Rückenmarksnerven, vom Gehirn aus ihre Bewegung und jede, auch die kleinste Modifikation derselben erhalten; wie denn auch eben dieserhalb die willkürlichen Bewegungen uns ermüden, welche Ermüdung, eben wie der Schmerz, ihren Sitz im Gehirn, nicht, wie wir wähnen, in den Gliedern hat, daher sie den Schlaf befördert; hingegen die nicht vom Gehirn aus erregten, also unwillkürlichen Bewegungen des organischen Lebens, des Herzens, der Lunge u. s. w. unermüdlich fortgehn. Da nun dem selben Gehirn sowohl das Denken, als die Lenkung der Glieder obliegt; so prägt der Charakter seiner Thätigkeit sich im einen, wie im andern aus, je nach Beschaffenheit des Individuums: dumme Menschen bewegen sich wie Gliedermänner; an geistreichen spricht jedes Gelenk. - (schop)

Sprechen (5)  Was mache ich da. Hat sie sich darum in einigem Abstand von mir hingelegt, die liebe Sprache? So wird sie natürlich immer schneller sein als ich, aufspringen und wegrennen, wenn ich von meiner Abseits-Stelle zu ihr hinüber gehe, um sie zu holen. Ich weiss es nicht, warum ich sie holen sollte. Damit sie mich nicht holt? Vielleicht weiß sie es, die mir davon gelaufen ist, die mir nicht folgt. Die nur dem Schauen und Sagen der anderen folgt, und die kann sie nun wirklich nicht mit mir verwechseln. Die sind anders, weil sie die anderen sind, aus keinem anderen Grund, als dass sie die anderen sind. Das genügt meinem Sprechen schon. Hauptsache, ich tue es nicht, sprechen.  - Elfriede Jelinek, Nobelpreisrede (Nach: Berliner Zeitung vom 8. Dezember 2004)

Sprechen (6)  Die Dämonen sprechen in den angenommenen Körpern mit den Hexen, sehen, hören, essen, zeugen: wie ist dies zu verstehen? — Es ist zum ersten zu sagen, daß zum wahren Sprechen drei Dinge gehören: nämlich eine Lunge mit Einziehung der Luft, die nicht nur zur Stimmebildung, sondern auch zur Kühlung des Herzens nötig ist, weshalb auch die Stummen die Atmung nötig haben. Zweitens gehört dazu, daß (das Sprechen) durch den Stoß eines Körpers in der Luft gebildet werde: so wie wenn jemand mit einem Stück Holz die Luft oder eine Glocke erschüttert, er dann einen lauten oder leisen Klang hervorbringt. Denn die Materie, die an sich nicht tönend ist, gibt, wenn sie von einem tönenden Instrumente gestoßen wird, einen Ton, je nach der Größe des Körpers; er wird in die Luft aufgenommen und vervielfältigt bis zu den Ohren des Hörenden; ist dieser weit entfernt, so muß er augenscheinlich näher kommen. — Drittens ist nötig, die Stimme; und man kann sagen, daß „Ton" bei unbeseelten Körpern bei beseelten „Stimme" heißt: hier gibt es eine Zunge, die die eingeatmete und wieder ausgestoßene Luft in dem von Qott gegründeten Instrument und Gefäße, das natürliches Leben hat, stößt, was bei der Glocke nicht ist; darum heißt hier Ton, was dort Stimme heißt. — Dieser dritte Punkt kann durch den zweiten ausgelegt werden; und ich habe es deshalb so niedergeschrieben, damit die Prediger einen Fingerzeig hätten, es dem Volke klar zu machen. — Viertens ist nötig, daß der, welcher die Stimme bildet, seinen Gedanken einem anderen durch die Stimme ausdrücken will; und damit der ihn verstehe, deshalb bildet er die Stimme, d. h. er artikuliert im Munde der Reihe nach, indem er die Zunge an die Zähne stößt, die Lippen schließt und öffnet und die im Munde gestoßene Luft nach der äußeren Luft ausschickt, so daß die Stimme, vervielfältigt, nach und nach zu den Ohren des Hörenden gelangt, der dann den Gedanken des anderen erfaßt.

Zur Sache. — Die Dämonen entraten der Lunge, wie der Zunge, doch können sie eine künstliche zeigen, nach der Eigenart des Körpers, wie auch Zähne und Lippen: daher können sie nicht wirklich und eigentlich sprechen. Aber weil sie Verstand haben, so stoßen sie, wenn sie einen Gedanken ausdrücken wollen, nicht durch Stimme, sondern durch Töne, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Stimmen haben, nicht wie bei den Menschen, die eingeatmete und eingenommene Luft, sondern die im angenommenen Körper eingeschlossene Luft und schicken sie artikulierend an die äußere Luft, bis zu den Ohren des Hörenden. Daß ohne aufgenommene und eingeatmete Luft etwas Ähnliches wie eine Stimme entstehen könne, zeigt sich an gewissen Tieren, die nicht atmen, und an bestimmten Instrumenten, die eine Stimme haben sollen, wie der Philosoph, de anima II sagt. Halex nämlich gibt, wenn er aus dem Wasser gezogen wird, plötzlich einen Ton von sich und stirbt.  - Jakob Sprenger, Heinrich Institoris: Der Hexenhammer. München 1985 (dtv klassik, zuerst 1487)

Sprechen (7)  Wenn  Sokrates zu einem Jünglinge, der ihm, damit er dessen Fähigkeiten prüfe, vorgestellt wurde, gesagt hat: »sprich, damit ich dich sehe«; so hatte er (angenommen, daß er unter dem Sehn nicht das bloße Hören verstand) zwar insofern Recht, als erst beim Reden die Züge, besonders die Augen, des Menschen sich beleben und seine geistigen Mittel und Fähigkeiten dem Mienenspiel ihren Stempel aufdrücken, wodurch wir alsdann den Grad und die Kapacität seiner Intelligenz vorläufig abzuschätzen im Stande sind; welches eben hier der Zweck des Sokrates war. Sonst aber ist dagegen geltend zu machen, erstlich, daß Dieses sich nicht auf die moralischen Eigenschaften des Menschen erstreckt, als welche tiefer liegen, und zweitens, daß was wir, beim Reden des Menschen, an der deutlicheren Entwickelung seiner Gesichtszüge durch sein Mienenspiel, objective gewinnen, wir wieder subjective verlieren, durch die persönliche Beziehung, in welche er zu uns sogleich tritt, und welche eine leise Fascination herbeiführt, die uns nicht unbefangen läßt; wie oben ausgeführt worden. Daher mochte, von diesem letzteren Gesichtspunkte aus, es richtiger seyn, zu sagen: »Sprich nicht; damit ich dich sehe.«

Denn um die wahre Physiognomie eines Menschen rein und tief zu erfassen, muß man ihn beobachten, wann er allein und sich selbst überlassen dasitzt. Schon jede Gesellschaft und sein Gespräch mit einem Andern wirft einen fremden Reflex auf ihn, meistens zu seinem Vortheil, indem er durch die Aktion und Reaktion in Thätigkeit gesetzt und dadurch gehoben wird. Hingegen allein und sich selber überlassen, in der Brühe seiner eigenen Gedanken und Empfindungen schwimmend, - nur da ist er ganz und gar er selbst. Da kann ein tief eindringender physiognomischer Blick sein ganzes Wesen, im Allgemeinen, auf Ein Mal erfassen. Denn auf seinem Gesichte, an und für sich, ist der Grundton aller seiner Gedanken und Bestrebungen ausgeprägt, der arrêt irrévocable [unwiderrufliche Ratschluß] Dessen, was er zu seyn hat und als was er sich nur dann ganz empfindet, wann er allein ist.   - (schop)

Sprechen (8)  Habe man die Funktion von Historie erst einmal entsprechend begriffen, erscheine einem das Sprechen der Menschen in einem völlig andern Licht. Das Sprechen der Menschen wirke mit einem Mal sonderbar unwirklich. Immer wieder merke man, daß dieses Sprechen nichts anderes sei als der vergebliche Versuch, das Aufeinanderprallen von Körpern und Gegenständen in Worte zu fassen. Dieses Aufeinanderprallen von Körpern und Gegenständen sei jedoch immer ein an anderen Körpern beobachtetes und für den eigenen Körper befürchtetes. Es sei demnach fiktiv und werde mit Hilfe des Sprechens als primitiv magischem Akt ungeschehen zu machen oder zu verbannen versucht. Tatsächlich finde das Sprechen am Ende, wenn die Telefonzelle in die Luft fliege, in einer Art unartikuliertem Aufschrei wieder zu sich. Gerade das Unartikulierte sei nämlich ehrlich und unverstellt und erfülle das ursprüngliche Versprechen des Sprechens, das sich durch den Irrweg der Ausdifferenzierung in den Bereich der Lüge und Ausrede begeben habe.   - (rev)

Sprechen (9)  »Leider sprichst du hier Unfug. Meine Mutter war typisch deutsch, indem sie beschloss, bei den Hopi zu leben.

»Unfug.« Sie ließ sich das neue Wort auf der Zunge zergehen. »Leider sprichst du hier Unfug

»Indem du meinen Tonfall nachäffst, sprichst du das Wort perfekt aus«, sagte er. Fragte sich aber, ob es nicht doch nur seine Ohren waren, die sich ihr schon komplett ergeben hatten und keinen Unterschied mehr hören konnten.

»Ich konnte gar nicht Unfug sprechen, weil ich nicht das Wort Unfug gekannt habe. Aber ich werde jetzt wieder Fug sprechen.«

>Fug sprechen gibt es nicht.«

»Man kann nur Unfug sprechen?«

»Ja, nur Unfug.«

»Vielleicht du kannst nur Unfug sprechen. Ich kann nur Fug sprechen?«

»Es ist egal, was wir sprechen. Wenn man verliebt ist, kann man über alles sprechen, es geht nur darum, die Zeit herumzubringen, bis man wieder du weißt schon was machen kann.«

»Dem ersten Teil deiner Aussage stimme ich zu«, sagte sie. »Wenn man verliebt ist, kann man reden über Egaldinge. Es ist alles gleich interessant, weil es aus dem verliebten Mund kommt. Oder besser gesagt: in die verliebten Ohren. Das andere, was du sagtest, ist Unfug. Es geht nicht darum, die Zeit herumzubringen, bis man wieder du weißt schon was machen kann. Sondern das Sprechen selbst ist schon du weißt schon was.«

»Das stimmt. Das stimmt. Das stimmt. Das stimmt. Das stimmt. Das stimmt. Das stimmt«, sagte Benjamin Lee Baumgartner.  - Wolf Haas, Verteidigung der Missionarsstellung. Hamburg 2012

Menschensprache Täuschung Selbstdarstellung
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