Was in der Gegenwart geschieht, kann weitreichende Folgen haben: Die Frau und der Teufel. Nur Menschen können die weitreichenden Auswirkungen des Verhaltens erfassen. Das gibt unserer Art viele Vorteile in ihrem Kampf gegen andere Arten, macht es aber oft schwierig, unter den vielen möglichen und unmöglichen Handlungsweisen, die sich der Verstand ausdenken kann, eine auszuwählen. Eine solche Wahl hat im Tierreich keine Entsprechung. Um die Entscheidung zu erleichtern, haben Gesellschaften allgemeine Leitsätze entwickelt. Diese Statue aus dem dreizehnten Jahrhundert befindet sich am Mitteljoch des Südportals der Kathedrale von Chartres in Frankreich. Sie zeigt die Schrecken, die derjenige erlebt, den der Teufel zur Strafe für sein sündiges Leben am Jüngsten Tag zur Hölle führt. Für den Verfasser sehen die beiden Gestalten eher wie ein Paar aus, das sich gerade zu einem Rendezvous trifft, und genau das könnte der unbekannte Bildhauer im Sinn gehabt haben. |
- (
zeit
)
Rendezvous (2) Wenn er für seine Reisen
etwas plante, dann waren das Ungewißheiten,
und zwar noch und noch: den und den Anschluß zu versäumen, den und den möglichen
Partner zu verpassen, oder ihn vielleicht nicht zu erkennen, oder besser: sich
ihm nicht zu erkennen zu geben, den andern, selber unsichtbar, zu beobachten,
wie er das Lokal, die Hotelhalle, den Bahnsteig absuchte nach dem großen Unbekannten;
und nicht nur einmal hatte er so sein Rendezvous dann einfach ziehen lassen,
weder aus Abneigung noch aus Unlust, ihm selber unerklärlich, warum - in einer
Art magnetischen Zustands, der ihn, dabei eher lustvoll und abenteuerlich, an
seinen Versteckplatz bannte -, und sich danach einen schönen Tag oder Abend
allein gemacht. -
Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002
Rendezvous (3)
Rendezvous (4) Die
riesige Allee endete auf dem Gipfel des Plateaus. Inmitten der kahlen Heide,
über die in diesem Augenblick der düstere Morgenwind strich, erstreckte
sich im Spiegel der Nebelschwaden bald sichtbar werdend, bald verschwindend,
ein großer, runder Platz, sofort in seinem ganzen Umkreis am zarten, leuchtenden
Grün des Rasens kenntlich, der seine ganze Fläche genau ausfüllte und sich
mit seinem Glanz scharf von dem wüsten, struppigen und alles in allem schaurigen
Charakter des Gebüsches abhob, das den Hügel überzog. Steine lagen in Reihen
nachlässig hier und da verstreut, die den Flechten, die auf ihnen wuchsen
und sie nun bedeckten, die Farbe lang gebleichter Knochen verdankten, dabei
für das Auge den außergewöhnlichen Kreisumfang betonten und in der Seele
eine kaum erträgliche Verwirrung steigerten. Denn hier trafen Alleen, die
alle einem Ziel zustrebten und in jedem Punkt der genau glichen, der Heide
und Albert gefolgt waren, aus allen Himmelsrichtungen zusammen, und von
hier konnte der Blick ihre weite Flucht umfassen. Es fiele mir schwer,
dem Leser einen Eindruck von dem Gefühl zu vermitteln, das Heide und Albert
angesichts dieser ganz und gar unschicklichen Äußerung der vereinten
Kräfte von Natur und Kunst verspürten, wenn er nicht erkennt, daß der beweiskräftigste
Grund für die Beklemmung, die sich ihnen von
allen Seiten mitteilte, der einer unabänderlichen und dabei unverständlichen
Notwendigkeit war. Und vielleicht könnte der Ausdruck Rendez-vous
mit seinem Doppelsinn von Stelldichein und Selbstaufgabe - ein Wortspiel,
dessen abgrundtiefe Grausamkeit man hier fassen kann - der genau berechneten
Machenschaft nämlich und zugleich der vollständigen Aufgabe aller im engeren
Sinne defensiven Reflexe, den außerordentlich starken Eindruck übersetzen,
den die perverse Nutzlosigkeit dieses grandiosen Dekors den Betrachtern
dieser Szene unmittelbar mitteilte. - Julien Gracq, Auf Schloß Argol. Berlin 1987 (zuerst
1938)
Rendezvous (5) Ich
habe die Absicht, mich zu Fuß zur »Nouvelle France« zu begehen, wo Nadja um
halb sechs Uhr sein soll; um nicht zu lange umherzuschlendern, gehe ich gegen
vier Uhr weg. Gerade die Zeit, um einen Umweg über die Boulevards zu machen:
nicht weit von der Oper muß ich in einem Laden meinen reparierten Füllfederhalter
abholen. Gegen die Gewohnheit gehe ich auf dem rechten Trottoir der Rue de la
Chausse'e-d'Antin. Ich schicke mich an, den Passanten auszuwei-chen, und unter
den ersten ist Nadja, in ihrem Aussehen wie am ersten Tag. Es zeigt sich, daß
sie ganz unfähig ist, ihre Anwesenheit in dieser Straße zu motivieren, und um
längere Fragen abzuschneiden, behauptet sie, holländische Bonbons zu suchen.
Schon haben wir, ohne Absicht, kehrtgemacht und treten in das nächstbeste Café
ein. Nadja wahrt mir gegenüber einen gewissen Abstand, zeigt sich sogar mißtrauisch.
So dreht sie meinen Hut um, zweifellos um die Initialen auf dem Futter zu lesen,
obwohl sie es angeblich mechanisch macht, aus der unbewußten Gewohnheit, die
Nationalität gewisser Männer festzustellen. Sie gesteht, daß sie nicht zum vereinbarten
Rendezvous kommen wollte. Als ich sie traf, hatte ich bemerkt, daß sie in der
Hand das Exemplar der Pas Perdus hielt, das ich ihr geliehen habe. Jetzt
liegt es auf dem Tisch, und mit einem Blick auf den Schnitt sehe ich, daß nur
ein paar Blätter aufgeschnitten sind. Es sind die des Aufsatzes mit dem Titel:
»Der neue Geist«, wo ganz genau eine auffallende Begegnung
erzählt wird, die Louis Aragon, André Derain und ich eines Tages im Abstand
von ein paar Minuten hatten. Die Unentschlossenheit, die jeder von uns bei dieser
Gelegenheit bewies, die Verwirrung, mit der wir uns ein paar Augenblicke später
an einen Tisch setzten, um zu charakterisieren, womit wir es eben zu tun hatten,
dieser einzigartige mystische Ruf, der es Aragon und mir notwendig erscheinen
ließ, an dieselben Stellen wieder zurückzugehen, wo uns diese wirkliche Sphinx
in den Zügen einer bezaubernden Frau erschienen ist, die von einem Trottoir
zum anderen ging und an die Passanten Fragen stellte, diese Sphinx, die uns
einen nach dem anderen ausließ, so daß wir auf der Suche nach ihr die Linien
entlangliefen, die diese Punkte ihrerseits sehr launenhaft verbanden,
die Ergebnislosigkeit dieser Verfolgung, der die verstrichene Zeit jede Hoffnung
nahm - auf das ist Nadja sofort zugegangen. Sie ist erstaunt und enttäuscht
darüber, daß ich glaubte, der Bericht der flüchtigen Ereignisse an diesem Tag
könne einen Kommentar entbehren. Sie drängt mich, daß ich mich über den genauen
Sinn ausspreche, den ich ihm beimesse, und, da ich ihn veröffentlicht habe,
über den Grad der Objektivität, den ich ihm zubillige. Ich muß antworten, daß
ich darüber nichts weiß, daß mir auf einem solchen Gebiet einzig und allein
das Recht der Feststellung erlaubt scheint. - (nad)
|
|