So muß der Großtürke das Serail verlassen, wenn er seiner Frauen
überdrüssig ist. Wenn man keinen Appetit hat, muß man nicht bei Tisch bleiben,
sondern auf die Jagd gehen. - (
mont
)
- Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung
Ökonomie (3) Ein Teil der Kaninchen-Schwangerschaften wird nicht beendet, etwa bei Übervölkerung oder in trockenen Sommern, wenn Hungersnot droht. Die mehr oder minder entwickelten Embryonen werden aufgelöst; ihre Substanz wird in den Kreislauf der Mutter zurückgeführt. So gleicht sich der Verlust im inneren Haushalt aus; er ist geringer als bei der Fehlgeburt. In solchen Fällen wird auch, wie ich es bei einer meiner Siamesinnen beobachtete, der Wurf von der Mutter verzehrt.
Ein Beispiel für die lückenlose Ökonomie der Natur, in deren
Haushalt selbst das Geringste nicht verloren geht. Erstaunlicher noch ist in
diesem Falle das schmerzlose Werden und Vergehen der Geschöpfe; die Individuation
bleibt ein Traum in der Mutter oder wird von der
Mutter geträumt. - Ernst Jünger, Notat
vom 21.November 1965. Siebzig verweht I. Stuttgart 1980
Ökonomie (4) Die portugiesischen Kriegsschiffe
im 16. Jahrhundert unter Martin Alfonso de Sousa pflegten ihnen begegnende Kauffahrteischiffe
— meist arabische — zu entern, ihrer wertvollsten Ladung zu berauben, sie in
Brand zu schießen, danach zuzuschauen, wie die Überlebenden in ein Rettungsboot
kletterten, wie sie einander über Bord stießen oder umbrachten, in der Hoffnung,
zu den wenigen zu gehören, die in dem engen Boot eine Überlebenschance hatten,
um dann, wenn es losgemacht und Kurs auf die rettende Küste genommen hatte,
das Boot mit einem einzigen Schuß zu versenken. - Jürgen Manthey,
In Deutschland und um Deutschland herum. Ein Glossar. Frankfurt am Main 1995
Ökonomie (5) Man nehme das
Spiel; das Spiel wäre, von allem anderen abgesehen, ein riesiges Loch
im Haushalt eines Menschen. Also, unter meinen vielen Experimenten habe ich
auch versucht, nicht zu spielen, und zwar während ausreichend langer Perioden;
und trotzdem habe ich nie auch nur eine Lira mehr besessen. Wie das möglich
ist, weiß ich nicht, und meine Behauptung wird bestimmt jene zum Lachen bringen,
die sich mit all ihren Reden von der Vorherrschaft und Allmacht des Geistes
doch nicht von bestimmten positivistischen und mathematischen,
d. h. arithmetischen Vorstellungen lösen können; die Tatsache bleibt bestehen,
und ich kann sogar präzisieren, daß ich während jener Perioden die Summen für
das Spiel nicht durch andere, auch kleinere, Ausgaben ersetzt habe, im Gegenteil,
ich tat absolut nichts und beschränkte mich darauf, nicht zu spielen, was mich
schon durch den Wegfall der Kosten im Umfeld des Spiels einen enormen Profit
hätte verzeichnen lassen müssen. Also, die einzige Erklärung, die mir plausibel
erscheint, ist, daß die ökonomischen Gesetze überhaupt nicht positivistisch
sind, wie vielleicht alle Gesetze. - (
land3
)
Ökonomie (6) Sobald sich die Fahrgäste im Schlafwagen daran machten, in ihre hergerichteten Couchettes zu schlüpfen, klopfte er an die Türen der einzelnen Abteile und erkundigte sich in englisch akzentuiertem Französisch: »Haben Sie nicht zufällig ein kleines Krokodil gesehen? Ich habe mein kleines Krokodil verloren.«
Ihn beschäftigte das Problem: Wie stiftet man mit
einem Minimum an Worten ein Maximum an Unordnung?
Seine Mutter war Schauspielerin gewesen; er selber hatte bei der Artillerie
gedient, wo ihn hauptsächlich mathematische Fragen gefangennahmen. Hätte er
zum Beispiel auf einem belebten Platz die Frage nach dem verlorenen Krokodil
gestellt, wären die Leute sicherlich überrascht gewesen, aber die Hauseingänge,
die Nebenstraßen, die Straßenbahnen und Autos hätten als Fluchtwege seinem Satz
die größtmögliche Wirkung genommen. Daher entschied er sich für einen geschlossenen
Raum, und zwar zunächst für ein Restaurant. Dort verstand man seine Frage
falsch und empfahl ihm Schildkröte; wie er aber auf einem kleinen Krokodil beharrte,
stürzten einige Gäste aus dem Lokal, der Besitzer und der Oberkellner setzten
den Obersten vor die Tür. Dieser suchte in der Folge nach einem geschlossenen
Raum, aus dem es unmöglich war, ihn hinauszuwerfen. Er dachte eine Zeitlang
an einen Lift; aber dort hätte man seine Frage nicht geglaubt, obwohl er auf
den ersten Blick so aussah, als ob er ohne weiteres ein Krokodil spazierenführen
könnte. Er verfiel endlich auf einen Schlafwagen;
hier waren die Bedingungen für seinen Satz die denkbar besten. Die beschränkte
Zahl der Beteiligten wurde durch ihre Anteilnahme wettgemacht. -
Hugo Loetscher, Der Oberst. In: H. L., Der Buckel. Zürich 2004
Ökonomie (7) Alfinger lagerte im heißen weiten Tal des Magdalenenstromes. Er rechnete nach seinen Erfahrungen: für jede Menschensendung muß man das Fünf- oder Zehnfache fangen. Es war besser, nach Gold zu forschen.
Er schickte Kapitäne mit kleinen Abteilungen über den Fluß. Sie kamen in bergige Gegenden an den Porcefluß. Sie erzählten von Stämmen, die im Sumpf und auf Bäumen wohnten, es gebe da die Nutubes und Tuhames, die wären reich, bebauten Äcker, webten Stoffe und hätten auch einiges Gold. Aber man brachte nicht viel mit. Da ließ sich Alfinger auf sein Pferd setzen, kaute Kokablätter und befahl den Marsch östlich, das Tal des Lebrijaflusses aufwärts. Sie kamen an einen großen Ort. Alfinger befahl, alle Einwohner zu fassen und in eine Umzäunung zu sperren, die er errichten ließ. Er ließ die Leute wissen, daß jeder, der frei sein wollte, Gold für sich, seine Frau und seine Kinder zu zahlen hätte. Um sie zu größerer Schnelligkeit zu treiben, gab er ihnen nicht eher zu essen, als bis sie das Lösegeld gebracht hatten. Eine Anzahl der Leute schickte auch in die Häuser, ließ Gold bringen und war frei. Wenn sie aber in ihren Häusern waren, sandte Alfinger seine spanischen und italienischen Soldaten hinter ihnen her, die fingen sie noch einmal, und sie mußten sich noch einmal freikaufen. Das trieben sie bei manchen dreimal. Die nichts bringen konnten, ließ man in der Einzäunung, wo sie verhungerten. In die Jagden hinter den Flüchtigen brachte er Ordnung. Wen er in den Bergen fing, den ließ er die Felsen herunterstürzen. Die man im Buschwerk einkesselte, trieb er zu dreißig und vierzig in ein Strohhaus, wo er sie verbrennen ließ. Er setzte seine Bluthunde an. Sie warfen die dunklen Leute nieder, zerrissen und fraßen sie.
Hinter einer kranken dunklen Frau, die ihren Säugling trug, jagten in einem Dorf die Hunde. Die Frau konnte nicht rechtzeitig entfliehen. Sie huschte in eine offene Hütte und hängte sich an einem Balken auf. Das Kind hing sie sich an den Fuß. Die Hunde rissen es herunter. Geistliche Brüder von der Truppe kamen des Wegs. Sie fanden die Hunde bei dem Kind, nahmen es ihnen aus den Zähnen und tauften es vor seinem Tode.
Vor Alfinger ging der Ruf «der Grausamste der Grausamen». Seine Soldaten
hielten es nicht für nötig, ihren Hunden Futter zu verschaffen. Sie führten
wie Kälber und Ferkel eine Zahl Wilde mit sich, die sie sich untereinander verkauften,
um sie ihren Hunden vorzuwerfen. Alfinger passierte einmal einen Ort, der als
reich galt. Da fing er ohne weiteres siebzig Leute, ließ ihnen beide Hände abschneiden
und die siebzig Paare auf dem Markt an einer Stange aufhängen, damit die Einwohner
sähen, was ihnen bevorstehe, wenn sie ihm Gold vorenthielten. -
Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie. Bd.1, Land ohne Tod. München 1991
Ökonomie (7) Ein Artikel fesselte ihn und veranlaßte ihn zu langen Träumereien. Welch schöne Sache, sagte er sich, ist doch die Wissenschaft! Da entdeckt der Professor Selmi aus Bologna in verwesenden Leichnamen ein Alkaloid, das Ptomain, das in Gestalt eines farblosen Öls auftritt und einen sanften, aber zähen Geruch von Weißdorn, Muskat, Flieder, Orangenblüten oder Rosen verbreitet,
Das sind die einzigen Düfte, die man bisher in den Säften eines verwesenden Organismus hat finden können, aber andere werden zweifellos folgen; um einstweilen den Forderungen eines praktisch gesinnten Jahrhunderts Genüge zu tun, das in Ivry die Besitzlosen maschinell bestattet und alles nutzbar macht, die Abwässer, die Rückstände in den Fässern, die Därme der toten Tiere und alte Knochen, konnte man die Friedhöfe in Fabriken verwandeln, die je nach Auftrag für die reichen Familien konzentrierte Extrakte aus Ahnen, Essenzen aus Kindern, Parfüms aus Vätern herstellten.
Das wäre dann, was man in der Handelswelt einen Luxusartikel nennt; doch für die Bedürfnisse der arbeitenden Klassen, die natürlich nicht vernachlässigt werden dürften, würde man diesen Luxuswerkstätten umfangreiche Laboratorien angliedern, in denen man die Herstellung von Parfüms im Großen betriebe: tatsächlich könnte man sie aus den Überresten des gewöhnlichen Gräberfelds abdestillieren, um das sich ja doch niemand kümmert; dies hieße die Kunst der Parfumerie auf neue Grundlagen stellen, sie allen erschließen; dies wäre ein Massenartikel, die Parfumerie für den Markt, die die Ware sehr billig abgibt, da der Rohstoff in Fülle vorhanden und außer den Arbeitslöhnen der Exhumierer und der Chemiker sozusagen umsonst wäre.
Ach! Ich kenne viele Frauen aus dem Volke, die glücklich wären, für ein paar Groschen ganze Töpfe voll Pomade oder große Stücke Seife zu kaufen, die mit Essenzen für Proletarier parfümiert sind!
Und dann, welch unversiegliches Gespräch mit der Erinnerung, welche ewige
Frische des Gedächtnisses könnten einem diese sublimier-ten Ausdünstungen der
Toten schenken! -Heute kann, wenn von zwei Wesen, die sich lieben, eins unversehens
stirbt, das andere nur seine Photographie aufbewahren und an den Allerheiligentagen
sein Grabmal besuchen. Dank der Erfindung des Ptomains darf man von nun an die
Frau, die man zu Hause verehrt hat, in duftender und spiritueller Form in der
Tasche behalten, darf die Geliebte in ein Riechfläschchen verwandeln, sie zum
Extrakt kondensieren, sie in Puderform in ein Riechkissen streuen, das mit einer
schmerzlichen Grabschrift bestickt ist, darf sie einatmen an Tagen des Elends
und sie an Tagen des Glücks aus einem Schnupftuch einsaugen. - Joris-Karl Huysmans, nach (
hum
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