Die von berufsmäßigen Verbrechern begangenen sind eine Frage der Routine. Wenn ein Übeltäter aus der Bande der Korsen in einer Bar in der Rue de Douai ein Mitglied der Bande der Marseiller umlegt, so bildet das für den Quai des Orfevres gewissermaßen eine mathematische Aufgabe, die mit Hilfe einer geheiligten Routine gelöst wird.
Wenn zwei junge Kerle, die vom rechten Weg abgekommen sind, die Pächterin eines Tabakladens oder einen Bankkassierer überfallen, so folgt eine Menschenjagd, die sich ebenfalls nach bestimmten Regeln abspielt.
Bei einem Verbrechen aus Leidenschaft weiß man sofort, woran man ist.
Bei einem Verbrechen aus Eigennutz schließlich, ob es sich nun um eine Erbschaft, eine Lebensversicherung oder um eine kompliziertere Sache handelt, bei Verbrechen, die dazu dienen, sich das Geld des Opfers anzueignen, befindet man sich aul sicherem Boden, sobald man das Tatmotiv herausbekommen hat.
Auf diesem Gebiet war Richter Coméliau
zu Hause, vielleicht, weil er sich nicht eingestehen konnte,
daß Menschen, die einer anderen Welt als der seinen angehörten
- und am allerwenigsten Anwohner des Quai de Valmy -, ein kompliziertes
Innenleben haben könnten. - Georges Simenon, Maigret und
der Kopflose. München 1972 (Heyne Simenon-Kriminalromane 13,
zuerst 1955)
Verbrechen (2) Gewisse sogenannte Verbrechen
sind das Heiligste, was die Natur des Menschen aufzuweisen hat,
z. B. Ketzerei, Empörung,
Selbstmord. Was die Vernunft
und das Göttliche in uns als groß bezeichnet, hat der Despotismus
und die Dummheit zu Schande und Tod verurtheilt. Die Menschheit
hat sich das wenige Licht, dessen sie genießt, durch Unglauben
und Forschergeist errungen. Die Gerechtigkeit wird nur durch
kühnen Widerstand gegen die Selbstsüchtler festgesetzt. Wo ich
in der Würde meiner Natur, ohne Beeinträchtigung des Heiligsten
nicht mehr leben darf, verlasse ich das Gewühl der Verworfenheit,
der Sclaverei und Tyrannei. - (
seume
)
Verbrechen (3) Das Verbrechen begreift der Detektiv-Roman
als Gefahr, die von der Polizei abzuwenden sei. Er bestätigt so, was die allgemeine
Sphärentransformation der Befunde höherer Sphären in die der niederen Regionen
bereits ergeben hat: daß das Widergesetzliche unter der Herrschaft der zu sich
gekommenen ratio ein punkthaftes Faktum wird, das rein in der Immanenz den aus
dem Legalitätsprinzip entfließenden Fakten beziehungslos entgegensteht. - Siegfried
Kracauer, Der Detektiv-Roman. Ein philosophischer Traktat. Frankfurt am Main
1979 (stw 297, zuerst 1925)
Verbrechen (4) Um zu beurteilen, ob ein Ding wahrhaft verbrecherisch ist, muß man prüfen ob es der Natur Schaden anrichten kann, dann muß aber auch dieses Verbrechen bei allen Völkern der Erde verabscheut sein. So ein Verbrechen existiert aber nicht. Dasjenige, das bei uns als abscheulich angesehen wird, findet anderswo Altäre der Huldigung.
Es gibt also in Wahrheit kein Verbrechen, und keine unserer Handlungen kann die Natur verletzen. Ja, wir begehen ein Unrecht, wenn wir unsere Wünsche nicht zur Ausführung bringen.
Die Natur erneuert sich durch die Zerstörung, sie
besteht fort durch das Verbrechen und lebt, in einem Wort, durch den Tod.
Eine durchaus tugendhafte Welt könnte keinen Augenblick lang bestehen. Das ist
das tiefgründige Gleichgewicht, das im Laufe der
Gestirne herrscht. Nur durch das Böse gelangt sie dazu, Gutes zu tun. Sie besteht
nur durch das Verbrechen, und alles wäre bald vernichtet, wenn die Tugend allein
auf Erden herrschen würde. Nun frage ich Sie, Juliette, wer kann daran zweifeln,
daß die Natur den Verbrecher dazu geschaffen hat, damit sie ihre Ziele erreichen
könne? Warum wollen wir nicht 3nnehmen, daß unter den Menschen dasselbe herrschen
muß, was sie unter den Tieren herrschen läßt? -
(just)
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