nbeherrschtheit
Da nun einiges von Natur angenehm ist, und zwar teils schlechthin, teils
verschieden je nach den Arten der Tiere und Menschen, anderes aber nicht von
Natur, sondern durch Defekte, Gewohnheiten oder schlechte Naturanlage dazu wird,
so kann man auch da in jedem einzelnen Falle entsprechende Verhaltensweisen
erkennen. Ich meine etwa die tierische Roheit, wie bei jener Frau, die die Schwangeren
aufgeschlitzt und die Kinder verzehrt haben soll, oder wie bei gewissen verwilderten
Völkern am Pontos, von denen es heißt, sie hätten Geschmack an rohem Fleisch
oder auch an Menschenfleisch, oder die einander ihre Kinder zum Verspeisen verkaufen,
oder was von Phalaris erzählt wird. Dies sind tierische Verhaltensweisen; anderes
entsteht gelegentlich durch Krankheiten oder durch Wahnsinn,
wie bei jenem, der seine Mutter als Opfer schlachtete und aß, oder bei dem Sklaven,
der die Leber seines Mitsklaven verspeiste. Die krankhaften Zustände ergeben
sich entweder von Natur oder durch Gewöhnung, wie das Ausreißen der Haare, das
Abbeißen der Nägel, das Essen von Kohle und Erde und dazu auch die Knabenliebe;
sie entsteht bei den einen von Natur, bei den andern aus Gewohnheit, wie bei
denen, die schon als Kinder geschändet worden sind. Wo nun die Natur die Ursache
ist, wird niemand von Unbeherrschtheit sprechen, wie auch nicht bei den Frauen
deswegen, weil sie nicht beschlafen, sondern beschlafen werden. Ebenso wird
man es nicht tun, wo durch Gewohnheit ein krankhafter Zustand eingetreten ist.
Und was diese Zustände selbst angeht, so stehen sie jenseits derGrenzen der
Schlechtigkeit,wie die tierische Roheit. Wenn der, der sie hat, sie überwältigt
oder von ihnen überwältigt wird, so ist dies nicht die Unbeherrschtheit schlechthin,
sondern nur ihr ähnlich, so wie man auch den im Zorn Unbeherrschten nur eben
in dieser Richtung der Leidenschaft unbeherrscht nennen darf und nicht unbeherrscht
schlechthin. Denn jedes Übermaß von Torheit, Feigheit,
Zügellosigkeit und Bösartigkeit ist teils tierisch,
teils krankhaft. Der eine ist von Natur so, daß er alles fürchtet, auch wenn
eine Maus raschelt, und leidet insofern an einer tierischen
Feigheit. Ein anderer fürchtet Katzen auf Grund einer
Krankheit. Und von den Einfältigen sind die einen von Natur schwachsinnig und
leben wie die Tiere nur auf Grund ihrer Wahrnehmungen (so tun es einige ferne
Barbarenstämme), andere sind es durch Krankheiten,
wie die Epilepsie, oder durch krankhaften Wahnsinn.
Es kann vorkommen, daß man dergleichen nur zeitweilig hat und es überwältigen
kann, wie wenn etwa Phalaris sich beherrschte, wenn ihn die Begierde ankam,
Kinder zu essen oder widernatürlichem Geschlechtsgenuß nachzugeben. Man kann
aber solche Zustände nicht bloß haben, sondern auch von ihnen überwältigt werden.
Wie nun bei der Schlechtigkeit die allgemein menschliche als Schlechtigkeit
schlechthin bezeichnet wird, die andere mir einem Zusatz tierisch oder krankhaft
heißt und nicht schlechthin gilt, auf dieselbe Weise gibt es offenbar auch eine
tierische und eine krankhafte Unbeherrschtheit, schlechthin besteht aber nur
jene, die der allgemein menschlichen Zügellosigkeit entspricht. -
(
eth
)
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