orgendämmerung
Als aber die Argonauten in der kleinen Bucht des öden Eilands ankamen, war es die
Zeit der Morgendämmerung: die Zeit, in der der nächtliche Gott sich in den Gott
des Tages verwandelt, und in diesem Augenblick erscheint er ganz. Aus Lykien
kam er, der Sohn der Leto, und zu den Hyperboreern
eilte er hin, so wurde erzählt. Die goldenen Locken bewegten sich wie hängende
Trauben zu beiden Seiten an den Wangen des Gottes, wie er dahinschritt. In der
Linken hielt er den silbernen Bogen. Am Rücken hing ihm von der rechten Schulter
der Köcher herab. Unter seinen Füßen erbebte die ganze Insel, die Wogen erhoben
sich hoch am Strande. Ein ratloses Staunen ergriff die Argonauten. Niemand wagte
dem Gott in die schönen Augen zu schauen. Sie standen
nur da, zu Boden blickend. Jener indessen schritt übers Meer durch die Luft.
Erst viel später fand Orpheus das Wort, und
er sagte den Helden: »Laßt uns das Eiland dem Morgendlichen
Apollon heilig nennen.« -
(ker)
Morgendämmerung (2)
Die Gipfel des Algido, der Carseolischen und der Velinischen
Berge waren unbestreitbar da, grau. Immer neue Magie des Soracte, ein bleierner
Fels, ein Aschenfels. Jenseits der Jöcher der Sabiner Berge, an den Einschnitten
und Zugängen, welche die Lineatur des Kammes durchbrachen, machte sich das Wiederauf
leben des Himmels bemerkbar, in fernsten, harten Purpurstreifen und noch entrückterem
und glühenderem Sprühen und Gleißen von gelbem Schwefel und Scharlachrot: seltsame
Lacke: edler Widerschein, wie vom Schmelztiegel aus den Tiefen. Der Bergwind
war am Vortag verstummt, und nunmehr blies im Wechselspiel der Auspizien der
warme Brodem, der billige und verkommene Hauch eines schäbigen Scirocco über
Gesicht und Haut. Von weit, noch hinter Tivoli und Carsoli, schoben sich Flottillen
von Wolken heran, langgestreckt und über und über mit
Zirren geflockt, mit falschen Wimpeln aus Safran, stellten sich eine nach der
andern zur Schlacht, eilten freudig dahin, um zu zerschellen: wohin; woran?
wer weiß! aber gewiß doch dorthin, wo ihr hoher Admiral ihnen befahl, sich verhackstücken
zu lassen, wie der unsrige uns, mit vollen Segeln vorm Wind. Vergängliche, trügerische
Frachter, kreuzten sie auf hoher und irrealer Fahrt in jenem gleichsam auf den
Kopf gestellten Traum, der unsere Art der Wahrnehmung ist, nach dem Erwachen
zur Morgenröte, querten das aschfarbene Riff der Berge der Equier, die morgendlich
entblößte Nacktheit des Velino, Vormauer der Marsica. - Carlo Emilio Gadda, Die gräßliche Bescherung
in der Via Merulana. München 1988
Morgendämmerung (3) Bebuquin sah nicht, daß die Hetäre und Euphemia krampfhaft unter den Bogenlampen saßen, Liköre tranken und in das Licht starrten. Lippenknabe küßte seine Mätresse auf den Arm. Grell schrie sie auf und wehrte den Maler deutlich mit einer langen, spitzen Hutnadel aus dem zuckenden Lichtkreis ab.
Er zog sich notgedrungen zurück. Die Frauen lagen verzückt unter den starren, stechenden Dolchen der Bogenlampen. Sie stöhnten wie Tiere.
Die Lampen begannen zu zucken, sie zischten. Bebuquin drehte die Leitung ab. Die Frauen schraken verstört auf. Der Maler sagte eifersüchtig »Sonnenkult« und ging.
Bebuquin blieb mit den Frauen. Man trank weiter, der Alkohol redete wie Gott aus dem Munde der Propheten.
Der fahle Morgen betupfte die Scheiben. Er krauchte die Häusermauern hinunter. Die drei Leute ängstigten sich vor der Trennung. Denn man geht erst, wenn die Erschöpfung vollendet ist.
Sie kauerten zusammen, eine kalte, feuchte Schlange zog sich immer enger um die drei. Der Schrecken des Farbenwechsels der übergehenden Zeiten machte sie stumm. Die Nacht, welche die vom Licht übergrellten Gesichte liebt, starb in den Tag hinein. Man fühlte, man müsse die Nächte zu einem ernsten Training benutzen; denn die drei wollten um jeden Preis Visionäre werden, ganz unmenschlich sein. Sie waren ihres Körpers und seiner Formen unabweislich müde geworden und spürten, daß sie sich verzerren müßten.
Unter der blöden Sonne gingen die Grauen heim. Die Landschaft war auf ein
Brett gestrichen, die aufgerissenen Augen spürten nicht mehr vor Überreizung,
daß es heller und klarer wurde. Das Licht der Glühlampen und die sie umhüllende
Finsternis steckte noch in den Sehnerven. Bebuquin suchte weinend der Sonne
in einen imaginären Bauch zu treten. -
(
beb
)
Morgendämmerung (4)
Denkmäler vor ihnen; Kühe in wabernder Suppe. Nahe den Kühen,
genau zwischen Beisters Flachs und den Weiden beiderseits des Baches,
liegen sie im Tau und warten. Das Grau von den Deichen, vom Strandwald
her, stuft sich ab. Überm Dampf und den Pappeln der Chaussee nach
Pasewark, Steegen, Stutt-hof kreuzt sich das Rutenzeug der Maternschen
Bockwindmühle. Eine flache Laubsägearbeit. So früh mahlt kein Müller
Weizen zu Mehl. Noch kein Hahn, aber bald, Schattenhaft und nah gerückt
die neun gleichmäßig und windgerecht von Nordwest nach Südost gebogenen
Strandkie-fern auf der großen Düne. Kröten - oder sind es Ochsen? -
Kröten oder Ochsen brüllen. Die schlankeren Frösche beten. Mücken in
einer Stimmlage. Irgendwas, aber kein Kiebitz, lockt oder meldet sich.
Immer noch ohne Hahn. Die Kühe, Inseln im Dampf, atmen. Amsels Herz
läuft über ein Blechdach. Walter Materns Herz tritt eine Tür ein. Eine
^Kuh muht warm. Die anderen Kühe stubenwarm aus dem Bauch, Welch ein
Lärm im Nebel: die Herzen auf Blech gegen Türen, was lockt wen, neun
Kühe, Kröten Ochsen Mücken... Und plötzlich - denn kein Zeidien wurde
gegeben - Stille. Frösche weg, Kröten Ochsen Mücken weg, nichts lockt
hört antwortet wem, Kühe legen sich/ und Amsel und Freund, fast ohne
Herzschlag, pressen die Ohren in den Tau, in den Klee: Sie kommen! Vom
Bach her Schlurfen. Wischlappen schluchzen so, aber geregelt und ohne
Steigerung: plüff plüff pschisch - plüff pluff pschisch. Etwa
Bammelmänner? Nonnen ohne Kopf? Gakkos Schrate Barstucken? Geht wer um?
Balderle Aschmatei Beng? Der Ritter Feege Peegood? Der Brenner Bobrowski
und sein Kumpan Materna, von dem | alles herkommt? Kynstutes
Töchterchen, das hieß Tulla? - Da glänzen sie auf: voller Grund, reich
an Modder, elf fünfzehn siebzehn braune Flußaale wollen im Tau baden,
haben jetzt ihre Stunde, schieben drücken schnellen sich übern Klee und
fließen in Richtung. Gedrückt bleibt der Klee unter glibbriger Spur.
Immer noch starr sind die Kehlen der Kröten Ochsen Mücken. Die schlanken
Frösche enthalten sich. Da nichts lockt, folgt nichts. Warm liegen Kühe
auf schwarzweißer Seite. Euter preisen sich an: fahl gelblich morgendlich prall: neun Kühe, sechsunddreißig Zitzen, achtzehn Aale.
Die finden hin und saugen sich fest, verlängern braunschwarz
rosagefleckte Zitzen: Stückeln Labbern Nuckeln Durst. Anfangs zittern
die Aale. Lust wer wem? Dann lassen die Kühe nacheinander die Köpfe
übergewichtig in den Klee fallen. Milch fließt. Aale schwellen. Wieder
brüllen die Kröten. Mücken heben an. Die leichten Frösche. Zwar immer
noch kein Hahn, aber Walter Matern hat eine gequollene Stimme. Er möchte
hin und mit der Hand fangen. Leicht wäre das, kinderleicht. Aber Amsel
will nicht, hat anderes vor und entwirft
schon. Da fließen die Aale zurück zum Bach. Die Kühe seufzen. Der erste
Hahn. Die Mühle geht langsam. Die Kleinbahn läutet in der Kurve. - (hundej)
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