Apollon   Ein Nachwort von König Midas  Mit Eselsohren weiß man, was in der Welt vor sich geht. Ich trage eine wollene Mütze darüber, das schönohrige Gewimmel schaut schräg an mir vorbei. Ich weiß zum Beispiel, was von Apollon zu halten ist. Er hat Macht, das bewundern sie alle, und er sieht gut aus, so gibt es nichts, was er sich nicht erlauben könnte. Er könnte Schlachten verlieren, ja sogar die Weltgeschichte, — er würde seine Anhänger nicht los. Er kann auch so schlecht singen wie er will, alle sind von seinem harmonischen Gewinsel hingerissen. Und wers nicht ist, wird mit Eselsohren bestraft. Wenn die Machtverhältnisse anders verteilt wären, ich gäbe ihm keine Eselsohren, ich ließe ihn weiter unwissend über seinen schlechten Gesang. So bliebe er so bestraft, wie er es schon ist.

Doch möchte ichs überliefert wissen, daß mich die Verleihung der Eselsohren nicht überzeugt hat. Übrigens: Warum wurde ich zum Schiedsrichter bestellt? Hielten mich die Wettkämpfer für einen Esel oder für einen der Künste Kundigen? Darüber denke nach, o Nachwelt. Und nun laßt mich sagen, warum Apollons Gesang nicht gut ist. Nämlich: Er ist böse. Apollon singt so, daß die Welt so bleiben muß wie sie ist. Seine Harmonien lassen vergessen, wie viel auf Erden mißlungen ist, sagen wir bescheiden: Ein gutes Drittel. Und alles, was vollkommen schön ist, wie Apollon und Apollons Gesang, wiegt das Mißlungene nicht auf, sondern macht es ärger. Schon Apollons Zorn beweist mich. Seine Bosheit gehört zu seiner faden Harmonie. Seine göttliche Größe war so beschaffen, daß er, — von den Eselsohren für den Schiedsrichter abgesehen —, dem Marsyas das Schicksal bereitete, das aus den Götter- und Heldensagen der Griechen bekannt ist. Freilich bebte die Welt, als das Lied des Marsyas erklang, freilich konnten vor diesen Tönen keine Hierarchien, nicht der Götter und nicht der Menschen, bestehen. Aber Apollon hatte den Wettkampf angenommen, genauer gesagt: Er hatte damit eine Gelegenheit gefunden, den Marsyas zu vernichten, er hatte nicht das Lied, aber die Macht.

Nun ist Marsyas tot, niemand mehr nimmt sich der Lahmen, Tauben und Blinden an, der Schwachsinnigen und der Eselsohrigen, - geschlagene Brüder, setzt die Liste der Genetive fort. Nun beten sie Apollons Harmonie an, die darin besteht, daß man alles wegläßt, was sie stören könnte. Da kommen sie an, die neun Musen des Stumpfsinns, — laßt mich meinen ohnmächtigen Zorn ausschreien — die Dichter und Dichterinnen mit ihren wohlriechenden Strophen, das ganze mit Namen und Ländereien belohnte Gezücht — ja, wenn man Messer und Stricke genug hat, ist alles in Harmonie.  - (eich)

Apollon (2)

Apollo schindet den Marsyas

- Luca Giordano

Apollon (3) Wolfslicht, und aus der Waldtiefe traten zwei Skythen, Männer des Nordens, auch Apollons Gefolge, Darmsaiten und Messer in den Händen, schmale Klingen aus Eisen, in Firnwasser geschliffen.

Marsyas sah ihnen neugierig zu, wie sie herankamen, mit unhörbaren Tritten, und er verstand selbst dann noch nicht, als sie ihn, Arme und Beine in die Schräge zerrend, packten und, Kopf nach unten, als zottiges Xi, an zwei schwarzstämmige Fichten banden.

Die Därme schnitten in die Gelenke.

Kopfabwärts könne er aber nicht aufspielen, ächzte er. -Er versuchte zu lachen; es mißlang. - Die Flöte lag unter dem pendelnden Schädel; Apollon wies mit dem Fuß nach ihr: Darin also stecke seine Seele?

Ein Scherz! beteuerte Marsyas.

Unterm Fell?

Alles Scherz!

Niederfahrender Blitz.

Erst als die Skythen seinen Balg von den Leisten her aufzuschlitzen begannen, begann Marsyas zu begreifen, und sogleich ging alles im Heulen unter. - Er war unsterblich.

Die Skythen schälten ihn aus der Haut, zuerst die Beine, beidseitig, vom Schritt her: die Schenkel, die Knie, die Waden bis zu den Wulstansätzen der Hufe, in denen Leder und Knorpel verschmolzen sind.

Ins heulende Warum tropfte Blut.

Der Schnitt von den Leisten bis in die Achselhöhlen.

Wimmern um Gnade.

Apollon: Die Bildner stellen dar, daß er zusah, und dabei die Saiten bewegte, und sang. - Doch keiner bekundete, daß der Sieger sich weidete: In all seinen Blicken liegt ein Ernst, der sich zusammenzieht statt überzuquellen: der Gott bis zu jenem Äußersten angespannt, das dem Wesen von Himmlischen noch gemäß ist, und er überwindet seine Fernheit in solchem Maße, daß er das heulende Fragen des ihm in die Hand Gegebenen auch noch für diesen faßbar zu machen vermag. - Der, den Apollon ergründet, erkennt sich selbst, in seinen Grenzen und nach seinen Maßen, wenngleich Apollon nicht deshalb am Werk ist, sondern aus andrer Notwendigkeit. -  Franz Fühmann, Marsyas, In (fue)

 

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