- (
goetter
)
Aal (2)
ERSTES LIEBESLIED EINES MÄDCHENS Was im Netze? Schau einmal! Lieb ist blinde Schon schnellt mir's in Händen! Es beißt sich, o Wunder! Was tun, was beginnen? Gift muß ich haben! |
- Eduard Mörike
Aal (3)
In der Antike ebenso wie im Mittelalter hieß es, der Aal
würde aus dem Schlamm, aus Pferdehaaren oder aus Gras geboren und sei ein
Zwitter. In bestimmten Nächten suche er Erbsen-
und Bohnenfelder auf, um das junge Gemüse oder
die Blüten zu essen. - (aber)
Aal (4) Wer Aale sieht, ißt oder überhaupt berührt,
dem droht große Aufregung. - (
byz
)
Aal (5) Die Schlange
sonder Gifft / der langen Schlangen Freund / die kein Mann
halten kann / er habe dann in der Hand schroffen Sand.
Der Aal ist schlüpferig
/ glischend / glatt / flüchtig / windet und zwinget sich durch den dichten
Sand. Einen Aal über den Knien zerbrechen / wird gesagt von den Großsprechern
die unthunliche Sachen leisten wollen.
Der Aal bedeutet eine schlüpferige
Listigkeit / die sich nicht leicht ertappen lässet; wie auch Feindschaft
/ weil der Aal sich nicht zu andern Fischen hält. - (
hrs
)
Aal (6), allbekannter Süßwasserfisch von ungemein
guter Lebensart, da er sich gerade zu der Zeit im Zenit der Schmackhaftigkeit
bewegt, wo nicht bloß die Austern, sondern auch Wildbret und Geflügel uns
im Stiche lassen (Juni bis August). Die Ägypter vergötterten ihn deshalb,
die Römer errichteten ihm zu Ehren die noch heute gangbaren Fangschleusen
am Gardasee, das Mittelalter feierte ihn als regem voluptatis (König
des Tafelvergnügens), und auch die Neuzeit schätzt ihn so hoch, daß der
Kaufpreis selbst in aalreichen Gegenden nur ausnahmsweise auf 1 Mark für
das Kilo herabgeht. Allerdings haben manche seines schlangenhaften Äußern
wegen ein für allemal auf das Vergnügen seiner Bekanntschaft Verzicht getan.
Bei alledem ist der Gefeierte so bescheiden, daß er - Prachtungeheuer von
mehr als 5/4 m Länge ausgenommen - niemals zerstückt auf der Tafel erscheint
und sich mit der einfachsten Zubereitung begnügt: eine Abkochung in Salzwasser
mit Salbeiblättern, eine Garnitur von Zitronenscheiben und Rosmarin, und
der gesottene Aal ist fertig. Mit der Haut gekocht und nochmals
mit der rasch erstarrenden eigenen Brühe übergossen, gibt er den delikaten
Aal in Gelee, der mit einer Garnitur von rotgesottenen Krebsen,
gelben Zitronenscheiben und grüner Petersilie für die Helenam coenarum,
die »schöne Helena unter den Gerichten« gelten darf. - (
ap
)
Aal (7) Elektrische Aale stellen den Pferden
in Südamerika nach. Diese »Gymnoten« haben 5-6 Fuß Länge. Sie sind mächtig
genug, die stärksten Tiere zu töten, wenn sie ihre nervenreichen Organe
auf einmal in günstiger Richtung entladen. - - - Dies ist der wunderbare
Kampf der Pferde und Fische.
Was unsichtbar die lebendige Waffe dieser Wasserbewohner ist; was, durch
die Berührung feuchter und ungleichartiger Teile erweckt, in allen Organen
der Tiere und Pflanzen umtreibt, was die weite Himmelsdecke donnernd entflammt,
was Eisen an Eisen bindet, und den stillen, wiederkehrenden Gang der leitenden
Nadel lenkt; alles, wie die Farbe des geteilten Lichtstrahls, fließt aus
einer Quelle, alles schmilzt in eine ewige, allverbreitete Kraft zusammen.
- Alexander von Humboldt, Ansichten der Natur, nach (
heb
)
Aal (8) Die Zählebigkeit
dieser Tiere macht nicht bloß den Tieren,
sondern auch den Menschen zu schaffen. Jede Fischfrau, jede Köchin weiß,
was es sagen will, einen Aal umzubringen. - (
bre
)
Aal (9) Aale
zu zeugen und einen Teich damit zu besetzen: Von einer Haselstauden
eine Sprosse geschnitten, so in einem Sommer getrieben seie. Hernach auf
einer Wiesen einen länglichen Rasen ausgestochen von der Länge der Sprosse,
den Rasen umgekehrt, daß das Gras unten zu liegen komme, die Erde aber
obenauf, darein mit einem Finger eine lange Strieme formieret, hierein
die Haselsprosse geleget und einen andern Rasen von gleicher Länge mit
der erdigen Seite oben darüber. Nach 3 Tagen den obersten Rasen abgenommen,
so wird man an der Haselsprosse viel blaulichter Würmergens
gewahr werden; sodann den abgenommenen Rasen wieder darübergedeckt, mit
Bindfaden zusammengebunden und in einen Teich geworfen, so wird selbiger
in Menge mit Aalen besetzet, obschon zuvor deren keiner jemals darinnen
gewesen. - (
zauber
)
Aal (10) »Na nu mechten wä ... « und »Beßchen kieken . . . « ständig wiederholend hievte der Stauer das Seil weiterhin, doch nun mit mehr Anstrengung, kletterte dem Seil entgegen die Steine hinunter und griff - Mama drehte sich nicht rechtzeitig genug weg - breitarmig griff er in die aufblubbernde Bucht zwischem dem Granit, suchte, faßte etwas, faßte nach, zog und schleuderte, laut Platz fordernd, etwas triefend Schweres, einen sprühend lebendigen Brocken zwischen uns: einen Pferdekopf, einen frischen, wie echten Pferdekopf, den Kopf eines schwarzen Pferdes, einen schwarzmähnigen Rappenkopf also, der gestern noch, vorgestern noch gewiehert haben mochte; denn faul war der Kopf nicht, stank nicht, höchstens nach Mottlauwasser; aber danach roch alles auf der Mole.
Schon stand der mit der Stauermütze - die saß ihm jetzt im Nacken -
breitbeinig über dem Stück Gaul, aus dem sich wütend hellgrün kleine Aale
schleuderten. Der Mann hatte Mühe, sie zu fangen; denn Aale bewegen sich
auf glatten, dazu noch feuchten Steinen schnell und geschickt. Auch waren
sofort Möwen und Möwengeschrei über uns. Die stießen zu, schafften spielend
zu dritt oder viert einen kleinen bis mittleren Aal, ließen sich auch nicht
vertreiben; denn denen gehörte die Mole.
Trotzdem gelang es dem Stauer,
der zwischen die Möwen schlug und zugriff, vielleicht zwei Dutzend kleinere
Aale in den Sack zu stopfen, den Matzerath hilfsbereit, wie er sich gerne
gab, hielt. So konnte er auch nicht sehen, daß Mama käsig im Gesicht wurde,
zuerst die Hand und gleich darauf den Kopf auf Jans Schulter und Sammetkragen
legte. Aber als die kleinen und mittleren Aale im
Sack waren und der Stauer, dem bei seinem Geschäft die Mütze vom Kopf gefallen
war, anfing, dickere, dunkle Aale aus dem Kadaver zu würgen, da mußte Mama
sich setzen, und Jan wollte ihr den Kopf weg drehen, aber das ließ sie
nicht zu, starrte unentwegt mit dicken Kuhaugen mitten hinein in das Würmerziehen
des Stauers.
»Beßchen kieken!« stöhnte der zwischendurch. »Na nu mechten wä!« Riß, mit dem Wasserstiefel nachhelfend, dem Gaul das Maul auf, zwängte einen Knüppel zwischen die Kiefer, so daß der Eindruck entstand: das vollständige gelbe Pferdegebiß lacht. Und als der Stauer - jetzt sah man erst, daß der oben kahl und eiförmig aussah - mit beiden Händen hineingriff in den Rachen des Gaules und gleich zwei auf einmal herausholte, die mindestens armdick waren und armlang, da riß es auch meiner Mama das Gebiß auseinander: das ganze Frühstuck warf sie, klumpiges Eiweiß und Fäden ziehendes Eigelb zwischen Weißbrotklumpen im Milchkaffeeguß über die Molensteine und würgte immer noch, aber es kam nichts mehr; denn soviel hatte sie nicht zum Frühstück gegessen, weil sie Übergewicht hatte und unbedingt abnehmen wollte ...
Nichts außer grünlichem Schleim kam - und die Möwen kamen. Kamen schon, als sie anfing zu spucken, kreisten tiefer, ließen sich fett und glatt fallen, schlugen sich um das Frühstück meiner Mama, hatten keine Angst vorm Dickwerden, waren durch nichts zu vertreiben durch wen auch? - wenn Jan Bronski sich vor den Möwen fürchtete und die Hände vor die schönen blauen Augen hielt. Aber auch auf Oskarnello hörten sie nicht, der seine Trommel gegen die Möwen einsetzte und mit Knüppeln auf weißem Lack gegen dieses Weiß wirbelte.
Doch das half nichts, das machte die Möwen höchstens noch weißer. Matzerath aber kümmerte sich überhaupt nicht um Mama. Der lachte und äffte den Stauer nach, machte auf starke Nerven, und als der Stauer fast fertig war und zum Abschluß dem Gaul einen mächtigen Aal aus dem Ohr zog, mit dem Aal die ganze weiße Grütze aus dem Hirn des Gaules sabbern ließ, da stand zwar gleichfalls dem Matzerath der Käse im Gesicht, aber die Angeberei gab er dennoch nicht auf, kaufte dem Stauer für ein Spottgeld zwei mittlere und zwei starke Aale ab und wollte den Preis noch nachträglich runterhandeln.
... Es war Salz im Sack, damit die Aale sich in dem Salz totliefen, damit ihnen das Salz den Schleim von der Haut und auch von innen herauszog. Denn wenn Aale im Salz sind, hören sie nicht mehr auf zu laufen, die sind dann so lange unterwegs, bis sie tot sind und ihren Schleim im Salz gelassen haben. Das macht man, wenn man die Aale hinterher räuchern will. Das ist zwar von der Polizei und vom Tierschutzverein verboten, aber die Aale müssen trotzdem laufen. Wie sollte man sonst auch den Schleim ohne Salz von den Aalen herunter und von innen heraus bekommen. Hinterher werden die toten Aale mit trockenem Torf fein säuberlich abgerieben und ins Rauchfaß über Buchenholz zum Räuchern aufgehängt. Matzerath fand das gerecht, daß man Aale im Salz laufen ließ. Die gehen ja auch in den Pferdekopp, sagte er.
Und in menschliche Leichen gehen sie
auch, sagte der Stauer. Besonders nach der Seeschlacht am Skagerrak sollen
die Aale mächtig fett gewesen sein. Und mir erzählte noch vor einigen Tagen
ein Arzt der Heil- und Pflegeanstalt von einer verheirateten Frau, die
sich mit einem lebendigen Aal befriedigen wollte. Aber der Aal biß sich
fest, und sie mußte eingeliefert werden und soll deswegen später keine
Kinder bekommen haben. - Günter Grass, Die Blechtrommel. Frankfurt
am Main 1965 (Fischer-Tb. 47314, zuerst 1959)
Aal (11) Hinter der Milchstrasse
haust ein Aal, eine Art Himmels-Schlange. Er nährt sich von den Sonnen,
von denen es in der schlammigen Tiefe nur so wimmelt. Sein Auge leuchtet
wie das vierblättrige Kleeblatt auf den Wiesen der Unendlichkeit, und an
seiner Schwanzspitze läuten eruptierende Welten wie helle Glöckchen die
Zeit. Wenn er sich häutet, fällt aus jeder Schuppe ein Komet. Und der Kot
dieses Wesens ist das Licht. Gefangen ringelt er
sich um den Stamm einer Porifera und nagt an ihrer Wurzel, hinter der er
fast unsichtbar ist. Jede einzelne Pore der Porifera atmet mühsam und ächzt,
als laste ein Jahrhundert Menschen auf ihr. Es ist die Spongia der Finsternis,
der Federtang der Sprachen, die Orgelkoralle des Ursprungs. Der Schwamm
schmiegt sich der Urform an wie ein Gehirn in einer Schädelhöhle. Es ist
das primitivste und einfachste Exemplar einer Gattung von Lebewesen, die
sich zurückentwickeln und die — namenlos und geächtet — an den Antipoden
der Einheit leben. -
Blaise Cendrars, Im Hinterland des Himmels. Zu den Antipoden der Einheit.
Basel 1987 (entst. 1917)
Aal (12)
Aal (13)
Der Aal Der Aal, die Sirene |
- Eugenio Montale, nach
(mus)
Aal (14) »Das riecht ganz fischig hier unten!« rief sie. Er sah, wie sie ' plötzlich das Gesicht vor Ekel verzog und mit den Händen durchs Schlagwasser unter dem Hecksitz fuhr. »Uaah! Da ist ein Aalkopf. « Sie warf etwas weit hinaus in den Fluß, wo es mit einem Platschen versank.
»Ich wäre lieber ein Aal als ein Wurm«, brummelte er, und die vom Liebesspiel
feinfühlig gewordene Seele in ihm sandte ein obskures Gebet
über das dahinstromende Flüßchen aus. Über die ebenen Weiden Norfolks ging es,
über die weiten Flachmoore und tiefen Gräben, bis es an die Nordseeküste kam.
Hier verließ Johns Gebet die Erde gänzlich und schoß hinaus, über die Erdatmosphäre,
über das ganze Sternensystem hinweg, gerade so, als wäre es ein Pfeil, der vom
Bogen des Schützen, des Kentauren, geschnellt war, bis es das Herz seiner toten
Mutter dort erreichte, wo sie in der unsichtbaren Welt weilte. »Laß mich ja
nie mit jemandem wetteifern!« lautete sein Gebet. »Wenn ich ein Wurm und kein
Mann bin, laß mich mein Leben als Wurm genießen. Laß mich aufhören, vor jemand
groß zu tun, auch vor Mary! Laß mich mein eigenes freies Leben führen, frei
von den Meinungen, guten oder bösen, aller anderen Leute! Jetzt, da ich Mary
gefunden habe, laß mich nichts anderes mehr wollen!«
- (cowp)
Aal (15) Wer würde sich die Mühe machen, ein zwanzig Jahre altes Autowrack ins Hafenbecken zu versenken? Und warum?
Die einzig richtige Antwort auf diese Frage war sehr einfach, und daher verzog er keine Miene, als der Obduzent feststellte:
„Dieser Mann war schon tot, als er ins Wasser geworfen wurde." Nach einer Weile fragte Månsson: „Wie lange kann er da gelegen haben? "
„Das ist nicht so einfach zu sagen." Der Arzt sah sich die aufgedunsene Leiche auf dem Tisch an und fragte: „Gibt's da Aale? "
„Ich glaub, schon."
,Ja, 'n paar Monate. Mindestens zwei, vielleicht vier." Er bohrte ein wenig mit der Sonde und fuhr fort: „Das ist ziemlich schnell gegangen. Nicht so wie sonst. Wahrscheinlich enthält das Wasser 'ne Menge Chemikalien und Öl und so was."
Kurz bevor er nach Hause ging, stellte Månsson noch eine Frage: „Das mit den Aalen, ist das nicht bloß so 'n Gerede? "
„Der Aal ist ein rätselhaftes Tier", antwortete der Arzt. - Sjöwall / Wahlöö, Alarm in Sköldgatan. Reinbek
bei Hamburg 1979