- Franz Jung
an Adolph Weingarten ,
14. Mai 1962. In: Franz Jung, Schriften, Bd. 2,
Salzhausen / Frankfurt am Main 1981
Faden,
roter (2) Ich würde es hassen, wenn man versuchte, gerade
aus meinem Dasein irgendeinen ›roten Faden‹ herausspinnen zu wollen. Ein wenig
von anderen abweichend, habe ich große Teile meines Denkens mit Niederschreiben
begleitet, eher um die Tausende von Büchern auf Hunderte zu verkürzen und zu
verkleinern. Man sollte diese Tätigkeit nicht anders ansehen als die irgendeines
Insektes bei der Arbeit. Es sind viele Wege.
Noch mehr Umwege. - Ernst Fuhrmann, Nachwort
zu: E. F.,
Was die Erde will. Eine Biosophie. München 1986 (zuerst 1930)
Faden,
roter (3) Fedor Nazarov gehörte zu den Leuten,
die, wenn sie sich einmal entschlossen haben, ohne Schwanken ihr Leben
hingeben, aber die Motive seiner Entscheidung waren andere. Der »Admiral«
glaubte an den Sozialismus, und der Terror war für ihn ein untrennbarer
Bestandteil des Programms der Sozialrevolutionäre. Nazarov hatte
kaum einen festen Glauben. Er hatte auf den Sormover Barrikaden mitgekämpft
und die Demonstration der Arbeiter unter dem roten Banner,
später auch den Marsch derselben Arbeiter hinter der dreifarbigen
nationalen Flagge mitgemacht, und die Fabrikerfahrung hatte ihn gelehrt,
die Masse, ihr Schwanken und ihren Kleinmut zu verachten. Er glaubte nicht
an ihre aufbauende Kraft, und ohne diesen Glauben mußte
er unweigerlich zur Theorie der Zerstörung gelangen. Diese Theorie
kam seinem innersten Gefühl entgegen: als roter Faden durchzog seine Worte
und Taten nicht die Liebe zu den Erniedrigten und Hungernden, sondern der
Haß auf die Unterdrücker und Satten. Dem Temperament nach war er Anarchist,
und in seiner Weltanschauung stand er dem Parteiprogramm fern. Er hatte
seine eigene, dem Leben entnommene originelle Philosophie im Geiste des
individuellen Anarchismus. Im Terror zeichnete er sich vor dem Durchschnitt
durch seine außerordentliche Kühnheit und die Kaltblütigkeit des zum Mord
entschlossenen Menschen aus. Die Organisation und ihre Mitglieder
liebte er mit umso größerer Liebe, je stärker seine Verachtung der Masse
war und je erbitterter sein Haß auf die Regierung und die Bourgeoisie.
Er kannte kaum das wahre Maß seiner Kräfte. - Boris Savinkov,
Erinnerungen eines Terroristen. Nördlingen 1985 (Die Andere Bibliothek,
zuerst 1917/18)
Faden,
roter (4) ts handelt sich darum, daß das Leben weitergeht, selbst
wenn's nicht mordsfidel ist... oh, so tun, als glaubte man an die Zukunft!...
zwar ist die Situation heikel, aber man weiß, daß man mit Vertrauen, Willfährigkeit
und guter Stimmung die Plagen überstehen wird... wenn man eine Partei ergriffen
hat, die zwar gefahrvoll ist, aber dem straffen roten Faden der Geschichte entspricht,
dann wird man natürlich verwöhnt... der rote Faden der Geschichte, auf dem steht
man dann, das Gleichgewicht haltend und ringsherum ist Dunkelheit... man hat
sich darauf eingelassen... wenn der Faden zerreißt! wenn man ganz unten aufgelesen
wird, als Matsch... wenn die Zuschauer, wutentbrannt, voll und toll, einem die
Kaidaunen umwühlen, sich daraus Racheklopse machen, sie aufstapeln, verscharren
in kleinen Privat-Katyns, dann darf man sich nicht beklagen! man hat sich darauf
eingelassen, basta!... ich zum Beispiel, dem man vorwirft, ich hätte von den
Deutschen Geld bezogen... ein Vermögen!... nicht ein Ankläger, sondern Hunderte,
aus allen Lagern, und gehörig informiert!. Cousteau, der Angestellte von Lesca,
Sartre, der Widerständler vom Châtelet, Aragon, mein Übersetzer und tausend
andere! auch der Goncourt-Preisträger Vailland, der tief bedauert, sich gar
nicht trösten kann... der mich direkt vor seinem Gewehr hatte! ich darf mich
rühmen, daß ich mich an den rechten Faden halte, ich ebenso verhaßt bei den
Leuten von der einen wie von der anderen Seite... ich kann ohne Prahlerei behaupten,
daß der rote Faden der Geschichte durch mich hindurchläuft, von oben nach unten,
von den Wolken zu meinem Kopf, bis zum After... Cromwell, auf den Müllhaufen
geworfen, von Würmern wimmelnd, hatte den Faden nicht!... er hat es auf seine
Kosten erfahren! ausgegraben, haben sie ihn noch mal erdrosselt, noch mal gehängt!....
solange man nicht, lebendig oder tot, den Strick um den Hals hat, ist man nur
ein anstößiges Aas... wenn ich all die Leute betrachte, die keinen Faden haben
und die die Tribüne einnehmen, flaggen, salbadern, die Kommissare, Superpapperlapapps,
Minister, Kardinale von Schall und Rauch... arme, arme Schlucker! -
Louis-Ferdinand Céline, Norden. Reinbek bei Hamburd 2007 (zuerst 1964)
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