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Der Traum von Sigmund Freud
Für Gisela Lindemann

Mir träumte, daß ich nach Neufundland schwimme; das Meer lag still, nur vom Lufthauch gekräuselt, ein wohliges, gütig grünes Umfangen, und über mir flog in verschmelzenden Schwärmen ein Regenbogen rötlicher Fische.

Plötzlich schwimmt Sigmund Freud neben mir. - Ich weiß, noch bevor ich ihn erblicke, daß es nur Sigmund Freud sein kann, wer sollte denn sonst nach Neufundland schwimmen, und dann erkenne ich ihn auch an der Brille, diesen massig gewölbten, blitzenden Gläsern, die er, dann im Wassertreten paddelnd, sorgsam immer wieder trokkenreibt. Unsre Begegnung ist nicht gerade alltäglich, doch wir nehmen sie beide als selbstverständlich gegeben, schwimmen höflich schweigend nebeneinander, bemüht, in gemeinsamen Rhythmus zu kommen, was eine ziemliche Weile beansprucht, allein da dies gelungen ist und wir Arme und Beine im gleichen Takt zur Seite stemmen und rückwärts stoßen, spüre ich, daß Freud mich lauernd ansieht, und da beißt er mich auch schon in die Schulter, nicht arg, es ist eher ein gutmütiges Knabbern, wie von einem verspielten Hund, und dennoch ist es mir widerwärtig und außerdem ziemt es sich nicht.

Ich wehre ihn ab, indem ich die Schulter zucke, aber Freud hält sich mit den Zähnen fest, wobei er stärker zubeißen muß. Ich nehme zur Abwehr die Hand zur Hilfe und drange ihn von meinem Leib, da sagt er, nun im Schwimmen die Brille reibend, daß es zweierlei zu leisten gelte: ein gedankliches Durchdringen und gleichzeitig ein seelisches Sich-Feien. - Er spricht leise, fast flüsternd, auch kommt jetzt Wind auf; er spricht in merkwürdig stammelnden Sätzen, halb Befehle, halb Eindringlichkeiten, doch ich verstehe genau, was er sagt, und ich weiß auch als dunkle, unaussprechbare Ahnung, was ich da gedanklich durchdringen und wogegen ich mich feien soll. Solange ich Freud im Auge behalte, unterläßt er es, mich zu attackieren, doch bei der geringsten Unaufmerksamkeit schnappt er wieder nach meiner Schulter. Ich will ihm durch schnelleres Schwimmen entkommen, aber da wir uns im gleichen Rhythmus bewegen, bleiben wir immer Kopf an Kopf.

Versteh den Biß! ruft Freud, und lerne ihn ertragen!, und er versucht erneut, mich zu beißen, und diesmal, durch seine Worte besänftigt, will ich es geschehen lassen, doch da kommt eine Windbö und drückt ihn zurück, so daß mir sein Biß in die Hüfte fährt. - Es schmerzt; und der Himmel hat sich verdüstert; die fliegenden Fische sind verschwunden, und plötzlich beglnne ich zu begreifen, daß wir Neufundland nie erreichen werden, wenn wir weiterhin all unsre Kraft auf diese Spiele konzentrieren. -

Jetzt ist es genug! rufe ich wütend, doch Freud, seine Blicke gleich Blitzen schleudernd, schreit, daß ich unsre Reise gefährde, wenn ich mich widerspenstig verhalte -: Er müsse mich so lange beißen, bis ich keinen Schmerz mehr spüre und zugleich den Sinn des Beißens verstehe, dann erst flinden wir beide ans Ziel. Indes wird der Wellengang härter und wüster, Wasser und Himmel sind schwarz geworden; ich kämpfe wild gegen berghohe Wogen, doch Freud, wieder seine Brille trocknend, stemmt sich, wassertretend, bis zum Bauch aus dem Meer und schreit, auf die schäumenden Wasser weisend, mit hallender Stimme: Wo Es war, soll Ich sein! - Er scheint nun fast auf den Wellen zu wandern, seine Brille blitzt, die einzige Helle, und da spüre ich jählings die Versuchung, und da ich sie spüre, erliege ich ihr:

Ich reiße Freud die Brille herunter und schleudre sie in das malmende Wasser, und der Alte, durchs Ächzen beängstigten Dröhnens, ruft begeistert: Er lernt verstehn! - Die Brille schaukelt auf dem Wasser; Freud schwimmt hin, sie zurückzuholen, und ich, einen Abscheu überwindend, packe ihn an den hagren Schultern und drücke seinen Kopf unter Wasser, und da ich spüre, wie der Alte ins Grundlose sinkt, schwillt der Sturm zu seiner wütendsten Stärke und eine ungeheure Woge wirft mich an die Küste von Neufundland, wo, seine blitzende Brille reibend, Sigmund Freud mich schon erwartet. - Aus: Franz Fühmann, Dreizehn Träume (1983)

Freud (2)s Größe beruht zu einem bestimmten Teil auf einer Begabung, die er in höchstem Maße besitzt: derjenigen, nach Art der Mythen zu denken. Wenn er einräumt, daß die Schlange in den Mythen eine männliche und eine weibliche Konnotation haben kann, kommt er zu dem Schluß: »Das heißt aber nicht, daß dieses Symbol doppelsinnig ist, es wird nur im umgekehrten Sinne verwendet.« - (str)

Forscher Traumdeuter Psychoanalyse
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