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Umweg (2) Wenn man fragt, worin sich das
letzte und geheimste, darum aber auch das entscheidendste Wesen alles Orgienhaften
ausdrückt, so kommt man bei der Untersuchung und Beantwortung dieser Frage ganz
von selbst und sofort zu der spezifisch-individuellen Basis, d. h. zu den untrennbaren
Zusammenhängen mit dem Individuell-Erotischen. Das
Orgiastische erweist sich als der Ausdruck des allgemein menschlichen Sehnens,
den ganzen Umfang aller vorhandenen, d. h. aller ersehnten Genußmöglichkeiten
zu erschöpfen. Und zwar, was das Maßgebende ist: diesen ganzen Umfang in jedem
einzelnen Erlebnis zu erschöpfen. Ins formal Künstlerische übertragen, bedeutet
dies soviel wie: in jeder einzelnen als zusammengehöriges Ganzes zu wertenden
Manifestation. Diese in allen Triebmenschen besonders stark vorhandene Tendenz
führt und zwingt zum Pluralismus; worunter die vervielfachte Darstellung der
Dinge innerhalb eines einzigen, sie alle umspannenden Rahmens, oder auch die
Auflösung einer Gesamthandlung in eineganze Kette von Erlebnissen zu verstehen
ist. Auf die Liebeserfüllung eingeengt, bedeutet dies: in jedem einzelnen Liebeserlebnis
immer auch die letzte und höchste Sehnsucht erfüllt zu sehen. Aus diesem Grunde
gestaltet der Künstler in jedem Bilde stets mehrere erotische Ideale zugleich.
Weil man aber technisch mit einem einzigen Partner niemals den gesamten erotischen
Sehnsuchtskomplex abreagieren kann, so hilft sich die künstlerische Phantasie
dadurch, daß sie die Zahl der Teilnehmer in ihren Gebilden multipliziert. Das
aber ist formal ausgedrückt die Orgie. Die Orgie gestattet, alles darzustellen,
nicht nur eine Situation, nicht nur einen Typ, nicht nur eine Stellung, nicht
nur eine Körperpartie, nein, alles ohne Ausnahme und ohne Rest, jede einzelne
Nuance, woran die spezifische Wunschphantasie gefesselt ist, alle begehrten
erogenen Zonen des menschlichen Körpers, alle möglichen Formen des Genießens,
und alles dies im Rahmen einer einzigen Gesamthandlung. Mit anderen Worten:
die der pluralistischen Mittel sich bedienende Orgie ist die intensivste Grenzerweiterung
der irdisch bedingten Möglichkeiten auf dem Umweg über die Idee. - Eduard
Fuchs, Die Orgie. In: (
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