egetarier  »Ich bin ein ganz und gar unfähiger Beamter«, lamentierte Doktor Kafka, als ich ihn einmal in seiner Kanzlei mit einem ganz verknitterten Gesicht vor seinem Schreibtisch antraf. »Ich kann kein Aktenstück sauber erledigen. Alles bleibt bei mir hängen.«

»Ich sehe nichts davon«, bemerkte ich. »Ihr Schreibtisch ist leer.«

»Das ist es eben«, erwiderte darauf Doktor Kafka und setzte sich. »Ich gebe jedes Aktenstück so schnell, wie ich es nur vermag, weiter. Doch damit ist es für mich nicht erledigt. Ich verfolge es in Gedanken weiter. Von einer Abteilung zur anderen, von Schreibtisch zu Schreibtisch, die Kette der Hände hindurch bis zu dem Adressaten. Meine Phantasie durchbricht immer wieder die vier Wände meiner Kanzlei. Doch damit wird aber mein Horizont nicht größer. Im Gegenteil: er schrumpft zusammen. Und ich mit ihm.« - Er lächelte schmerzlich. - »Ich bin ein Stück Mist und nicht einmal das! Ich komme nicht unters Rad, sondern nur unter die Räderchen, ein Nichts, in der klebrigen Beamtenwabe der Unfall-Versicherungs-Anstalt.« Ich unterbrach ihn: »Kurz und gut - wie es mein Vater sagt - das Beamtenleben ist ein Hundeleben!« »Ja«, nickte Doktor Kafka. »Doch ich verbelle niemanden und beißen tu' ich auch nicht. Wie Sie wissen - ich bin Vegetarier. Die leben nur vom eigenen Fleisch.«    - Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Frankfurt am Main 1981 (Fischer Tb. 5093, zuerst 1954)

Vegetarier (2)  Schließlich und endlich ist ja doch was dran an dem vegetarischen Zeug, eine Menge feiner Geschmack, von so Sachen aus der Erde, Knoblauch zum Beispiel, der stinkt natürlich, wie italienische Drehorgler, knusprige Zwiebeln, Champignons, Trüffeln. Die Qual auch für die armen Tiere. Geflügel rupfen und ausnehmen. Jammervolle Biester, da auf dem Viehmarkt, warten bloß noch aufs Schlachtbeil, daß es ihnen die Schädel spaltet. Muh. Arme zitternde Kälber. Mäh. Staggering Bob, Kaltes Fleisch und Kartoffeln. Metzgereimer voll wabbliger Lungen. Geben Sie mir doch das Bruststück da am Haken. Plapp. Rohkopf und blutige Knochen. Abgehäutete glasäugige Schafe, an ihren Keulen aufgehängt, aus Schafsmäulern in blutigem Papier triefend Nasenkonfitüre auf Sägemehl. Kalbskopf und Kaldaunen schon ausgegangen. Laß mal die Finger von den Sachen, mein Bürschchen.

Heißes frisches Blut verschreiben sie gegen Schwindsucht. Blut wird immer gebraucht. Gierig auf der Lauer. Lecken es auf, rauchend heiß, dick zuckrig. Gespenster, hungerschwer. Ah, mir knurrt der Magen.    - (joy)

Vegetarier (3)

Vegetarier (4)

VEGETARIER

Vegetarier sind grausame, gedankenlose Menschen.
Jedermann weiß, daß eine Möhre schreit, wenn sie geraspelt wird.

Daß ein Pfirsich blutet, wenn er aufgerissen wird.
Glaubst du, daß eine Orange fühllos ist
für Daumen, die ihr das Fleisch aushöhlen?
Daß Tomaten ihr Hirn schmerzlos vergießen?
Kartoffeln, lebendig enthäutet und gekocht,
des Erdreichs kleine Hummer.
Erzähl mir nicht, daß es nicht weh tut
wenn Erbsen vom Skrotum gerissen werden,
die Haut vom Rosenkohl gezogen,
Kohl gehobelt und Zwiebeln geköpft.

Wirf hin die Kelle,
leg nieder die Hacke.
Mähe nicht mehr,
laß mein Volk ziehn!

 - Roger McGough, nach (frach)

Vegetarier (5)  Gefahr der Vegetarianer. - Der vorwiegende ungeheure Reisgenuß treibt zur Anwendung von Opium und narkotischen Dingen, in gleicher Weise wie der vorwiegende ungeheure Kartoffelgenuß zu Branntwein treibt—: er treibt aber, in feinerer Nachwirkung, auch zu Denk- und Gefühlsweisen, die narkotisch wirken. Damit stimmt zusammen, daß die Förderer narkotischer Denk- und Gefühlsweisen, wie jene indischen Lehrer, gerade eine Diät preisen und zum Gesetz der Masse machen möchten, welche rein vegetabilisch ist: sie wollen so das Bedürfnis hervorrufen und mehren, welches sie zu befriedigen imstande sind. - Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft
 
Kafka Gemüse Esser Ernährungsverhalten
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