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still
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Schnaps (2) Studer leerte das Glas. Der Schnaps hatte einen sonderbar bitteren Nachgeschmack. Der Wachtmeister blickte Laduner an, doch der wandte sich ab.
»Gute Nacht, Studer. Und schlafen Sie gut!« sagte er mit seinem Maskenlächeln . ..
Man liegt im Bett und weiß nicht, schläft man oder ist man wach ... Der Schlaf ist wie ein schwarzes Tuch, unter dem man liegt, und man kommt aus seinen Falten nicht los ... Man träumt, man sei wach, vielleicht ist man wirklich wach?
Das Zimmer ist doch hell. Unverständlich ist nur, warum die Helligkeit grün ist, obwohl die Nachttischlampe einen gelben Schirm trägt. Und in der grünen Helligkeit sieht man jemanden am Tisch sitzen. Er sitzt zurückgelehnt im Stuhl, hält eine Handharfe auf den Knien und spielt, spielt. . .
»Irgendwo auf der Welt fängt der Weg zum Himmel an . ..«
Merkwürdig ist nur eines: daß nämlich der Mann (ist es ein Mann übrigens?), daß der Mann, der am Tisch sitzt, ständig seine Gestalt ändert. .. Bald ist er winzig klein, und nur die Nägel seiner Finger sind lang und flaschengrün ... Bald aber ist er groß und dick, sehr dick ... Er sieht aus wie der Regierungsratsattentäter Schmocker, und er handharft zur Melodie: »Im Rosengarten von Sanssouci...« Dann wachsen dem dicken kleinen Mann plötzlich ein zweites Paar Arme aus den Schultern, die Arme sind lang und dünn, die Hände spielen mit Bällen und Papiergirlanden. Die Bälle fliegen durch das offene Fenster, die Papiergirlanden zieren die Wände ... Man ist ja im Kasino, mit den Honoratioren sitzt man am gleichen Tisch, Weißwein füllt die Gläser. Aber in einer Ecke der Bühne, baumelnd mit den Beinen, sitzt der Mann mit den vier Armen und spielt Handharfe und jongliert mit Gummibällen ... Es tanzen Paare im freien Raum, am Fuße der Bühne. Da springt der Vierarmige herab, mischt sich unter die Tanzenden, wie ein Primgeiger aus einer Zigeunerkapelle geht er zwischen den Tanzenden umher und neigt sich jedem Pärchen zu, mit einschmeichelndem Spiel .. .
»Vernunft!« sagt Dr. Laduner laut. Da ist das Kasino verschwunden. Baracken stehen in ödem Feld. Ein Stern steht am Himmel, sinkt herab und ist eine glühende Fabrik mit vielen, unzählig vielen Bauten. Es stinkt nach Gas, die Augen tränen.
Da stehen sie wie ein stummes, starres Regiment: Bombe an Bombe, langgestreckt, elegant. .. »Meine Erfindung«, sagt der Vierarmige. Eine Bombe platzt, gelbes Licht strömt heraus, die Luft wird dunkel, die Musik schweigt, laut und deutlich sagt Dr. Laduners Stimme:
»In zweihundert Jahren bauen wir weiter .. .«
Dann verfliegt der gelbe Gasvorhang, und auf einer weiten Ebene sind Leichen
verstreut, die sonderbar verrenkt daliegen, ähnlich wie der alte Direktor oder
wie der kleine Gilgen. Ja, richtig, einer ist der kleine Gilgen. Jetzt richtet
er sich auf und sagt: »Irgendwo fängt der Weg zum Himmel an . ..« und lacht,
und ob dem Lachen erwacht man. - Friedrich
Glauser, Matto regiert. In: F. G.: Kriminalromane. Berlin 1990 (zuerst
ca. 1936)
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