leisch Jegliches Fleisch ist grün, und von der grünenden Kraft hat es seine Feuchtigkeit. Das sieht man auch am Fleische frisch geschlachteter Tiere; wird es nämlich aufgehängt, so fließen Tropfen heraus. - Ein Mensch mit magerem und dünnem Fleische bringt leichter durch Schwitzen die Feuchtigkeit aus sich heraus als der, welcher mit fetterem Fleische belastet ist; denn wer mageres und dünnes Fleisch an seinem Körper hat, ist wie ein von vielen Öffnungen durchlochter Käse, der nicht stark zusammen gepreßt ist. Und die Luft und die übrigen Elemente durchdringen einen solchen Menschen leicht. Daher hat er auch leicht Flüssigkeit in sich und scheidet sehr viel aus, weil er dünnes Fleisch hat. Sodann erheben sich auch die Hitze, der Geschmack der Speisen und Getränke aus seinem Magen und rauchen und steigen zur Leber, zum Herzen und zur Lunge wie ein Gift empor. Aber die Hitze der Leber, des Herzens und der Lunge können diese Flüssigkeit nicht ertragen, sondern treiben sie zur Brust und Gurgel heraus, wie die Speise, wenn sie am Feuer gekocht wird, Schaum ausfließen läßt. - (bin)

Fleisch (2) Verzehrt jemand das Fleisch einer Frau, wird er unverhofft zu Vermögen kommen. - (byz)

Fleisch (3)  Das schneeweiße Bettlaken ließ ihre Arme und Schultern frei; es fiel ihm schwer, den Blick von dem entblößten, faltigen, bleichen, furchtbar alten Fleisch abzuwenden. Ihre mit einem Tropf verbundenen Arme waren mit Gurten am Bettrand befestigt. In ihrer Kehle steckte ein geriffelter Schlauch. Kabel, die an Aufzeichnungsgeräte angeschlossen waren, kamen unter dem Laken hervor. Man hatte ihr das Nachthemd ausgezogen; man hatte ihr nicht ermöglicht, das Haar zu einem Knoten zu stecken, wie sie es seit Jahren jeden Morgen tat. Mit ihrem offenen langen grauen Haar war sie nicht mehr ganz seine Großmutter; sie war eine arme Kreatur aus Fleisch, sehr jung und sehr alt zugleich, die jetzt der Medizin ausgeliefert war.    - Michel Houellebecq, Elementarteilchen. München 2001 (zuerst 1998)

Fleisch (4) Warum das männliche und das weibliche Geschlecht entsteht, werde ich mit fortschreitender Rede erklären. Was aber von beiden seinen Weg und die Harmonie findet, wird, als ein Feuchtes, vom Feuer bewegt. In der Bewegung wird es entzündet und zieht die Nahrung von dem, was in die Frau an Speisen und Atemluft hineingeht, an sich, und zwar zuerst überall in gleicher Weise, solange es noch locker ist. Von der Bewegung und dem Feuer aber wird es trocken und fest, und wenn es fest wird, wird es ringsum dichter. Dann hat das Feuer, das innen eingeschlossen ist, nicht mehr die Möglichkeit, ausreichend Nahrung an sich zu ziehen, und es kann die Luft nicht ausstoßen wegen der Dichtigkeit des Umgebenden. So zehrt es das innen vorhandene Feuchte auf. Was nun seiner Natur nach in dem festen Kern hart und trocken ist, wird von dem Feuer nicht für die Ernährung aufgebraucht, sondern es wird stark und konsistent durch Verschwinden des Feuchten, und diese Teile nennt man Knochen und Sehnen. Das Feuer baut den Körper aus der Mischung durch Bewegung des Feuchten der Natur gemäß aus folgenden Ursachen auf: Durch das Feste und Trockene kann es nicht lange hindurchdringen, weil es von ihm keine Nahrung bekommt, durch das Feuchte und Weiche aber kann es; denn das ist ihm Nahrung. Aber auch in diesem ist Trockenheit vorhanden, die vom Feuer nicht aufgezehrt wird. Das aber verfestigt sich ineinander. Das Feuer, das ganz innen eingesperrt ist, ist in größter Menge vorhanden und hat sich den größten Durchgang geschaffen. Denn die meiste Feuchtigkeit war an der Stelle vorhanden, die man den Bauch nennt, und von dort drang es (das Feuer) nach außen, als es keine Nahrung (mehr) fand, und machte Durchgänge für die Atemluft und Zuweg und Ausgang für die Nahrung. Der feuchte Teil des Feuers aber, der im übrigen Körper abgeschlossen war, schuf sich an diesen Stellen drei Umgänge, die hohle Adern genannt werden. In den Teilen aber, die dazwischen liegen, konsolidiert sich der Rest des Wassers und wird fest. Das nennt man Fleisch. - (hi)

Fleisch (5)

FLEISCH

Leichen.
Eine legt die Hand ans Ohr:
Wat bibberste? Uff meinen heizbaren Sektionstisch?
Von wegen Fettschwund und biblisches Alter??
'ne Kinderleiche kriegste ins Gesicht!
Gichtknoten und ausgefranste Zähne
ziehn hier nicht!!
Bleib man ruhig aufs Eis liegen! -

Es entsteht Streit.
Eine Schwangere blökt. Der Mann schreit:
Weil dir jetzt der Nabel so weit nach vorne steht?
Weil ick dir mal die Ritze verkleistert habe??
Mensch, wat geht mir mein Geschlechtsorgan an!
Jeder macht seins.

Alle schreien: Sehr, sehr richtig!
Brecht aus! Beißt um euch! Peitscht die Weiber!
Das dicke Pack! Neun Monat lang
bemurkst es einen Zeitvertreiber,
den sich der Mann zum Frühstück sang.

Wer denkt an so verlorene Fernen?
Wer weiß noch Flasche, Glas und Rum?
Man war schon wieder in den Sternen,
wuchs sich entzwei, gebar sich um.

(stürzen an die Kellerfenster und schreien auf die Straße:)
Brecht aus und laßt die Krüppel mähen!
O strömt euch aus! O blüht euch leer!
Denkt: Ithaka: die Tempel wehen
Marmorschauer von Meer zu Meer.

Denkt uns: geknechtet und gekrochen,
Spürhund nach Gott und klein und krumm:
und nun: die Demut aufgebrochen:
stinkt auch als saures Aas herum.

 - (benn)

Fleisch (6)  GAUDÍ Welcher Unterschied besteht zwischen einem Strumpfband und einem Architrav? Schließlich sind beide von Fleisch.

MANGANELLI Von Fleisch?

GAUDÍ Gewiß doch, Fleisch; damit meine ich nicht, daß sie eine Allegorie auf das Fleisch sind, sondern daß sie wahrhaftig Fleisch sind; warum sonst hätte ich einer unkeuschen Liebe zu einem Portal wegen die Verdammnis riskiert, warum hätte ich mich mit Türklinken und Schirmständern an anrüchigen Orten verabredet, warum hätte ich Decken, Simsen und Balkonen Anträge gemacht, die mich noch heute schamrot werden lassen, warum Nächte unzüchtiger Schlaflosigkeit verbracht, um einem Kamin zu huldigen? Fleisch, mein Freund, Fleisch; Krankheit, Unreinheit, Tod. Fleischliche Sünden, steinerne Sünden; wenn dein Fleisch nicht mehr eins ist mit deinem sündigen Tun, verwandeln sie dich, einen Fleischfresser, in versteinertes Fleisch, und was kommt nach und nach aus dir heraus? Dein innerstes Gestein, die weißen Steine deines Gebeins; und aus diesen Steinen habe ich meine Kathedralen gebaut, die Häuser, Schlafgemächer, zweideutigen Türgriffe, die Ohren, die sich öffneten zum Fluch des einzigen Ohrs, das in den Himmeln sich wahrhaft zu öffnen vermag. . . Sie denken, ich war eine Kanaille? Ich war es, jawohl, aber auf so schamhaft allegorische Weise! Ich hatte die Aufgabe, eine allegorische Art des Sündigens zu finden: deshalb hat mich Gott, der ein Bonmot zu schätzen weiß, von einer Trambahn zermalmen lassen. Eine sehr subtile, eine sehr feinsinnige Allegorie. Vielen, fürchte ich, ist das entgangen.   - Giorgio Manganelli, Von der Unzucht mit Steinen. Antoni Gaudí y Cornet. In: Unmögliche Interviews. Berlin 1996

Fleisch (7)  DAS STÜCK FLEISCH  Jedes Stück Fleisch ist eine Art Fabrik: Blutmühlen und -keltern. Röhren, Hochöfen, Bottiche liegen hier nahe bei Stampfhämmern, Fettpolstern.
Dampf steigt auf, siedend. Düstre oder helle Feuer glühen rötlich. Bloßgelegte Bäche führen Schlacken und Galle.
Und all das erkaltet langsam wieder zur Nacht, zum Tod. Alsbald, wenn nicht der Brand, gehen doch andere chemische Reaktionen vor sich, die Pestilenzgerüche auslösen.  - Francis Ponge, Im Namen der Dinge. Frankfurt am Main  1973 (BS 336, zuerst 1942)

Fleisch (8)    Mein Körper aus Fleisch das lebt das Fleisch das wimmelt und sanft zu Flüssigkeiten zerläuft das zu Creme zerläuft das Fleisch das zerläuft zerläuft zerläuft das milde und süße Wasser meines Fleisches das Blut meiner Hand ich habe Schmerzen sanft an meinem geschundenen Fleisch das zum Laufen zerläuft ich renne ich fliehe ich bin ein niederträchtiges Individuum mit geschundenem Fleisch geschunden von Existenz an diesen Mauern.   - Jean-Paul Sartre, Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)
 

Nahrungsmittel Körperteile, menschliche
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