onnenfinsternis  Seltsam war es, daß dies unheimliche, klumpenhafte tief schwarze vorrückende Ding, das langsam die Sonne wegfraß, unser Mond sein sollte, der schöne sanfte Mond, der sonst die Nächte so florig silbern beglänzte; aber doch war er es, und im Sternenrohr erschienen auch seine Ränder mit Zacken und Wulsten besetzt, den furchtbaren Bergen, die sich auf dem uns so freundlich lächelnden Runde türmten.

Endlich wurden auch auf Erden die Wirkungen sichtbar, und immer mehr, je schmäler die am Himmel glühende Sichel wurde; der Fluß schimmerte nicht mehr, sondern war ein taftgraues Band, matte Schatten lagen umher, die Schwalben wurden unruhig, der schöne sanfte Glanz des Himmels erlosch, als liefe er von einem Hauche matt an, ein kühles Lüftchen hob sich und stieß gegen uns, über den Auen starrte ein unbeschreiblich seltsames, aber bleischweres Licht, über den Wäldern war mit dem Lichterspiele die Beweglichkeit verschwunden, und Ruhe lag auf ihnen, aber nicht die des Schlummers, sondern die der Ohnmacht — und immer fahler goß sich‘s über die Landschaft, und diese wurde immer starrer — die Schatten unserer Gestalten legten sich leer und inhaltslos gegen das Gemäuer, die Gesichter wurden aschgrau — erschütternd war dieses allmählige Sterben mitten in der noch vor wenigen Minuten herrschenden Frische des Morgens.

Wir hatten uns das Eindämmern wie etwa ein Abendwerden vorgestellt, nur ohne Abendröte; wie geisterhaft aber ein Abendwerden ohne Abendröte sei, hatten wir uns nicht vorgestellt, aber auch außerdem war dies Dämmern ein ganz anderes, es war ein lastend unheimliches Entfremden unserer Natur; gegen Südost lag eine fremde gelbrote Finsternis, und die Berge und selbst das Belvedere wurden von ihr eingetrunken — die Stadt sank zu unsern Füßen immer tiefer wie ein wesenloses Schattenspiel hinab, das Fahren und Gehen und Reiten über die Brücke geschah, als sähe man es in einem schwarzen Spiegel — die Spannung stieg aufs höchste — einen Blick tat ich noch in das Sternrohr, er war der letzte; so schmal, wie mit der Schneide eines Federmessers in das Dunkel geritzt, stand nur mehr die glühende Sichel da, jeden Augenblick zum Erlöschen, und wie ich das freie Auge hob, sah ich auch, daß bereits alle andern die Sonnengläser weggetan, und bloßen Auges hinauf schauten — sie hatten auch keines mehr nötig; denn nicht anders als wie der letzte Funke eines erlöschenden Dochtes schmolz eben auch der letzte Sonnenfunken weg, wahrscheinlich durch die Schlucht zwischen zwei Mondbergen zurück — es war ein ordentlich trauriger Augenblick — deckend stand nun Scheibe auf Scheibe und dieser Moment war es eigentlich, der wahrhaft herzzermalmend wirkte — das hatte keiner geahnet — ein einstimmiges »Ah« aus Aller Munde und dann Totenstille - Adalbert Stifter

Sonnenfinsternis (2)  Hessen—Nassau—Siegen Reform. Linie. Verordn. v. 1715 Apr. 30.

Bey bevorstehender Sonnenfinsternis, welche schädliche Dünste und Lüfte mit sich führt, soll jedermann sein Vieh im Stalle behalten.

Corp. Constit. Nassov. Teil III, S. 107. - Wilhelm Ebel, Curiosa iuris germanici. Göttingen 1968

Sonnenfinsternis (3) Die europäische Geschichte der Theorie beginnt mit der Vorhersage einer Sonnenfinsternis durch Thales von Milet. Dahingestellt bleibt, ob die Milesier den Vorzug der Sichtbarkeit der Eklipsis genossen und mit welcher Methode Thales gearbeitet hatte; und diese Geschichte der Theorie endet — wenn man von ›einem‹ Ende sprechen kann — mit einer Sonnenfinsternis, deren Vorhersage und praziseste Lozierung nicht mehr fraglich war: der des 29. Mai 1919. Deren Sensation zog zwei britische Expeditionen ins Gebiet ihrer totalen Sichtbarkeit und maximalen Dauer. Sie sollte den ersten empirischen Beweis für Einsteins These von der Krümmung des Lichtweges durch Masseneinwirkung erbringen.

Und sie erbrachte ihn. Auf den photographischen Platten war die Versetzung von Sternörtern hart am Rand der verdunkelten Sonne vermeßbar, und zwar genau um den Wert von 1,7 Bogensekunden, den Einstein vorhergesagt hatte. Er erhielt die mit einem Meßgitter von 1/100 Millimeter (1 Millimeter etwa = 1 Bogenminute) versehenen Photogramme und soll, wie es sich für den Theoretiker des reinen Geblüts gehört, nicht erstaunt gewesen sein.

Wie sollte er auch? Der Gott, an den er nicht glaubte, rechnete doch, und zwar so gut wie er. Deshalb würde er ihn auch später gegenüber Max Born gegen den Verdacht verteidigen, er mache es mit dem Würfel.

Nun meine ich, daß Anekdoten — reich fließend wie im Fall Einstein — unverächtlich sind, zumal wenn sie einen Zug verschärfen und vertiefen, auf den die Aufmerksamkeit nicht ohne weiteres fällt. Doch stört mich an der Legende von Einsteins unüberraschter Kenntnisnahme der britischen Besiegelung seiner theoretischen Treffsicherheit gerade das, worüber er sich nicht wundert: die doch so wenig selbstverständliche Gleichzeitigkeit des Zutagekommens seiner Theorie mit ihrem fadenfeinen Geringwert der Krümmungsabweichung durch die kosmisch relativ kleine Sonnenmasse und der technischen Grenzwertbereitschaft, genau im Bereich dieser jeder sonstigen Wahrnehmung entzogenen Größe noch eine signifikante Aberration aufzufangen und zu ›notifizieren‹. Denn Stand der kosmologischen Theorie einerseits und Stand der photographischen Technik andererseits hatten keinen Querbezug zueinander. Was dort geleistet werden konnte, hätte hier genauso gut noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte auf den instrumentell-chemischen Apparat warten müssen können, der dem Zweifel an der Theorie abzuhelfen vermochte. Der Fortschritt kennt keine qualitativen Synchronien, sofern nicht das eine durch das andere bedingt oder mitbedingt ist.

Es gibt keinen Sondergott für Theoretiker, keine Sonderfinalität der Geschichte von Theorien und Techniken. Die Leute, die das eine können, verstehen die nicht, die das andere behaupten — und schätzen sie zumeist auch nicht. Insofern ist die Koinzidenz von Relativitätstheorie, Sonnenfinsternis und Phototechnik auf jenen 29. Mai 1919 etwas wie ein Weltgeistmirakel. Ganz zu schweigen davon, daß der Erste Weltkrieg erst 6 Monate zuvor, eben noch rechtzeitig, zuendegegangen war. - (blum2)

Sonnenfinsternis (4)  Den 28. Jan dieses 1664. Jahrs zu Morgens gegen 8 Uhr / als wir von Oberndorf bey Ober-Laybach ein wenig hinaus kommen / ist uns anzusehen ein Bürgersmann in einem grauen Kleid begegnet / welcher uns mit dergleichen Worten angeredet:

Sehet, sehet meine Patres, wie ist heut die Sonn so artig / darauf wir auf die Sonn zugesehen und befunden / daß sie ganz bleich / ohne allen Schein und Stralen... Und als wir ein wenig unser Gespräch deshalben verbracht / und wieder zurück in die Sonn geschauet / alsdann ist darinn in der Sonnen zu sehen gewest ein langer magerer Mann. Gegen diesen ist gegangen ein kleiner Mann und mit ihme noch andere zwey / die sind aber noch kleiner gewesen. Diese alle drey seynd auf den langen Mann / in der Sonne stehend / zugangen / daraufist er gewichen / sie aber seynd ihme nachgangen und verschwunden.

Geschwind darauf ist zu sehen gewest / daß ein Troup Fußvölcker hinein in die Sonne marchiret; unter diesen ist ein längerer und schwärtzerer Mann gewesen / und seynd durch die Sonn fortgangen / nachgehends aber verschwunden. Bald darauf seynd zwey Kirchenthürn mit einem kleinen Kirchlein zu sehen gewest / ein großer und ein kleiner / seynd aber geschwind an ihrem Ort verschwunden. Nach diesem ist urplötzlich zu sehen gewest / daß zwey großmächtige schwartze Männer zu Pferd / und mit ihnen noch ein grosse Mänge Reuter hinein in die Sonne seyn kommen / diese haben starck geschossen / also daß auch Feuer von so starckem Schiessen zu sehen gewest / darauf wir angefangen zu seuffzen 7 zu beten / und inbrünstig zu GOtt um Hülf zu schreyen / dann es war grausamlich anzusehen...

Nachdem aber alles dieses / so obbesaget / verschwunden / ist die Sonn in der Mitten blau / und auf den Seiten um und um blutig geworden / und ist also die Sonne ohne Glantz geblieben ohngefehr bey zwey Stund. Hierauf hat sie angefangen ihre gewöhnliche Straalen von sich zu geben / und ist allgemach oben an der Seiten völlig worden. Das ist die Luna, welche sich in die Sonn verlohren. - Sechs Kapuzienermönche 1664, nach (bisch)

Sonnenfinsternis (5)

Sonnenfinsternis (6)  Die Sonnenfinsternis begann. Und wie man durch die mit einem Streichholz geschwärzten Glasscheibchen erkennen konnte, war die Sonne schon vom Schatten erfaßt; das helle Licht im Zimmer wurde, ohne eigentlich abzunehmen, preziöser und silbrig, nach und nach gleichsam zerbrechlich, verlor an Festigkeit, Sicherheit, Vertrautheit. Daher eine ganz neue Blendung nicht der Sinne, sondern der Vorstellungskraft, eine Art diffuser Unentschiedenheit, als drängte eine anders beschaffene Welt über oder unter dem labilen Geschehen einer verbliebenen Tagesfröhlichkeit.

Die drei sahen sich mit einem gewissen Erschrecken an. Der Schatten biß sich weiter in die Sonnenscheibe, die schließlich aussah wie einer jener angebissenen Rundkekse, wie sie die Kinder auf dem Fußboden liegenlassen, ein feister Halbmond. Die ungewisse Vorhersage war zur unmittelbaren Drohung geworden, das Licht hatte jetzt wirklich abgenommen: gerade nur ein wenig doch ein schleichendes, subtiles Wesen der Finsternis in Gestalt von Argwohn und Angst trübte jedermanns Sinn. - (land2)

Sonnenfinsternis (7)

Von der ISSgesehen: Sonnenfinsternis mit Milchstraße

- NASA [?]

Sonnenfinsternis (8) Schließlich - mehr als dreißig Millionen Jahre von heute gerechnet - war es soweit, daß die ungeheure rotglühende Scheibe der Sonne fast den zehnten Teil des dunkelnden Himmels verdeckte. Da machte ich noch einmal hält, denn die kriechende Krebsschar war verschwunden, und der rötliche Strand schien, abgesehen von seinem fahlgrünen Lebermoos und den Flechten, leblos zu sein. Doch jetzt war er weiß gefleckt. Eine bittere Kälte fiel mich an. Hin und wieder segelten weiße Flocken herab. Im Nordosten glänzte Schnee unter dem Sternenlicht des düsteren Himmels, und ich sah einen wellenartigen Hügelkamm in rosigem Weiß. Am Meeres­rand lag ein Eissaum, und weiter draußen gewahrte ich treiben­de Eismassen; doch zum größten Teil war der salzige Ozean, blutrot unter dem ewigen Sonnenuntergang leuchtend, noch ungefroren.

Ich sah mich um, ob noch Spuren von tierischem Leben ver­blieben waren. Eine gewisse undefinierbare Befürchtung hielt mich noch im Sattel der Maschine fest. Doch ich sah keine Be­wegung auf der Erde, am Himmel oder im Meer. Nur der grüne Schleim auf den Felsen bezeugte, daß das Leben noch nicht erloschen war. Eine flache Sandbank war aus dem Meer getaucht, und das Wasser war vom Strand zurückgewichen. Ich bildete mir ein, auf dieser Sandbank irgend etwas Schwarzes im seichten Wasser hin und läer schwabbeln zu sehen, doch es wurde bewegungslos, als ich es ansah, und daraus schloß ich, daß meine Augen mich getäuscht hätten und daß der schwarze Gegenstand lediglich ein Fels sei. Die Sterne am Himmel strahlten sehr hell und schienen mir kaum zu funkeln.

Plötzlich bemerkte ich, daß sich der westliche Kreissektor der Sonne verändert hätte: im Rand war eine Einbuchtung er­schienen. Ich sah, wie diese Höhlung größer wurde. Vielleicht eine Minute lang starrte ich entsetzt auf diese Schwärze, die sich über das Licht breitete, und dann wurde mir klar, daß eine Sonnenfinsternis begann. Entweder der Mond oder der Planet Merkur zog an der Sonnenscheibe vorüber. Natürlich dachte ich zuerst an den Mond, aber dann ließ mich doch vieles daran glauben, daß ich tatsächlich den Durchgang eines inneren Planeten sah, der sehr dicht an der Erde vorüberzog.

Die Dunkelheit nahm rasch zu; ein kalter Wind begann in auffrischenden Stößen aus dem Osten zu blasen, und die vereinzelten weißen Flocken in der Luft nahmen an Zahl zu. Vom Meeresufer her kam ein Plätschern und Murmeln. Abgesehen von diesen leblosen Lauten war die Welt stumm. Stumm ? Es ist nicht leicht, diese Stille zu beschreiben. Alle Laute des Men­schen, das Blöken von Schafen, die Schreie der Vögel, das Summen der Insekten, die ganze Betriebsamkeit, die den Hintergrund unseres Lebens ausmacht- all das war vergangen. Während die Dunkelheit sich vertiefte, fielen die wirbelnden Flocken dichter und tanzten vor meinen Augen; die Kälte der Luft wurde schneidender. Schließlich tauchten die weißen Spitzen der fernen Hügel eine nach der anderen im Schwarz unter. Die Brise verstärkte sich zu einem klagenden Wind. Ich sah den schwarzen Zentralschatten der Verfinsterung auf mich zufegen. Im nächsten Augenblick waren nur noch die fahlen Sterne zu sehen. Alles andere war strahlenlose Finsternis. Vollkommenes Schwarz überzog den Himmel.

Ein Grauen vor dieser gewaltigen Dunkelheit überkam mich. Die Kälte, die mir ins Mark drang, und der Schmerz, den mir das Atmen bereitete, überwältigten mich. Ich zitterte, und eine tödliche Übelkeit ergriff mich. Dann erschien wie ein rot­glühender Bogen am Himmel der Sonnenrand. Ich kletterte von der Maschine, um mich zu erholen. Ich fühlte mich schwindlig und nicht in der Lage, die Rückreise anzutreten. Während ich so krank und verwirrt dastand, sah ich wieder das sich bewegende Ding auf der Sandbank - es gab jetzt keinen Zweifel mehr daran, daß es sich bewegte - über dem roten Wasser des Meeres. Es war ein rundes Ding, vielleicht von der Größe eines Fußballs, vielleicht auch größer, und Fühler hingen von ihm herunter; es erschien schwarz gegen das blutrote, wogende Wasser, und es hüpfte zuckend auf und ab. - Herbert George Wells, Die Zeitmaschine. In: Weltuntergangsgeschichten. Von Poe bis Dürrenmatt. Zürich 1981 (zuerst 1895)

Sonne Hölle
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