eißen     In der biogenetischen Entwicklung des Menschen  liegt die für den Menschheitstyp schicksalhafte Trennung zwischen Weidetier und Raubtier, die der Mensch in Zehnjahrtausenden in seiner Bewußtseinsbildung zu verarbeiten hatte, um diese Trennung in irgendein Gleichgewicht zu bringen. Unsere Gesellschaftsbildung und unsere Moralbegriffe gehen darauf zurück.

In dieser nach Jahrmillionen zählenden - Zeitbegriffe und Ziffern sind ein mehr kindhaftes Unterfangen - Phase der Spaltung haben sich die großen Fangzähne, mit denen das urzeitliche Menschenwesen seine Beute sich reißen mußte, zu dem heutigen Gebiß zurückgebildet. Es ist der veränderte Urlaut entstanden, die Sprache, die einem Zweck, nämlich dem, zu beißen, zu reißen und zu täuschen, dienstbar war als Schutz und zugleich abschreckend wie das Bellen. Daraus ist das entstanden, was man heute die "Verständigungsmittel" zwischen den Menschen nennt. Wem dies ungewöhnlich und übertrieben erscheinen mag, dem ist nur zu raten, in einer assoziativen Denkfolge analytisch die Grundelemente seiner Sprache zu entblättern. Er wird allerdings zunächst auf das Hindernis stoßen, daß inzwischen eine Symbiose zwischen Intellekt und Sprache entstanden ist, die erst wieder aufgelöst werden müßte, um der Reflexwirkung des Instinkts zum Durchbruch ins Bewußtsein zu helfen. - Aus: Franz Jung, Erinnerung an einen Verschollenen. Ernst Fuhrmanns Lehre von den Zusammenhängen. In: F. J., Schriften, Bd. 1, Salzhausen / Frankfurt am Main 1981

Beißen (2) 1. Jean-Baptiste Troppmann, der 1869 eine achtköpfige Familie tötete, entwarf nach der Tat für sich eine Zeichnung, die die Lage der Leichen am Tatort veranschaulichte. Vom Gefängnis aus bat Troppmann seinen Bruder um Blausäure und Äther, damit er hiermit seinen Wärter töten könne. Eugen Sue's »Der ewige Jude« war sein Lieblingsbuch. Er schrieb Memoires secrets, Paris 1870. Bevor das Beil fiel, gelang es Troppmann, den Henker zu beißen.

2. Die Marquise de Brinvilliers, berühmte Giftmischerin in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sie wurde 1676 auf der Place de Greve hingerichtet. Eine vorzügliche Darstellung des Falles gibt E. T. A. Hoffmann in der Novelle »Das Fräulein von Scuderi«. [sic!]

3. Joseph Vacher (1869—1897), genannt der Aufschlitzer, tötete 14 Menschen im Südosten Frankreichs. Die Opfer waren meistens junge Landarbeiter beiderlei Geschlechts; alle wurden verstümmelt. Nach seiner letzten Tat eilte Vacher in ein Wirtshaus, wo er auf der Ziehharmonika heitere Weisen spielte, bis die Polizei eintraf und ihn identifizieren konnte.

4. Albert Soleilland tötete 1907 ein kleines Pariser Mädchen. Er wurde zum Tode verurteilt, dann begnadigt. Diese Begnadigung wurde von der öffentlichen Meinung lebhaft angegriffen.

5. Am 17. Mai 1924 fand man in der Leine einen Schädel ohne Haare, ohne Fleisch und ohne Augen, 3 Tage später wieder einen und am 13. Juni einen dritten und einen vierten... Wie Fritz Haarmann junge Männer, die er an sich lockte, umgebracht hat, ist nicht völlig festgestellt worden. Er behauptete, daß er ihnen in der Erregung die Kehle durchgebissen habe.  - Kommentar zu: André Breton / Paul Éluard, Die unbefleckte Empfängnis. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1930)

Beißen (3) Das Auto  hatte eine Sirene auf dem Dach. Zwei Männer mit Polizeiausweis stiegen aus. Die jungen Männer versuchten nicht, zu fliehen oder Widerstand zu leisten. Sie wußten, wie sie sich verhalten mußten: Handschellen anlegen lassen und ins Auto einsteigen. Das Auto hielt dann plötzlich, und die drei sollten aussteigen. Sie begriffen wohl nicht gleich, aber als sie die Pistolen sahen, war alles klar. Eine Falle. Die vermeintlichen Polizisten waren Spanier. Die Aufrührer. Zwei mußten sich hinknien und wurden mit einem Kopfschuß sofort getötet, der dritte, so zeigten die Spuren, hatte mit hinter dem Rücken gefesselten Händen zu fliehen versucht, so daß er nur durch Schulter- und Kopfbewegungen das Gleichgewicht halten konnte. Er stürzte. Kam wieder hoch. Fiel wieder hin. Dann erwischten sie ihn und hielten ihm die Pistole in den Mund. Die Leiche hatte zerbrochene Zähne, denn der junge Mann hatte in den Pistolenlauf gebissen, instinktiv, als könnte er ihn zermalmen.  - Roberto Saviano, Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra. München 2006

Beißen (3)

- Edvard Munch

Gebiß

 

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