cholastik In der Summa theologica geht Thomas von Aquin folgendermaßen vor: Wir lesen im Epheserbrief 4, 10, daß Christus "aufgefahren ist über alle Himmel, auf daß er alles erfülle". Thomas sagt hierzu, daß laut Aristoteles Dinge, welche sich im Zustand der Vollkommenheit befinden, ihr Gutes ohne Bewegung besitzen. Christus war vollkommen; folglich hatte er sein Gutes ohne Bewegung, und es wäre für ihn unpassend gewesen aufzusteigen. Ferner beweist Aristoteles, daß es keinen Ort oberhalb der Himmel gibt; da aber jeder Körper einen Platz beansprucht, konnte Christus nicht emporgestiegen sein. Ferner können zwei Körper nicht den gleichen Raum einnehmen; weil aber kein Ortswechsel ohne Passieren des dazwischenliegenden Raumes möglich ist, scheint es so, daß Christus nicht über alle Himmel hätte aufsteigen können, sofern nicht die Kristallsphären zerteilt worden waren, was aber unmöglich ist.
Wenn eine logische Beweisführung nicht zum Ziel führte, benutzte Thomas eine
andere Taktik, indem er nahelegte, daß die Bibelstelle
absichtlich falsch wäre, damit das unwissende Volk sie verstehen könnte. So
steht Genesis 1, 6/7, daß Gott eine Feste zwischen den Wassern machte und daß
das Wasser unter der Feste von dem darüber geschieden wurde. Thomas stand vor
der Schwierigkeit zu erklären, warum Gott nicht die Luft
geschaffen hat. Seine Antwort darauf war: Moses
sprach zu unwissenden Leuten und redete daher zu ihnen nur über Dinge, die sie
mit den Sinnen erfassen konnten. Da Wasser offenkundig
den Charakter eines Körpers hat, Luft dagegen nicht, möchte der Aquinate nahelegen,
daß Moses "Wasser" hier in zwei Bedeutungen gebraucht hat, von denen
die eine durch kluge Menschen als "Luft" verstanden werden müsse.
- Bernard
Lovell, Das unendliche Weltall. Geschichte der Kosmologien von der Antike bis
zur Gegenwart. München 1988
Scholastik (2)
Scholastik (3)
ANFRAGE
an das Ärztekollegium der SORBONNE
Ein Arzt für Geburtshilfe schildert dem Ärztekollegium der Sorbonne, daß es, wenn auch nur sehr selten, Fälle gibt, wo eine Mutter nicht niederkommen kann und das Kind so im Mutterleib eingeschlossen ist, daß kein Teil seines Körpers zum Vorschein kommt, was nach den Ritualen die Voraussetzung dafür wäre, ihm bedingungsweise die Taufe zu spenden. Der anfragende Arzt versichert, daß er mittels einer kleinen Spritze das Kind direkt taufen kann, ohne der Mutter den geringsten Schaden zuzufügen. - Er fragt an, ob die Methode, die er vorschlägt, zulässig und rechtmäßig ist, und er in den beschriebenen Fällen Gebrauch davon machen darf.
ANTWORT
Das Ärztekollegium ist der Ansicht, daß die vorgelegte Frage größte Schwierigkeiten
aufwirft. Die Theologen haben den Grundsatz aufgestellt,
daß der Taufe, die eine geistige Geburt ist, eine tatsächliche Geburt vorangehen
muß; sie lehren, daß man erst in die Welt hineingeboren sein muß, bevor man
in Jesus Christus wiedergeboren werden kann. Der heilige
Thomas schließt sich im dritten Teil der »Quaestiones«, Punkt 68, Artikel
11, diesem Lehrsatz als einer feststehenden Wahrheit an. Man kann nicht, sagt
dieser heilige Doktor, Kinder taufen, die im Mutterleib eingeschlossen sind.
Der heilige Thomas stützt sich dabei auf die Tatsache, daß die Kinder noch nicht
geboren sind und demzufolge nicht zu den Menschen gezählt werden können; daraus
folgert er, daß sie nicht der Gegenstand einer äußeren Handlung sein können,
mit deren Hilfe sie die Heilssakramente erhalten: Im
Mutterleib befindliche Kinder sind noch nicht ans Licht gelangt, um ein Leben
unter den Menschen zu führen; daher können sie nicht Gegenstand einer menschlichen
Handlung sein, mit deren Hilfe sie die Heilssakramente erhalten. Die nach
den Ritualen geübte Praxis stimmt in dieser Hinsicht mit den Theologen überein,
und sie verbieten einhellig die Taufe eines Kindes im Mutterleib, solange noch
kein Teil seines Körpers zu sehen ist. Die Übereinstimmung zwischen Theologen
und Ritualen, d.h. den Regeln der Diözesen, scheint diesem Lehrsatz ein solches
Gewicht zu verleihen, daß damit der Fall geklärt sein müßte; indessen zieht
der angerufene Gewissensrat einerseits in Betracht, daß die Argumentation der
Theologen sich lediglich auf Fragen der Zweckmäßigkeit stützt und daß das Verbot
in den Ritualen davon ausgeht, daß es keine Möglichkeit gibt, ein im Mutterleib
eingeschlossenes Kind zu taufen, was aber bei den vorliegenden Gegebenheiten
nicht der Fall ist; andererseits berücksichtigt das Kollegium die von denselben
Theologen aufgestellte Lehre, daß man von den Sakramenten, die Jesus Christus
als einfache, aber notwendige Mittel zur Erlösung der Menschen eingesetzt hat,
in Notfällen Gebrauch machen soll; darüber hinaus ist das Kollegium der Meinung,
daß im Mutterleib eingeschlossene Kinder genauso des Heils teilhaftig werden
können, wie sie ja auch der Verdammnis anheimfallen können. -Aus all diesen
Erwägungen und im Hinblick auf den Bericht, demzufolge versichert wird, daß
man ein sicheres Mittel entdeckt habe, diese so zurückgehaltenen Kinder zu taufen,
ohne der Mutter Schaden zuzufügen, kommt das Kollegium zu dem Schluß, man dürfe
sich des vorgeschlagenen Notbehelfs im festen Vertrauen darauf bedienen, daß
Gott diese Kinder niemals ohne Beistand lassen würde, und in der Annahme, das
Mittel, um welches es sich handelt, sei auch wirklich geeignet, ihnen die Taufe
zu spenden. - Da es sich jedoch um die Änderung einer allgemein anerkannten
Vorschrift handeln würde, wenn man dem vorgeschlagenen Verfahren zustimmen wollte,
ist das Kollegium der Ansicht, daß sich der Ratsuchende an seinen Bischof wenden
sollte, dem es zukommt, Nutzen und Gefahren der vorgeschlagenen Methode zu beurteilen;
und da das Kollegium weiterhin annimmt, daß bei Einverständnis des Bischofs
der Papst konsultiert werden müßte, der die Autorität besitzt, die Regeln der
Kirche auszulegen, und daß von ihm die Entscheidung wieder abgeändert werden
konnte, falls in der erörterten Taufmethode nichts Weises oder Nützliches gefunden
würde: kann aiso das angerufene Kollegium den Vorschlag ohne die Zustimmung
dieser beiden Autoritäten nicht endgültig billigen. Dem Ratsuchenden wird empfohlen,
sich mindestens an seinen Bischof zu wenden und ihm die vorliegende Entscheidung
mitzuteilen, damit, falls der Prälat sich den Gründen anschließt, auf welche
die unterzeichnenden Doktoren ihre Entscheidung gestützt haben, der Ratsuchende
in Notfällen, wo es zu gefährlich wäre, zu warten, bis ein Gesuch urn Genehmigung
der für das Seelenheil des Kindes so vorteilhaften vorgeschlagenen Methode eingereicht
und beantwortet sein könnte, die Anwendung genehmigt werden kann. Im übrigen
ist das Kollegium der Ansicht, daß so getaufte Kinder, sollten sie entgegen
der Erwartung derer, die diesen Notbehelf anwendeten, doch zur Welt kommen,
bedingungsweise getauft werden müßten; und damit sieht sich das Kollegium
in Übereinstimmung mit allen geltenden Ritualen, die erlauben, ein Kind zu taufen,
von dem ein Teil des Körpers sichtbar geworden ist, aber nichtsdestoweniger
vorschreiben und verfügen, es bedingungsweise zu taufen, sollte es glücklich
zur Welt kommen.
Gegeben in der Sorbonne am 10. April 1733.
A. Le Moyne, L. De Romigny, De Marcilly.
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