adame, die einer wohlhabenden Bauernfamilie im Departement Eure entstammte, hatte das Patronat so selbstverständlich übernommen, als wäre es ein Modeatelier oder ein Wäscheladen. Das ehrenrührige Vorurteil, das der Prostitution in den Städten so heftig und so zählebig anhängt, gibt es auf dem normannischen Land nicht. Der Bauer sagt: »Das ist ein gutes Gewerbe«, und es gilt ihm gleich viel, ob sein Kind einen Harem unterhält oder ein Jungmädchenpensionat leitet.

Das Etablissement übrigens war durch Erbschaft von einem alten Onkel auf sie übergegangen. Monsieur und Madame, vorher Gastwirte bei Yvetot, hatten sofort liquidiert, weil das Geschäft in Fécamp ihnen einträglicher dünkte; und eines schönen Morgens waren sie angereist, die Leitung des Betriebs zu übernehmen, mit dem es in Abwesenheit der Besitzer bergab ging.

Sie waren tüchtige Leute, die sich beim Personal und bei den Nachbarn sofort beliebt machten.

Zwei Jahre darauf starb Monsieur an einem Schlaganfall. Da der neue Erwerb ihn nicht eben in Bewegung hielt, war er sehr dick geworden, und die Gesundheit hatte ihn erstickt.

Madame wurde seit ihrer Witwenschaft von sämtlichen Stammgästen des Etablissements vergebens umworben; doch wußte man sie unbedingt sittsam, und nicht einmal die hauseigenen Damen konnten ihr etwas nachsagen.

Sie war groß, üppig, einnehmend. Ihr Teint, im Dunkel der stets geschlossenen Räume verblaßt, glänzte wie unter fettem Lack. Eine schmale Garnitur falscher Löckchen umkräuselte ihre Stirn und lieh ihr ein jugendliches Aussehen, das der Reife ihrer Formen widersprach. Unwandelbar gut gelaunt und offenen Wesens, scherzte sie gern, doch mit einer gewissen Zurückhaltung, die ihre neue Tätigkeit ihr noch nicht hatte austreiben können. Grobe Worte schockierten sie immer ein wenig; und nannte ein schlecht erzogener Bursche das Etablissement, das sie leitete, bei seinem wahren Namen, wurde sie böse, entrüstete sich. Kurz, sie hatte eine empfindsame Seele, und wiewohl sie mit ihren Frauen freundschaftlich umging, wiederholte sie des öfteren, daß sie doch nicht »aus demselben Korbe kämen«. - (nov)

Madame (2) de Montbazon war von sehr großer Schönheit. Bescheidenheit fehlte ihrem Auftreten. In ruhigen Zeiten hätten ihr Hochmut und ihre Redeweise ihren Mangel an Geist wohl verdeckt. Sie war wenig zuverlässig in der Liebe, überhaupt nicht im politischen Geschäft. Sie liebte nichts als ihr Vergnügen, und über ihr Vergnügen ging ihr noch ihr Vorteil. Nie habe ich jemanden gesehen, der im Laster so wenig Achtung für die Tugend bewahrt hätte. - (retz)

Madame (3)  Emma nahm sich noch immer junge Mädchen ins Bett, verwöhnte ihren Liebling ein Jahr oder etwas länger und suchte sich dann ein neues Spielzeug. Ich war ungefähr ein halbes Jahr ihr Bettwärmer gewesen, als ich neu ins Haus kam. Ich wurde mit den feinsten Erdbeeren gefüttert, geküßt und abgeknutscht, ins Bett genommen, umarmt und gestreichelt. Sie spielte mit mir wie mit einem Schoßhündchen, das zu niedlich war, um etwas anderes als gehätschelt zu werden. Ich kannte damals das Wort Lesbierinnen noch nicht. Als ich es zum erstenmal horte, kam es mir dümmer vor als die Sache selbst. Das Ganze machte mir nichts aus, und außerdem war ich auch noch ziemlich naiv. Zu schmusen und mit einer Frau herumzuspielen, das schien zu der Lebensweise zu gehören, die mein Beruf in dieser Welt von mir verlangte. Ein kleiner Kitzlertrip und Tittenimbiß, wenn es die Madame so haben wollte, gehörte eben dazu, einen reibungslosen Betrieb im Bordell zu gewährleisten. Eine Madame konnte einem Mädchen die Hölle heiß machen, wenn es frech war und versuchte, sich gegen Sitte und Hausbrauch aufzulehnen. Wenn die menschliche Natur solche Sachen erlaubte, sah ich keinen Grund, sie abzulehnen. - Nell Kimball, Madame - Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wien und Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932)

Madame (4) Ich traf mich mit den einheimischen Madames. Eine meiner Bekannten aus Tenderloin war Tessie Wall, oder Miss Tessie, wie man sie nannte. Sie war eine hübsche, stramme Person, aber mit einem Faß im Magen, in den man fünf Liter Wein bei einer Sitzung einfüllen konnte. Miss Tessie hatte einen gutgeformten Körper und war vulgär und gierig. Es gab eine Geschichte über sie, die jahrelang im Umlauf war. Als sie mit ihrem Liebhaber, dem Spieler Frankie Daroux, beim Essen saß, leerte sie zweiundzwanzig Weinflaschen, ohne ein einziges Mal vom Tisch aufzustehen. Als sie heirateten, kamen über hundert Gäste zu ihrer Hochzeit. Ich hörte später, daß Frankie darauf bestand, daß sie ihr Haus zusperrte. Er wollte, daß sie zu ihm nach San Mateo zog. Da sagte Miss Tessie: „Lieber bin ich eine elektrische Glühbirne in der Powell Street, als daß ich all das verfickte Bruchland dort besitze." Der Spieler verließ sie und wollte nicht mehr zurückkommen. Tessie nahm einen Revolver. Dann paßte sie ihren Frankie auf der Straße ab, zog das Schießeisen heraus und schoß dreimal. Sie zielte auf seine Hoden, konnte aber keinen Volltreffer landen und verletzte Frankie Daroux nur. Als die Polizei kam, stand sie über ihn gebeugt. „Ich schoß auf diesen Scheißkerl, weil ich ihn liebe", sagte sie. Frankie wurde wieder gesund und wanderte nach New York ab. Miss Tessie zog sich rechtzeitig vom Geschäft zurück und nahm das goldene Bett, das sie in ihrem Bordell benutzt hatte, in ihr Appartement in der Achtzehnten Straße mit.  - Nell Kimball, Madame - Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wien und Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932) 

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