- Edward Gibbon, Verfall und Untergang des Römischen Reiches.
Nördlingen 1987 (Die Andere Bibliothek 29, zuerst 1776 bis 1788)
Tugend (2) Die weiber
füren das schwert im maul / darumb muß man sie auf die scheyden
schlagen Es ist ein weib von natur ein kläppisch weschig
ding / darumb meynen etlich/ dieweil sie das schwerdt in dem
maul füren/ muß man die weiber auff die scheyden/ das ist/ auffs
maul/ klopfen. Sanct Peter sagte von zweien tugenten / die den
weibern wol anstehen. Die erst heißt Sanfftmut/ die ander Stille/
und diese beyde im geyst/ dann das ist der schmuck des hertzen/
welcher vor Gott prächtig ist. Er setztet aber die zwo tugent
wider zwey laster / die den weibern
von natur angeboren synd/dann wo ein weib ist die der ehrn fromm
ist/ den mann lieb hat/und nicht gern wollt/ daß es unrecht zugieng/
und sihet gleichwol/ daß es unrichtig im hause stehet/ das gesind
ist untrew/zerbricht vil/geschicht vil schaden hinden und vornen/die
kan es nicht lassen sie schilt/flucht/und ficht es alles mit
dem maul aus.-
(klueg)
Tugend (3) Das ist heute doch keine
Schande mehr. Heuchelei
ist ein Mode-Laster, und alle Mode-Laster gelten für Tugenden.
Die Rolle des ehrbaren Mannes ist die beste von allen Rollen,
die man spielen kann. Heutzutage bietet der Beruf
des Heuchlers uns die größten Vorteile. Das ist eine Kunst, die
gerade um ihrer Verlogenheit willen aufs höchste geschätzt wird.
Und selbst wenn sie entlarvt wird, wagt man nichts gegen sie
zu sagen. Alle andern menschlichen Laster werden bekrittelt,
jeder hat die Freiheit, sie offen anzugreifen; nur die Heuchelei
ist ein privilegiertes Laster, das mit eigner Hand der ganzen
Welt das Maul stopft und sich einer behaglichen Straflosigkeit
erfreut. Man schließt mit Hilfe seiner Schliche ein enges Bündnis
mit allen ähnlich Denkenden. Wer bei einem von ihnen Anstoß erregt,
hat die ganze Gesellschaft auf dem
Halse, und jene, von denen man sehr wohl weiß, daß sie in gutem
Glauben gehandelt haben, und die jeder als die wirklich Betroffenen
kennt, - jene sind, sage ich, immer die Narren der anderen. Sie
gehen gutgläubig in die Falle der Heuchler und unterstützen blindlings
die Affen ihrer Handlungen. Was meinst du, wieviel Leute ich
kenne, die durch diesen Kniff die Verfehlungen ihrer Jugend vergessen
machten, sich aus dem Mantel der Religion einen Schild verfertigten
und unter diesem Ehrfurcht heischenden Gewand die Genehmigung
erhielten, die gemeinsten Menschen auf Gottes Erdboden zu sein?
Man kann genau Bescheid wissen über ihre Ränke und sie ganz und
gar durchschauen - sie stehen trotzdem in hohem Ansehen bei den
Leuten; ein Neigen des Kopfes, ein schwerer Seufzer, ein Augenrollen
rechtfertigen vor der Welt alles, was sie auch tun mögen. Unter
diesen sichern Schutz will ich mich jetzt stellen und meine Geschäfte
in Ordnung bringen. Ich werde meine süßen Gewohnheiten nicht
aufgeben, aber ich will ihnen im Geheimen frönen und ich will
mich ohne Lärm vergnügen. Wenn ich entdeckt
werden sollte, werde ich, ohne mich sonderlich anzustrengen,
meine Interessen mit denen der ganzen Gesellschaft zu verquicken
wissen, und werde dann von ihr gegen alle verteidigt werden.
Das ist die beste Methode, ungestraft alles zu tun, was man will.
Ich werde mich zum Richter der Handlungen anderer aufspielen,
werde alle aufs strengste verurteilen und nur von mir selbst
guter Meinung sein. Wer mich einmal auch nur im geringsten geärgert
hat, dem werde ich nie verzeihen und im stillen einen unversöhnlichen
Haß gegen ihn nähren. Ich werde mich zum Rächer des Himmels aufspielen
und unter diesem bequemen Vorwand meine Feinde zu treffen wissen.
Ich werde sie der Gottlosigkeit anklagen und gegen sie alle vorlauten
Eiferer hetzen, die ohne Kenntnis des Sachverhalts überall gegen
sie schreien, sie mit Schmähungen überhäufen und sie im Bewußtsein
ihrer Autorität hochmütig verdammen. So nutzt man die Schwächen
der Menschen aus. - Molière, Don Juan. In: Molière,
Werke. Übs. Arthur Luther, R. A. Schröder, Ludwig Wolde.
Wiesbaden 1954 (Insel)
Tugend (4) Warum wollen Sie den Heroismus so weit treiben,
daß er Sie leiden macht ? Wenn die Tugend uns nicht glücklich macht — ei, zum
Kuckuck, welchen Zweck hat sie denn ? Ich rate Ihnen also, nur gerade so viel
Tugend zu haben, und nicht mehr, wie Sie brauchen, um Ihnen Behaglichkeit und
Bequemlichkeit zu beschaffen Sollte etwas herannahen, was Ihnen einen tödlichen
Kummer verursachen würde, so schließen Sie sich dagegen ab halten Sie es mit
allen Kräften von sich fern, und quälen Sie sich nicht mit dem Gedanken, daß
Sie es hätten tun können, aber nicht getan haben. Und keinen Heroismus, bitte!
- (
gale
)
Tugend (5)
Tugend (6) Zeit meines Lebens ist mir aufgefallen, wie
reichlich oft die Anwälte der Tugend und sogar ihre Beflissenen augenscheinlich
selber ernste Zweifel an der Unbezwinglichkeit der Tugend als eines Schildes
hegen und Glauben und Vertrauen lieber nicht in die Tugend setzen, sondern eher
in den Gott oder die Göttin, deren Schützling die Tugend ist; aus Lehnstreue
zur Obergottheit die Tugend selbst gewissermaßen übergehend, wofür als Gegenleistung
die Göttin entweder die Versuchung abwehrt oder jedenfalls Fürsprache einlegt.
Was sehr viel erklärt, da mir ebenfalls zeit meines Lebens aufgefallen ist,
daß die Göttin, deren Schützling die Tugend ist, die gleiche zu sein scheint,
deren Schützling auch das Glück, wenn nicht gar die Torheit ist. -
(spit)
Tugend (7) Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, daß es ein großes Verdienst ist, die Natur zu überlisten, und daß es anderseits ein schwerer Fehler ist, sich von ihr überlisten zu lassen, und daß man eine Tugend, die unserseits eine Feigheit vor der Natur ist, härter büßen muß als ein Laster, das eine Niederlage der Natur vor uns wäre.
Die Natur beherrscht uns durch Überlistung, wir unserseits beherrschen sie ebenfalls durch Überlistung, und es ist eine gewöhnliche Tugend, sich von ihr überlisten zu lassen, während es eine seltene Tugend ist, sie zu überlisten.
Würden wir, was die Natur will, wir versänken in namenloser Schmach.
Gewöhnliche Tugend nenne ich die heimliche Herrschaft eines weniger gefährlichen Lasters, das man allen anderen vorzuziehen verstanden hat und das alle anderen regiert, als Seelenlenker und Lebensordner: bald ist dies die Trägheit, häufiger der Geiz.
Die Mittelmäßigen werfen dir deine Laster vor, als ob sie der Tugend fähig wären.
Man kann nicht ohne Tugenden leben, ebenso wenig wie ohne Geld.
Die meisten Tugenden sind nur das gängige Kleingeld der Laster. - Marcel Jouhandeau, Herr
Godeau heiratet. In: M. J., Elise. Reinbek bei Hamburg
1968 (zuerst 1933 ff.)
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