aster   Der französisch-englische Arzt Bernard de Mandeville (1670 bis 1733) gab im Jahre 1714 ein Buch heraus, das unter dem Titel: »The fable of the bees, or private vices public benefits« in London erschien, und die These verfocht, daß das Laster für die Blüte eines Staates ebenso notwendig sei, wie der Hunger für das Gedeihen der Menschen.

Die These fand in Frankreich großen Anklang und wurde von Voltaire und den Enzyklopädisten akzeptiert. Der berüchtigte Marquis de Sade  gestaltete in seinen zahlreichen Werken die Auffassung Mandevilles zu einer Apologie des Lasters in allen Formen, hauptsächlich aber in der Form der Prostitution und der geschlechtlichen Korruption. - (erot)

Laster (2) Ich schreibe das an die Jünglinge, die noch nicht verdorben sind wie ich, der ich morgen wieder schreibe, weil ich diesem Laster verfallen bin, das abgefeimter und blutsaugerischer ist als der Morphinismus. Ich bin ihm noch nicht ganz verfallen, das heißt, ich habe noch andere Laster, die fast ebenso schlimm sind, ich schreibe nur, wenn es mir so vorkommt, als falle mir was ein, bei mir ist es noch nicht umgekehrt. Noch sind mir die Dinge wichtiger als der Katalog, noch befällt mich kein Krampf, wenn ich etwas nicht haben kann, ich bin noch der Herr in meiner Haut. Ich weiß, mein Hals ist besser als mein Gesang, auch die Dinge, die ich besinge, sind besser. Ich »muß« noch nicht schreiben wie so viele, die doch nicht schreiben können.  - (bre)

Laster (3) Der Surrealismus erlaubt denen, die sich ihm widmen, nicht, ihn fallenzulassen, wann es ihnen gefällt. Alles weist darauf hin, daß er in der Art von Stimulantien auf den Geist wirkt; wie diese erzeugt er einen gewissen Zustand des Bedürfnisses und vermag den Menschen in schreckliche Revolten zu treiben. Wieder einmal stehen wir, wenn man will, vor einem sehr künstlichen Paradies, und unser Hang dort hin fällt mit dem gleichen Recht unter die Baudelairesche Kritik wie alle anderen. Unter manchen Aspekten erscheint der Surrealismus wie ein neues Laster, das nicht nur einigen wenigen eignen soll; wie das Haschisch vermag auch er alle Wählerischen zu befriedigen.  - André Breton, Das erste surrealistische Manifest (1925). In: A.B., Die Manifeste des Surrealismus. Reinbek bei Hamburg 1986 (re 434)

Laster (4) »Stell dir einen Einbrecher vor, der sich absichtlich Häuser oder Wohnungen aussucht, in denen jemand anwesend ist...«

»Um dort einzudringen?«

»Ja. Jedes Jahr sind in Paris, und sozusagen in jeder Jahreszeit, Wohnungen wochenlang unbewohnt, während die Mieter am Meer, im Gebirge, in ihrem Schloß oder im Ausland sind.«

»Und man bricht in sie ein.«

»Ja, man bricht in sie ein. Spezialisten brechen ein, die sich nie an einer Wohnung vergreifen würden, in der sie riskieren, Menschen zu begegnen.«

»Worauf willst du damit hinaus?«

»Ich denke dabei an meinen Cuendet, der sich nur für bewohnte Wohnungen interessiert. Oft wartet er, um dort einzudringen, bis die Herrschaften aus dem Theater oder von anderswo zurückgekehrt sind und die Dame des Hauses ihren Schmuck in ein Nebenzimmer oder manchmal sogar auf ein Möbelstück im Schlafzimmer gelegt hat.«

Madame Maigret entgegnete logisch:

»Wenn er einbräche, während sich die Dame auf einer Gesellschaft befindet, würde er den Schmuck nicht finden, da sie ihn, wie du sagst, trägt.«

»Er würde dann wahrscheinlich etwas anderes finden, Wertgegenstände, Bilder, Geld.«

»Willst du damit sagen, daß es bei ihm eine Art Laster ist?«

»Das Wort ist vielleicht zu stark. Aber es war wohl eine Manie. Es bereitete ihm ein gewisses Vergnügen, sich in das brutwarme Leben der Leute einzuschleichen. Einmal hat er eine Uhr vom Nachttisch eines Schlafenden genommen, der nichts gehört hat.«

Jetzt lächelte sie auch.

»Wie viele Male hast du ihn geschnappt?«

»Er ist nur einmal verurteilt worden.« - Georges Simenon, Maigret und der faule Dieb. München 1977 (Heyne Simenon-Kriminalromane 61, zuerst 1961)

Laster (5), Tugend. Der zum Lasttragen Taugliche wird vom Belaster für tugendhaft gehalten. Was beim Sklaven als L. gilt, wird beim Herrn zur Tugend, und umgekehrt. Der Mut ist eine Herren-, die Feigheit eine Sklaventugend. Der Übermensch wendet Gewalt an, der Untermensch darf es nicht. Der Sklave hat das Herrenlaster der Sparsamkeit zu üben, damit der Herr nach Herzenslust dem Sklavenlaster der Verschwendungssucht fronen kann.  Die freie Menschheit denkt und lebt richtig und ist daher weder tugend- noch lasterhaft (s. Gotteslästerung)  - (se)

Laster (6)

 "Das höchste Laster"

"Das oberste Laster"

 - Felicien Rops, nach: Wieland Schmied, Zweihundert Jahre phantastische Malerei. München 1980

Laster (7)  Der junge Mann behauptete zwar noch, da er zu spät seinen Irrtum einsah, es mache ihm nichts aus, einen ›Polypen‹ umzulegen, und er trieb die Kühnheit sogar so weit, dem Baron zu sagen: ›Du kannst mich jederzeit haben.‹ Der Zauber war gebrochen. Man merkte die Absicht wie in Büchern von Verfassern, die im Apachenjargon schreiben wollen. Vergebens führte der junge Mann im einzelnen alle ›Schweinereien‹ auf, die er mit seiner Frau trieb; Monsieur de Charlus stellte nur mit Verwunderung fest, auf wie weniges sich diese ›Schweinereien‹ beschränkten. Im Grunde lag das nicht nur an der Unehrlichkeit der Erzählung. Nichts ist in sich begrenzter als Laster und Lust. Man kann wirklich, wenn man das Beiwort mehr in diesem bestimmten Sinne auffaßt, sagen, daß man sich da stets in einem ›Circulus vitiosus‹ bewegt.  - Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. (Die wiedergefundene Zeit) Frankfurt am Main 1965 (zuerst 1913 ff.)

Laster (7)  Wenn es einerseits laut Valéry stimmt daß die Schriftsteller aus Schwäche schreiben und anderseits laut La Bruyère daß von den Schriftstellern alles bereits gesagt und ausgedrückt und ausgepreßt sei, wird man zugeben daß das Schreiben nötig ist, weil es ein Laster ist, so wie man es genießt zum Tod hinabzusteigen, aber doch noch unter der Bedingung ein wenig Kunst und Erschwernis beizusteuern. Tatsächlich geht es gleichzeitig darum ein Laster zu befriedigen und den andern Menschen zu gefallen. Das ist ohne Zweifel eine liebreiche Form des Lasters, und der Suche nach gesellschaftlicher Gemeinschaft. Gewiß ich sage nicht man müsse sich positiv in seine Schriften einbringen um sich dadurch beliebt zu machen. Doch ich glaube man muß sich wenn ich so sagen darf negativ einbringen und zwar mit all seinen kritischen Fähigkeiten. Denn man liebt den Autor weil er so vorgeht daß er dieses, von ihm gewollte, Gedicht genau so gut macht wie er's gewollt hat. (Welch ein Pathos)  - Francis Ponge, Schreibpraktiken oder Die stetige Unfertigkeit. München 1988 (Edition Akzente, zuerst 1984)

Laster (8)   Ich dachte heute früh: in meinem Leben habe ich drei Laster gehabt - den Kaffee, die Zigaretten, und mit der Frau, die ich liebe, Muschilecken zu machen.  - (leau)

Laster (9)

- M. E. Philipp

Laster (10)  Unter den drei Lastern: Faulheit, Feigheit und Falschheit, scheint das erstere das verächtlichste zu sein. Allein in dieser Beurteilung kann man dem Menschen oft sehr unrecht tun. Denn die Natur hat auch den Abscheu für anhaltende Arbeit manchem Subjekt weislich in seinen für ihn sowohl als andere heilsamen Instinkt gelegt; weil dieses etwa keinen langen oder oft wiederholten Kräftenaufwand ohne Erschöpfung vertrug, sondern gewisser Pausen der Erholung bedurfte. Demetrius hätte daher nicht ohne Grund immer auch dieser Unholdin (der Faulheit) einen Altar bestimmen können; indem, wenn nicht Faulheit noch dazwischen träte, die rastlose Bosheit weit mehr Übels, als jetzt noch ist, in der Welt verüben würde; wenn nicht Feigheit sich der Menschen erbarmte, der kriegerische Blutdurst die Menschen bald aufreiben würde, und, wäre nicht Falschheit (da nämlich unter vielen sich zum Komplott vereinigenden Bösewichtern in großer Zahl (z.B. in einem Regiment) immer einer sein wird, der es verrät), bei der angebornen Bösartigkeit der menschlichen Natur ganze Staaten bald gestürzt sein würden.    - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (zuerst 1798/1800)

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