audatio
Fürst des Feuers! Ich komme zu dir, um im
Namen der toten Gewässer mit dir zu sprechen; gewiß könntest du mit deiner Glut
alle Wasser vernichten, aus denen ich stamme, obwohl gerade das Wasser als das
definiert wird, was besser als jede andere Kraft dein Feuer löschen kann. Ich
möchte das Wasser rühmen, das feuchte Element, möchte
den Schlamm loben und die Jauche preisen, den Eiter
der Erde. Das Wasser ist nachgiebig, allgegenwärtig, schweigsam; das Wasser
verzehrt reglos alles, was sich auf ihm niederläßt und hinabsinkt, das Wasser
sprudelt von winzigen Lebewesen, wohin sich die Götter zurückziehen, das Wasser
fließt, überflutet, besitzt, und trotzdem erobert es nicht. Aber ich vertrete
nicht das Wasser, ich vertrete den Sumpf, den weichen
Ort der mephitischen Dünste, den Gott der Verwesung,
der Fäulnis, des geringsten aber unduldsam drängenden
Lebens. Du bist edel und rotwangig und hast ein kriegerisches Gebaren; der Sumpf
ist schändlich und gemein - ach, wie groß ist seine Gemeinheit
und seine weiche Feigheit! Es ist leicht, dich zu lieben, es ist ehrenhaft,
dich zu ehren, es ist festlich, dir ein Fest oder ein Feuer zu richten; aber
vielleicht bist du auch Betrug und Gewalt, bist der inexistente Himmel, bist
der Scheiterhaufen für die Sünder, die Niederbrennung der rebellischen Städte,
die Verbrennung der Ketzer; man sagt mir, daß du der Hüter der Wahrheit seist.
Aber der Sumpf steht der Wahrheit gleichgültig gegenüber und dem Edelmut begegnet
er mit Zerstreutheit, er ist nicht rebellisch, denn er ist selbst Rebellion;
aber seine Rebellion bleibt unbemerkt, und niemand, nicht einmal der Sumpf weiß,
worin diese unerschöpfliche und schweigsame Revolte besteht. Der Sumpf, begreifst
du, ist schlau; und - das solltest du wissen - erfinderisch; und - laß dir das
nicht entgehen - ausweichend. Er ist immer weit weg, aber er sondert sich nicht
ab; er ist immer nachdenklich, aber er erscheint dir zerstreut; er ist tödlich,
aber er zeigt sich gastlich. Seine feuchten Sande umschließen mehr Städte als
dein Zorn je verzehrt hat, oh Feuer! In den Sumpf, dessen unwürdiger Kammerherr
ich bin, versenken sich unablässig Nationen, Fahnen, Volksstämme und ganze Planeten
mit wechselhafter Geschichte; in diesem Augenblick, so sagt man mir, ist eine
ganze Galaxis dabei, in die Tiefe des Sumpfs zu stürzen.
Gewiß, es heißt, daß es deine Aufgabe sei, das Gefüge der Welt am Ende der Zeiten
zu zerstören; und wahrscheinlich bist du dazu fähig, nicht wahr? Aber ich glaube
nicht, daß du den Sumpf zerstören wirst; der Sumpf gehört nicht zur Welt, nein,
er ist kein Gott, er ist vielleicht das Exkrement eines
Gottes oder mehrerer Götter,
aber du, du, das wissen wir, bist wahrhaftig kein Exkrement, und es ist das,
nur das, was uns trennt. Siehst du, ich dachte, daß wir uns lieben
könnten, und als Sumpf kann ich auch wirklich alles lieben - ich meine alles,
was sich als lasterhaft bekennt und erklärt. Mein Sumpf verzehrt Leichen, endlos
aber ohne Gier, aber du bist gierig, gefräßig, und vor allem bist du gerecht,
du bist die Scharfrich-terlichkeit, so wie mein Schlachtroß die Pferdhaftigkeit
ist. Aber der Sumpf ist mild, denn er ist ungerecht, ist lasterhaft,
ist lückenlos; seine Ausdehnung ist friedlich, trüb und unendlich. Wenn du im
Sumpf eine Zone mit stillen Wassern findest, dann kannst du dein Antlitz darin
erspähen, die Blässe deines Gesichts. Und du, was bist du? Du scheinst der Scheiterhaufen,
die Hölle, das Himmelreich, du bist das Höchste und das Geringste; in jedem
Fall bist du die Katastrophe; in dich kann man nicht eintreten; aber der Sumpf
ist der Ort der Türen.
- Giorgio Manganelli,
Der endgültige Sumpf. Berlin 1993 (zuerst 1991)
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