aden  Das Glück nistet, so sagt man, in einer der übelsten Spelunken Suburas unter sechs Stockwerken im Erdgeschoß zusammengedrängt, wie die Scham sich unter einem massigen Körper duckt. Vor der Schwelle stehen Kotkübel, und rechts und links zerfallen die Häuser des Schlächters und des Henkers.

Der Laden - denn es ist ein Laden - unterscheidet sich von den benachbarten nur durch sein Aushängeschild: Am Fenster des Henkers trocknet eine blutige Peitsche; der Schlächter hat sich einen Lindwurm auf die geschlossenen Fensterläden malen lassen, um die pissenden Kinderrudel und die bettelnden Würsteangler abzuschrecken.

Zwischen den fließenden Kurven der Peitsche, die die Flucht des Nachtwindes stört, und der bunten Schlangenwindungen reckt sich über der Tür des Glückes eine Art Stange, die im Gegensatz zu dieser Bewegtheit noch aufrechter wirkt, aber etwas dicker ist als eine Stange, als wäre ein Fahnentuch um sie gerollt.

In den Augen eines Passanten von heute böte die Fassade den Anblick einer ganz gewöhnlichen Landgendarmerie an Werktagen.

Doch das Ding da ist monströser, ungewöhnlicher und verlockender als eine Fahne, denn es bedeutet etwas.

Füllt denn das Glück, das einer Inschrift in roten Lettern zufolge hier wohnt, seine Bleibe derart aus, daß seine überschüssige Kraft sich zu diesem Vorsprung über der Tür auftürmt?

Das animalisch-göttliche Emblem, der große Phallus aus Feigenholz, ist an den Türsturz genagelt wie ein Nachtvogel an die Scheune oder ein Gott an den Giebel eines Tempels. Seine Flügel sind zwei gelbe, blasenförmige Laternen. Sein Kopf ist wie das Gesicht des Jupiter Capitolinus zinnoberrot geschminkt.

Das Spruchband des leinenen Aushängeschildes, das man im Laternenlicht entziffern kann, würde im Wind schlagen, wenn es der steife Gott nicht zwischen sich und der Mauer, seinem Bauch, festklemmte.

Angesichts des aufgehängten Tieres wirkt die Erhabene Hure, Fleisch und Blut göttlicher Kaiser, unkenntlich in ihrem düster wallenden Purpurmantel, dessen einzelne Falten Traufen der Finsternis sind, und im Schwarz ihrer Kapuze, in der ihre blonde Perücke (Messalina ist dunkelhaarig) einen Stern entzündet, göttlicher noch als Larentia, wie die durch den pfeifenden Ruf ihres sterbenden Käuzchens vom Himmel herabbeschworene Nacht selber. - (mes)

Laden (2) Ich lernte, daß jedem sein eigenes Übel das ärgste auf Erden ist, und wie ihr eigenes Übel die Menschen so sehr beunruhigt, daß sie stets das entgegengesetzte Übel eintauschen wollen in dem kleinen, gräßlichen Laden. So tauschte ein Weib, dem es versagt war, Kinder zu haben, mit einem armen, halbirren Kind von zwölf Jahren. Und ein andermal hatte ein Mann seine Weisheit für Narrheit gegeben. «Aber warum nur hat er dies getan?» fragte ich. «Das kümmert mich nicht», versetzte der Alte in seiner schwerfällig schläfrigen Art. Er kassierte ja bloß seine zwanzig Francs von jedem Besucher und bestätigte in dem kleinen Verschlag an der Hintertür seines Gewölbes durch Unterschrift den geschlossenen Handel. Doch schien jener Mann, der da Weisheit für Narrheit gegeben, den Laden auf Zehenspitzen verlassen zu haben mit glücklicher, wenn auch törichter Miene, und der andre war nachdenklich fortgegangen mit besorgtem und recht verwundertem Aussehn. O ja, es hatte den Anschein, als wären fast alle Kunden aufs Gegenteil dessen bedacht, was sie bedrückte. - Lord Dunsany, Das Bureau d'Echange de Maux. In: Ders., Das Land des Yann. Stuttgart 1983 (Bibliothek von Babel, Hg. Jorge Luis Borges)

Laden (3) In der Nähe der Place Maubert, dort wo ich früh morgens auf den Autobus warte, stoßen drei Läden aneinander: Juwelierladen, Holz und Kohlen, Fleischerei. Indem ich sie abwechselnd betrachte, beobachte ich das unterschiedliche Verhalten meiner Augen gegenüber dem Metall, dem Edelstein, der Kohle, dem Holzscheit, dem Stück Fleisch.

Halten wir uns nicht allzulang bei den Metallen auf, die nur die Folge einer gewaltsamen oder entzweienden Handlungsweise des Menschen an Schlammarten oder bestimmten Erzanreicherungen sind, welche von selbst niemals auf solche Gedanken kämen; auch nicht bei den Edelsteinen, deren Seltenheit gerade bewirken sollte, daß man ihnen nur wenige, sehr gewählte Worte in einem ausgewogenen Vortrag über die Natur widmete.

Was das Fleisch betrifft, so zwingt mich ein Schaudern bei seinem Anblick, eine Art Grauen oder Sympathie, zu größter Verschwiegenheit. Frisch geschlachtet, entzieht es außerdem ein Dampf- oder Rauchschleier sui generis den Augen, die im eigentlichen Sinne des Wortes ihren Zynismus beweisen möchten: alles, was ich zu sagen vermag, werde ich gesagt haben, wenn ich die Aufmerksamkeit eine Minute lang auf seinen zuckenden Aspekt gelenkt habe. Doch die Betrachtung des Holzes und der Kohle ist ein Quell eben-s° müheloser wie nüchterner und sicherer Freuden, und ich wäre schon zufrieden, wenn ich an dieser teilhaben lassen könnte. Ohne Zweifel brauchte es dazu mehrere Seiten, während ich hier nur über eine halbe verfüge. Deshalb beschränke ich mich darauf, euch folgende Themen zum Nachdenken vorzuschlagen: »1.) DIE ZIELGERICHTETE ZEIT RÄCHT SICH STETS, DURCH DEN TOD. — 2.) BRAUN, DAS BRAUN BEIM VERKOHLEN ZWISCHEN GRÜN UND SCHWARZ LIEGT, DIE BESTIMMUNG DES HOLZES NOCH — OBGLEICH MINIMAL — EINE GESTE ERLAUBT, DAS HEISST DEN IRRTUM, DEN FEHLTRITT SOWIE ALLE NUR MÖGLICHEN MISSVERSTÄNDNISSE.« - Francis Ponge, Im Namen der Dinge. Frankfurt am Main 1973 (BS 336, zuerst 1942)

Laden (4)

Laden (5)   Eines der Warenhäuser, Depots, Vitrinengebäude, Dependancen der Ladenzeile ist, obwohl so grell ausgeleuchtet wie alle die anderen, vollkommen leer, weiße Wände ohne Stellagen; weder ein Kleiderbügel noch ein Karton noch auch bloß ein Reißnagel irgendwo, nicht etwa gerade ausgeräumt und auf eine neue Warenlieferung wartend, auch nicht frisch errichtet und deswegen bis morgen oder bis zur nächsten Woche noch so leerstehend, sondern derart leer schon seit langem, und auf Dauer, mitsamt seinem Leerstehen, selbst ohne ein Schild, ohne eine Firmeninschrift, ohne eine Hausnummer, wie die übrigen Läden der Diagonale in Betrieb oder zumindest betriebsbereit.

Denn da ist erst einmal die übliche automatische Glastür, aufgehend und zum Eintreten einladend auch den, der im Abstand passiert; und dann sitzt dort im Hintergrund (ja, Hintergrund) des seit jeher leeren Geschäfts auch noch ein einzelner Mensch, klar der Geschäftsführer, im dreiteiligen Anzug und mit Krawatte, auf einem Stuhl, einem niedrigen und überschmalen, an einem sehr kleinen, aber sauber polierten Tisch, auf den er beide Hände gelegt hat, mit ausgestreckten, gespreizten, rundmanikürten Fingern wie nur je ein Kaufmann und Händler, während er, hochaufgerichtet, die Tür im Auge behält, im Unterschied zu den Verkäufern in den Nachbarabteilen (diese immer in der Mehrzahl, sich unterhaltend, mancher wie abwesend) die Geistesgegenwart in Person, ohne den Schimmer eines einzigen Kaufartikels, ohne Katalog, ohne Computer, ohne Telefon, ohne Papier und Bleistift, ohne Zahnstocher, ohne Maultrommel, ohne Patronengurt. - Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002

Laden (6)   Es kommt zum Beispiel ein Soldat in ein Geschäft, kauft eine Kleinigkeit, und bleibt dort nun an den Pult gelehnt stehn, hört den Gesprächen zu, versteht sie wahrscheinlich nicht, aber es hat doch den Anschein, als ob er sie verstünde, sagt selbst kein Wort, blickt nur starr auf den, welcher spricht, dann wieder auf die, welche zuhören, und hält die Hand auf dem Griff des langen Messers in seinem Gürtel. Das ist abscheulich, man verliert die Lust an der Unterhaltung, der Laden leert sich, und erst wenn er ganz leer ist, geht auch der Soldat. - (kaf)

Laden (7)

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