erfolger Der
dunkel gekleidete Herr mit dem aufmerksamen und nachdenklichen Gang weiß, daß
er verfolgt wird. Niemand hat es ihm gesagt und es gibt keinerlei Beweise dafür,
daß die Dinge sich so verhalten - trotzdem weiß er mit absoluter Sicherheit,
daß ihn jemand verfolgt. Er weiß nichts über den Verfolger, aber er weiß, daß
die Verfolgung schon vor geraumer Zeit begonnen hat
- und daß sie einen Grund hat - auch wenn niemand, ausgenommen der Verfolger,
ihn kennt. Er weiß auch, daß man ihm mit großer Sorgfalt und Hartnäckigkeit
folgt. Von dieser Verfolgung sind ihm nur spärliche Dinge bekannt: zunächst
einmal, daß er weniger verfolgt wird, wenn er sich draußen unter der Menge bewegt,
als wenn er sich zu Hause aufhält. Das soll nicht heißen, daß die Verfolgung
sich verlangsamt oder daß der Verfolger durch die Menge behindert wird; vielmehr
erleidet die Verfolgung eine Art Verminderung, so als veränderte sich der Raum,
in dem sie tätig ist. Er weiß auch, daß die Verfolgung pfeilschnell agiert und
daß er, zumal sein Gang langsam ist, unweigerlich eingeholt werden wird, ja
daß man ihn bereits eingeholt haben müßte, und daß das, was notgedrungen geschieht,
wenn jemand eingeholt wird, bereits hätte geschehen müssen - was, ist ihm unbekannt.
Er weiß aber auch, daß der Verfolger ihn niemals einholen wird, auch nicht,
wenn er auf einer Parkbank rastet und vorgibt, die
Zeitung zu lesen - in bedingungsloser Ergebung und wehrloser Erwartung. - (
pill
)
Verfolger (2) Graukopf, der Spaßmacher, sprang plötzlich zum Feuer, riß die brennenden Scheite auseinander und zog das Mädchen bei den Haaren aus dem Versteck. Graukopf hatte sich als mächtiger erwiesen als die vier Großen Gahe. Mit ihren Schwertern zerstückelten sie die Unvorsichtige zur Strafe für ihre Neugierde. Dann waren sie lautlos aus dem Lager verschwunden, ehe noch jemand die Zeit gehabt hätte, sich nach ihnen umzudrehen. Niemand weiß, wohin die Gahe gehen; nur daß sie m den Bergen wohnen, ist gewiß.
Ein paar Apachen wollten einst die Gahe verfolgen, als sie vom
Feuertanz in ihre Berge zurückkehrten. Auf ihren schnellsten Pferden setzten
die Krieger den geheimnisvollen Besuchern nach, konnten sie aber nicht einholen.
Als die Gahe an einer Felswand angekommen waren, stießen
sie ihren schrillen Ruf gegen die Verfolger aus und waren gleich darauf im glatten
Stein verschwunden. Kurz danach brach eine schwere Seuche
aus im Lager dieser Menschen und raffte alle bis auf den letzten Krieger hinweg.
- Märchen aus Mexiko. Hg. Felix Karlinger und Maria Antonia Espadinha.
Düsseldorf Köln 1991 (Diederichs, Die Märchen der Weltliteratur)
Verfolger (3) Erst dachte ich, es sei Einbildung, denn sooft ich still stand, war alles ruhig, nur die Abendbrise strich durch die Baumwipfel. Wenn ich dann wieder weiterging, folgte meinen Schritten etwas wie ein Echo.
Ich zog mich vom Dickicht zurück, hielt mich auf offenem Grund und versuchte hin und wieder dieses Wesen, wenn es existierte, durch plötzliche Wendungen zu überraschen, sobald es an mich heranschlich. Ich sah nichts, und trotzdem wuchs das Gefühl, daß noch jemand da war, beständig. Ich ging schneller und kam nach einiger Zeit zu einem sanften Hügelrücken; ich überschritt ihn, wandte mich scharf und blickte von der anderen Seite unverwandt hinauf. Der Rand stand schwarz und scharfumrissen vor dem dunklen Himmel.
Und gleich darauf schob sich einen Moment lang eine unförmige Masse vor die
Himmelslinie und verschwand gleich wieder. Ich war überzeugt, daß mich mein
braungesichtiger Gegner neuerlich beschlich. Und zugleich erlangte ich die unangenehme
Gewißheit, daß ich den Weg verloren hatte. -
H. G. Wells, Die Insel des Dr. Moreau. München 2009 (zuerst 1896)
Verfolger
(4) Johnny trat ein und fegte uns mit seiner Musik übers
Gesicht, kam herein, obgleich er in seinem Hotel war und das Bett hütete, und
riß uns eine Viertelstunde lang mit sich fort. Ich verstehe, daß ihn der Gedanke,
Amorous könnte vor die Öffentlichkeit gebracht werden, in Harnisch bringt,
denn jeder merkt die Fehler, das deutlich hörbare Blasen am Ende einiger Phrasen,
und vor allem diesen wilden Sturz am Schluß, diesen
dumpfen, kurzen Ton, der mir vorkam wie ein brechendes Herz, wie ein Messer,
das in ein Brot eindringt (und er sprach vor einigen Tagen von dem Brot).
Dagegen würde Johnny entgehen, was wir schrecklich schön finden, die Beklemmung,
der Stau, der in dieser Improvisation einen Ausweg sucht,
voller Ausbrüche in alle Richtungen, voller Fragen, voller verzweifelter Gestik.
Johnny kann nicht verstehen (denn das, was er für mißlungen hält, scheint uns
ein Weg zu sein, wenigstens die Andeutung eines Weges), daß Amorous einer
der größten Augenblicke in der Geschichte des Jazz bleiben wird. Der Künstler
in ihm wird jedesmal vor Wut rasen, wenn er diese für ihn unvollkommene und
lächerliche Nachahmung seines Verlangens hört, alles dessen, was er hatte ausdrücken
wollen, während er kämpfte, hin und her schwankte und ihm zusammen mit der Musik
der Speichel aus dem Munde troff, mehr denn je allein
gegenüber dem, was er verfolgt, und das vor ihm flieht, je mehr er es verfolgt.
-
Julio Cortázar, Der Verfolger. In: J. C., Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am
Main 1998
Verfolger (5) »Meinetwegen kannst an hingehen und das Meer pflügen oder Wind säen, aber mit mir ins Bett gehen, das schaffst du nie. Alles Geld, alle Schätze dieser Welt kannst du mir anbringen, aber mit mir, da läuft nichts. Wenn du mich jedoch bedrängst, lasse ich mir lieber die Haare abrasieren als mit dir zu schlafen, werde lieber Nonne und du siehst mich nie wieder . . . Ah, wie geht's mir dann gut!" Der junge Mann repliziert:
»So? Du läßt dir die Haare abschneiden ? Dann, dann laß ich mir eine Tonsur schneiden, werde Mönch, komme zu dir ins Kloster, um dir zu beichten, und im geeigneten Augenblick: Rattattattat!«
Das »Rattattattat« stammt von mir, aber es gehört unbedingt hier hin!
Das Mädchen wird bleich und schreit: »Bist du etwa der Antichrist? Was bist du doch für ein schamloses Wesen! Wie kannst du dir nur so etwas erlauben ?! Bevor ich mich der Gewalt ergebe, springe ich lieber ins Meer und ertränke mich!«
»Du gehst ins Wasser? Ich auch . . . Nein, ich ertränke mich nicht: Ich werfe mich ins Meer, hole dich von da unten rauf, vom Meeresboden, schleife dich ans Ufer, lege dich an den Strand, ersoffen wie du bist und . . . Rattattattat! liebe ich dich!«
»Eine Ertrunkene?« »Ja!«
»Wauwauwau!« ruft das Mädchen, in all seiner Unschuld, »aber es macht doch überhaupt keinen Spaß mit einer Wasserleiche!«
Sie weiß natürlich längst Bescheid. Eine Cousine von ihr hat sich kürzlich
ertränkt; kommt einer vorbei, schaut sich um, »ich kann's ja mal ausprobieren!«
probiert es aus und . . . »Dunnerkiel! So eine Sauerei! Da macht es ja
mit einem Schwertfisch mehr Spaß!« - Dario Fo, Obszöne
Fabeln. Mistero Buffo. Berlin 1984
Verfolger (6) Sie lief nun so schnelt sie konnte fort und bat inständig alle Bäume und Büsche, ihr zu helfen, den rechten Weg zu zeigen und sie ja nicht dem Taile zu verraten. Die Bäume und Büsche hatten Mitleid mit der Schönen; sie halfen ihr, zeigten ihr den Weg und versprachen, sie nicht dem Zauberer zu verraten. Nur ein kleiner, winziger Busch weigerte sich. Da pißte sie auf ihn und zog über die Berge weiter. Als Taile nun vom Berge herab an sein Haus kam, öffnete er die Tür, um das Mädchen für den Schmaus herzurichten. Aber der Vogel war ausgeflogen. Er fragte seine Schwester, ob sie wüßte, wo das Mädchen geblieben wäre. Sie verneinte es. Da suchte er überall nach der Entflohenen; er fragte die Bäume und Büsche, ob sie bei ihnen vorbeigekommen wäre. Die antworteten alle nein; nur der kleine winzige Busch sagte: »Soeben ist die Schöne von Taman hier an mir vorübergelaufen.« Da lief der Zauberer weiter. Aber er holte das Mädchen nicht ein. Mit ihren jungen Beinen konnte sie schneller rennen als er mit seinen alten. So mußte er schließlich seine Absicht aufgeben und kehrte nach Haus um.
Unterwegs begegnete er zwei alten Frauen, die trugen frische Kokosnüsse mit
sich. Er bat sie, ihm einige zu geben, denn vom Laufen war er matt geworden
und wollte sich erfrischen. Sie taten es. Als er sie fragte, ob sie etwa das
Mädchen gesehen hätten, antworteten sie: »Zieh dein unteres Augenlid einmal
herunter, dann wollen wir es dir sagen.« Taile zog die unteren Augenlider
herunter, und die Frauen warfen ihm große Hände voll Staub in die Augen. »So,
nun geh hin, wasch dir die Augen aus, dann wirst du die Schöne schon sehen!«
sagten sie und rannten fort. Taile war blind geworden, er konnte nichts mehr
sehen; er verirrte sich in der Wildnis, fand nicht mehr nach Haus und ging elendig
zugrunde. - (sued)
|
||
|
||