itleid
Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und dachte gar nicht
mehr an das Männchen: da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach 'nun gib
mir, was du versprochen hast.' Die Königin erschrak und bot dem Männchen alle
Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte: aber das
Männchen sprach 'nein, etwas Lebendes ist mir lieber, als alle Schätze der Welt!
Da fing die Königin so an zu jammern und zu weinen, daß das Männchen Mitleiden
mit ihr hatte: 'drei Tage will ich dir Zeit lassen,' sprach er, 'wenn du bis
dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten.' Nun besann sich
die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört hatte,
und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit,
was es sonst noch für Namen gäbe. Als am andern Tag das Männchen kam, fing sie
an mit Kaspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wußte, nach der
Reihe her, aber bei jedem sprach das Männlein 'so heiß ich nicht.' Den zweiten
Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen, wie die Leute da genannt würden,
und sagte dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten Namen vor 'heißt
du vielleicht Rippenbiest oder Hammelswade oder Schnürbein?' aber es antwortete
immer 'so heiß ich nicht.' Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück und erzählte
'neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen
Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich
da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang
ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie
'heute back ich, morgen brau ich, |
Da könnt ihr denken, wie die Königin froh war, als sie den Namen hörte, und als bald hernach das Männlein hereintrat und fragte 'nun, Frau Königin, wie heiß ich?' fragte sie erst 'heißest du Kunz?' 'Nein.' 'Heißest du Heinz?' 'Nein.'
'Heißt du etwa Rumpelstilzchen?'
'Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der
Teufel gesagt,' schrie das Männlein und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief
in die Erde, daß es bis an den Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut
den linken Fuß mit beiden Händen und riß sich selbst mitten entzwei. -
(
grim
)
Mitleid (2) Gesetzt, wir empfänden den anderen
so, wie er sich selber empfindet — das, was Schopenhauer Mitleid nennt
und was richtiger Ein-Leid, Ein-leidigkeit hieße —, so würden wir ihn hassen
müssen, wenn er sich selber, gleich Pascal, hassenswert findet. Und so
empfand wohl auch Pascal im ganzen gegen die Menschen, und ebenso das
alte Christentum, das man, unter Nero, des odium generis humani "überführte",
wie Tacitus meldet. - (
mo
)
Mitleid (3) Ihm tat der Grashüpfer leid. Die stumme Tochter von Apfelbach sperrte ihn unter einem Blumentopf ein. Sie hielt den Blumentopf etwas schräg, der Grashüpfer streckte seinen Kopf heraus. Sie klappte den Blumentopf wieder runter. Der Kopf des Grashüpfers war ab.
- Warum ist die Tochter von Apfelbachs so böse?
- Weil sie stumm ist? .
- Kopf ab.
- Hüpft nicht mehr.
Weiteres Mitleid mit Tieren; mit einer Maus auf Sardinien, die in Benzin getunkt worden war. Mitleid?
- Ich bin eine Maus.
- Ich werde in Benzin getunkt.
- Aber du weißt doch gar nicht, was für Nerven eine Maus hat.
- Und wenn sie dich in Benzin tunken?
Sie versuchte wegzulaufen. Dann wurde sie angezündet. Ein Zickzackblitz am Boden.
Mitleid beim Schweineschneiden, als Jäcki zusah, um festzustellen, ob er umfallen würde.
Mitschmerzen. Er fühlte selbst Schmerzen an den Eiern, als sie dem Ferkel rausgeschnitten wurden. Vorher noch andre Mitleide: Bei Fotos von Leichenhalden und von Erschießungen. Mit der Tante, als der Onkel sie schlug. Die beiden sitzen beim Mittagessen. Der Onkel steht auf und geht an den Kleiderschrank und holt seine zweiten Hosenträger heraus und haut die Tante, bis sie Striemen hat.
- Die arme Tante.
- Der wütige Onkel.
Mitleid mit dem Zwerg bei Thomas Mann, dem die Zunge herausgeschnitten werden soll und dem aus Gnade nur die halbe Zunge herausgeschnitten wird. Mitleid mit Ilse Steppat in dem Film Ehe im Schatten. Auf der Tramptour vor Kaiserlautern sah Jäcki zwei gelbe Füße unter einer Wolldecke herausstaken.
- Nur ein Lastwagenanhänger, dachte Jäcki und setzte sich voller Mitleid zwischen zwei Autostoppversuchen an den Wiesenrain.
- Selbst, stellte er fest. Selbst für sich leiden. Ich sehe mich selbst liegen mit zwei gelben Füßen nach dem Aufprall des Lastwagenanhängers.
- Leid gegen andre. Für mich selbst.
Beim Geruch des Heus in Pierrevert. Der Mond über dem Val. Drüben töten die
Bauernjungen von hier die Ziegen und die Schafe, um die Dörfer, bei den Babies
beginnend auszuhungern, im Namen der Douce France. Binden den Arabern Drähte
an die Klöten. Die Soldaten machen Erinnerungsfotos. - (
fich
)
Mitleid (4) ist bei einem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt, an sich schlecht und unnütz.
Beweis. Denn Mitleid ist Unlust, und also an sich schlecht. Das Gute aber, das aus ihm folgt, daß wir nämlich den Menschen, den wir bemitleiden, aus dem Leiden zu befreien suchen, suchen wir nach dem bloßen Gebote der Vernunft zu tun, und wir können nur nach dem bloßen Gebote der Vernunft etwas tun, von dem wir gewiß wissen, daß es gut ist, und sonach ist Mitleid bei einem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt, an sich schlecht und unnütz. W. z. b. w.
Folgesatz. Hieraus folgt, daß der
Mensch, welcher nach dem Gebote der Vernunft lebt, so viel als möglich
zu bewirken strebt, daß er nicht von Mitleid berührt wird. -
Spinoza,
Ethik
Mitleid (4) Mir
ist es eine sehr unangenehme Empfindung wenn jemand Mitleiden mit mir
hat, so wie man das Wort gemeiniglich nimmt. Deswegen brauchen auch die
Menschen, wenn sie recht böse auf jemanden sind, die Redensart, mit
einem solchen muß man Mitleiden haben. Diese Art Mitleidens ist ein
Almosen, und Almosen setzt Dürftigkeit von der einen und Überfluß von
der ändern Seite voraus, er sei auch noch so gering. Dem englischen pity
ist es ebenso gegangen und noch ärger, das adjectivum pitiful ist unser
erbärmlich. Es gibt aber ein weit uneigennützigeres Mitleiden, das
wahrhaften Anteil nimmt, das schnell zur Tat und Rettung schreitet, und
selten von empfindsamer Schwermütelei (man verzeihe mir dieses Wort)
begleitet wird. Man könnte jenes das Almosenartige und dieses das
Mitleid bei Off- und Defensiv-Allianz nennen. Mitscham ist sehr lauter,
man fühlt sie, wenn sich ein Mann, den man hochschätzt, aus nicht
genügsamer Kenntnis derjenigen, vor denen er sich zeigen will, vor ihnen
lächerlich macht. Es gibt eine ganz uninteressierte Mitfreude, ich habe
sie bei Gatterers Wiedergenesung im Jahr 1778 ganz lauter empfunden.
Nämlich ich konnte in diesem Fall nach der gnauesten Untersuchung kein
anderes Interesse finden, als dieses, daß ein Mann von der größten
Rechtschaffenheit, und einer Gelehrsamkeit, die täglich seltner wird,
der Welt, der Universität und seiner Familie wiedergegeben worden war,
nachdem man ihn schon, nicht etwa tot gesagt, sondern die Unmöglichkeit
seiner Wiedergenesung medizinisch demonstriert hatte.
- (licht)
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