önigin Die Königin Margarete war schön in ihrer Jugend, außer daß ihre Wangen ein wenig schlaff waren und das Gesicht ein wenig zu lang. Nie war irgend jemand Liebesabenteuern geneigter. Sie hatte eine bestimmte Art Papier, dessen Rand ganz voll von Liebesemblemen war; dieses Papier benutzte sie für ihre galanten Briefchen. Sie sprach schwülstig und hochtrabend nach der Mode ihrer Zeit, besaß aber viel Geist. Es gibt ein kleines Werk von ihr, dem sie den Titel gab: «Das fehlbesetzte Bettgäßchen», aus dem man ihren galanten Stil ersehen kann.
Sie trug eine große Hüftrolle, mit Taschen rundherum; in jede von ihnen steckte sie eine Schachtel, in der sich das Herz eines ihrer dahingegangenen Liebhaber befand, denn sie trug Sorge, ihre Herzen, sowie sie starben, einbalsamieren zu lassen. Diese Hüftrolle hängte man jeden Abend an einen Haken hinter dem Kopfteil ihres Bettes, der mit einem Vorhängeschloß versehen war. Man erzählt, daß Herr von Turenne, nunmehr Herr von Bouillon, ihr eines Tages betrunken auf den Busen kotzte, als er sie auf ein Bett werfen wollte.
Sie wurde entsetzlich dick, und so ließ sie ihre Schulterbreite größer und
ihre Schnürleibe viel weiter machen als nötig und auch die Ärmel im Verhältnis
dazu. Sie wirkte einen halben Fuß größer als die anderen. Sie trug blonde
Haare vom Blond des im Gras gebleichten Flachses; sie war schon beizeiten kahlköpfig
geworden. Dafür hatte sie blonde Lakaien, die von Zeit zu Zeit geschoren wurden.
Von diesen Haaren trug sie immer welche in der Tasche aus Sorge, sie könnten
ihr ermangeln, und für eine schönere Gestalt ließ sie in ihre Schnürbrust Weißblech
einarbeiten, um die Schulter zu verbreitern. Da war so manche Tür,
durch die sie nicht hindurchkam. - (
tal
)
Königin (2) Ein weißer Elefant, mit einem goldenen Netz behängt, trottet heran; an seinem Stirnband schwankt ein Straußenfederbusch.
Auf seinem Rücken sitzt auf blauen wollenen Kissen mit untergeschlagenen Beinen, halb gesenkten Lidern und wiegendem Kopf eine Frau, so herrlich gekleidet, daß Strahlen von ihr ausgehen. Die Menge wirft sich nieder, der Elefant beugt die Knie, und
DIE KÖNIGIN VON SABA
gleitet von seinem Rücken und schreitet über die Teppiche auf den heiligen Antonius zu. Ihr Kleid aus Goldbrokat ist von regelmäßigen, mit Perlen, Gagaten und Saphiren bestickten Falbeln unterteilt. Ihre Taille wird von einem engen Mieder umschlossen, das mit bunten Applikationen, die zwölf Tierkreiszeichen darstellend, verziert ist. Ihre Schuhe sind sehr hoch: schwarz, mit Silberstemen und einem Halbmond verziert der eine, - weiß, mit Goldtröpfchen und einer Sonne in der Mitte der andere.
Die weiten, mit Smaragden und Vogelfedem besetzten Ärmel lassen einen kleinen runden Arm sehen, den am Handgelenk ein Ebenholzreif schmückt, und ihre ringbeladenen Hände enden in so spitzen Nägeln, daß sie Nadeln gleichen.
Eine flache Goldkette läuft unter ihrem Kinn entlang, steigt ihre Wangen hinauf, rollt sich spiralförmig um ihr blaugepudertes, kunstvoll frisiertes Haar, gleitet über ihre Schultern hinab und endet auf ihrer Brust in einem diamantenen Skorpion, der die Zunge zwischen ihre Brüste steckt. Zwei dicke blonde Perlen hängen schwer an ihren Ohren. Ihre Augen sind schwarz getuscht. Sie hat auf der linken Wange einen kleinen Leberfleck, und sie atmet mit leicht geöffnetem Mund, als beenge sie das Mieder.
Sie schüttelt im Gehen einen Sonnenschirm mit einer Elfenbeinkrücke und roten
Glöckchen; und zwölf krausköpfige kleine Neger tragen die lange Schleppe ihres
Kleides; ein Affe hält den Zipfel und lüpft ihn ab und
zu. - (
vers
)
Königin (3) Kommen wir auf Bassompierres Liebschaften
zu sprechen. Es hieß, er sei ein wenig in die Königin-Mutter verliebt gewesen
- er behauptete, mehr Spaß daran gefunden zu haben, es zu sagen, als es zu tun
- und daß das einzige Amt, auf das er begierig gewesen sei, das des Oberbrotmeisters
war, weil der dem König aufdeckte. Es ging prachtvoll bei ihm zu, und er übernahm
die Schloßhauptmannschaft von Monceaux, um dort den Hof zu bewirten. Die Königin-Mutter
sagte einmal zu ihm: «Ihr werdet eine gute Zahl Huren dorthin bringen» - so
redete man damals. - «Ich wette, Madame», gab er zurück,
«Ihr bringt mehr dorthin als ich.» Einmal behauptete er, es gebe wenig Frauen,
die keine Huren seien. «Und ich?» fragte sie. - «Ach! Ihr, Madame», nieinte
er, «Ihr seid doch die Königin.» - (
tal
)
Königin (4) Mehr als irgendwer, dem ich je begegnete,
besaß die Königin die Art von Geist, die ihr nötig war, um von jenen, die sie
nicht kannten, nicht für töricht gehalten zu werden. In ihrem Wesen lag mehr
Bitterkeit als Stolz, mehr Stolz freilich als Größe, mehr Manieren als Moral,
eher Sorglosigkeit in Gelddingen als Großzügigkeit, mehr Großzügigkeit immerhin
als Eigennutz, mehr Eigennutz allerdings als Selbstlosigkeit; sie war eher anhänglich
als leidenschaftlichen Gefühls, eher hart als hochmütig, entsann sich des Üblen,
das man ihr antat, leichter als des Guten; zur Frömmigkeit zog es sie hin, ohne
daß sie ihr sehr nahe kam; sie besaß mehr Hartnäckigkeit als Festigkeit, und
vor allem andern, wovon die Rede war, Unfähigkeit. - (
retz
)
Königin (5) Mädchen, gewöhnliche
Kuhmagd, sei gegrüßt - Königin! Warum, sag, ist in dir kein tödliches Zittern,
daß du nicht akzeptiert werden wirst? Du fürchtest keine Zurückweisung. Du weißt,
nicht die Schönheit macht dich begehrenswert, sondern das Geschlecht - du weißt,
daß der Mann immer deine Weiblichkeit begehren wird,
auch wenn sie gar nicht ästhetisch wäre. Also ist deine Schönheit nicht im Dienste
deines Geschlechts; sie fürchtet sich nicht, sie zittert nicht, sie müht sich
nicht und ist ruhig, natürlich, triumphal. - (
gom
)
Königin (6) IN dieser Straße, im Eckhaus,
wohnt der MÖRDER, genau gegenüber wohnt der DIEB,
ein wenig weiter unten der VERLIEBTE, und ganz am
Ende lebt - allein - die KÖNIGIN. Der Tag ist düster und die Sonne hat keine
rechte Lust, bis in diese Straße vorzudringen, es ist auch wirklich eine erbärmliche
Straße. Der MÖRDER ist ein ruhiger Mann und wäre gutig und freundlich, wäre
ihm nicht dieser Beruf beschieden, den er im übrigen liebt. Natürlich hat er
nie jemanden getötet, aber seine Tage sind ganz und gar der Planung grausamer
Morde gewidmet, und in seinem Haus hat er Waffen aller Gattungen gehortet, die
er nicht zu handhaben weiß. Für all das bezieht er eine bescheidene Pension
- adressiert an den HERRN MÖRDER. Die Tatsache, daß er MÖRDER ist, gewährt ihm
bestimmt Erfahrungen, die ihm sonst verwehrt wären: die Gefühle der Schuld,
die Angst, entdeckt zu werden, die Notwendigkeit, jede Spur zu verwischen,
die Reue und die Hoffnung auf eine letztendliche Läuterung. Er verläßt sein
Haus nur nachts, wenn er sicher sein kann, daß niemand auf der Straße ist, er
liebt die Regennächte. Um zu überleben, verläßt er sich auf die Gefälligkeit
des DIEBS, der noch nie etwas gestohlen hat, aber bereit ist, alle Auftrage
auszufuhren, die der MÖRDER ihm suggeriert. Der DIEB ist mager, zart, unterwürfig
und still, er kann sich unmittelbar hinter eine Katze stellen, ohne daß sie
es merkt. Seine Hände sind genau, elegant, sachkundig, er wird jedoch nie etwas
stehlen, er liebt die Mischung von Stolz und Unsicherheit, die das Kapital des
Diebs ausmacht. Er ist ständig zur Flucht bereit, aber mutig und hoheitsvoll
wie ein Ritter, er versteht es zu lugen, aber er lügt nicht, er versteht es,
jedes Schloß zu öffnen, aber bereits eine angelehnte Tür
gebietet ihm Einhalt. Trotzdem wird ihm nie jemand das Glück stehlen können,
daß er der DIEB ist. Der VERLIEBTE liebt, hat aber keine Frau zum Lieben. Also
seufzt er und schreibt zarte Poesien, die er dem DIEB vorliest, der ein gutes
Ohr für den Rhythmus besitzt. Er hat ein wunderschönes Hochzeitsgewand bereit,
das langsam im Schrank vermodert. Er kauft täglich Blumen und läßt sie verwelken.
Er ist unglücklich und freut sich darüber. Zuweilen sitzen der DIEB, der MÖRDER
und der VERLIEBTE an einer einfachen nächtlichen Tafel zusammen und sprechen
über die KÖNIGIN, sie haben alle einen großen Respekt vor der KÖNIGIN, die keiner
je gesehen hat. Sie glauben, daß ihre Unsichtbarkeit
ein Zeichen großer Vornehmheit sei, und der MÖRDER betrachtet sich als ihre
Leibgarde, der DIEB als ihren Minister, und der VERLIEBTE als ihren Prinzgemahl.
Zuwellen hegen sie den Verdacht, daß die KÖNIGIN
tot sei, was noch vornehmer wäre, oder daß sie nie existiert habe, was die Vornehmheit
schlechthin bedeutete. Doch an diesem Punkt fühlen sie sich - die drei - überflüssig
und schweigen. -
(
pill
)
Königin (7) Liebe ..., ich habe nun also freien Zugang zu allen Schanden und Erniedrigungen der Liebe; ich genieße die Schmach meines Körpers. Kann ich Dich nicht in das Netz dieser Nacht locken, die nur den Körpern vertraut ist - Dich nicht Deiner Abwesenheit entreißen? Dich mit Körperlichkeit anstecken? Was also lehnst Du ab: die ruchlose Lizenziertheit des Körpers oder die schlaue Manipulation der Liebe? Du bist das »Nein«, aber die Huldigungen gehören mir.
Der Boden ist abschüssig, ich steige hinab; ein Gestank von Verwestem und Verwelktem umfängt mich - von etwas, das ich kenne, aber nicht sehe und nicht beschreibe. Du also, niemand anderer, bist die Königin der Lepra, und dieses kann nichts anderes sein als das Zentrum und der Zerfall - die Entwürdigung, die dem Zentrum innewohnt. Ich verneige mich vor Deiner verwesten Unendlichkeit, die Luft trägt mir den Geruch eines Lächelns zu - vielleicht eine Zustimmung.
Ich lasse nicht ab, Dich zu lieben, zerfressene, verwitterte, leuchtende, phosphoreszierende Königin; majestätischer Aussatz; unsterbliche Sterbliche; unbeschließbarer Verfall. Wunderbares Grauen: verlange von mir, daß ich Dich liebe: ich werde Dir dienstbar und treu sein, Dein Auftragsmörder, Minister Deines Gestanks, Zeremonienmeister all dessen, was bei Dir Begräbnis, Hochzeit, Begattung, Almosen, Bevorzugung, Empfängnis und Gemetzel zugleich ist. Ich? Dein verliebter Diener, komme - Du weißt es sicher - vom Leprosorium der Königinnen: von dort also, wo Du nie gewesen bist, wo aber der Staub Deiner zerfallenen Fahnen die Luft erfüllt. Ich bringe Dir Huldigungen dar, Huldigungen; jene artigen Damen aber sind nur sonntägliche Hausfrauen im Vergleich zu jenem wundersamen Ungeheuer, das sich hinter Deinen Blicken verbirgt. Du wohnst also in Dir, Pächterin Deines endlosen Körpers; durch Deine Wunden laufend kann ich in Dein Zentrum eindringen. Deine wundenbedeckten Genitalien - blutige Skizzen - bilden den Anfang meiner Reise. Ich gehe auf Dein Zentrum zu, trete ein, bin in Dir, Königin, Krankheit, einbrechende Dunkelheit, Höhe.
Fasergeflecht fleischlichen Nebels; Fingernagelschwärme; fernes Rollen eines
gänzlich pupillarischen Auges; warmer Zustrom von Blut; ein Flüstern, das tödlich
und vollkommen verliebt sein kann; das Gefühl, verloren und angekommen zu sein
- ich weiß nicht wo. Ich weiß nicht, ob diese Indizien darauf hindeuten, daß
Du auf irgendeine unerreichbare, vollkommene und unübersetzbare Art trotz allem
existierst; oder daß alles nur ein Wahn von mir war und mein ganzes Leben eine
überspitzte Halluzination. - Giorgio Manganelli,
Amore. Berlin 1982 (Wagenbach Quartheft 118, zuerst 1981)
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