ichtertod
Ein Mann in der ersten Reihe versetzte Croniamantal mit einem dicken Knüppel
einen Schlag. Seine schmerzliche Grimasse verdopppelte das Gelächter der Menge.
Ein geschickt geworfener Stein traf die Nase des Dichters, aus der das Blut
spritzte. Eine Fischhändlerin drängte sich durch die Menge, pflanzte sich vor
Croniamantal auf und sagte zu ihm: »He, du Rabe. Ich erkenne dich wieder. Mein
lieber Spitz! Du bist ein Polizist, der sich zum Dichter gemacht hat; da, Spitzel,
da Lügenbold.« Und sie verpaßte ihm eine tolle Ohrfeige und spuckte ihm ins
Gesicht. Der Mann, den Tograth von seiner Kahlköpfigkeit geheilt hatte, näherte
sich ihm und sagte: »Schau mal meine Haare an, ist das vielleicht ein falsches
Wunder?« Und er hob seinen Stock und stieß so geschickt zu, daß er ihm das rechte
Auge ausstach. Croniamantal fiel rücklings zur Erde: Frauen stürzten sich auf
ihn und schlugen ihn. Tristouse strampelte vor Freude mit den Füßen, indes Paponat
sie zu beruhigen suchte. Aber sie wollte mit der Spitze ihres Regenschirmes
Croniamantals anderes Auge ausstechen; der sah sie in diesem Augenblick und
rief:
»Ich bekenne meine Liebe für Tristouse Ballerinette, für die göttliche Poesie, die meine Seele tröstet.« Da schrien Männer aus der Menge: »Sei still, du Miststück, Vorsicht die Damen!« Die Frauen liefen schnell auseinander, und ein Mann, der ein großes Messer auf seiner offenen Hand balancierte, warf es derart, daß es sich in den offenen Mund Croniamantals bohrte.
Andere Männer taten desgleichen. Die Messer drangen in den Bauch, die Brust,
und bald lag auf dem Boden nur noch ein Leichnam, mit Stacheln bedeckt wie ein
Seeigel. - Guillaume
Apollinaire, Der gemordete Dichter. O.O., ca 1987 (zuerst 1916)
Dichtertod (2)
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Conrad Felixmüller, Tod des Poeten Walter Rheiner
Dichtertod (3) Petrarca starb in der Nacht vom 18. zum 19. Juli 1374. Geboren war er am Morgen des 20. Juli 1304, und so beendete er auf beinahe vollkommene Weise, was Dante den Weg unseres Lebens nennt. Sein-Herz blieb ganz plötzlich stehen, und sein Kopf sank auf das Buch, in dem er gelesen hatte. Sein treuer Schüler Lombardo dalla Seta, der herbeigeeilt war, um ihn aufzurichten, sah die Seele des Meisters »wie ein Wölkchen in die Höhe steigen«.
Am Abend des 1. März 1938 starb Gabriele D'Annunzio auf dieselbe Weise. Niemand sah seine Seele in die Höhe steigen. Aber er hatte gerade Petrarca gelesen. Wenn wir nicht wüßten, was Petrarca las, als der Tod ihn ereilte, würden wir sagen, er habe — im Labyrinth der Zeit oder dem ewigen Kreislauf der Gestirne jenseits der Zeit - D'Annunzio gelesen.
Außer der Sache mit der Seele überliefert uns Lombardo dalla Seta noch ein
anderes übernatürliches Ereignis: Weil der Dichter gestorben ist, der Laura
besungen hatte, erfroren in jenem Jahr alle lauri, alle Lorbeerbäume.
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(scia)
Dichtertod (4) Ein junger Autor, Le Clerc, las L'Estoille einmal ein Theaterstück vor. Er hörte die zwei ersten Aufzüge an; beim dritten, in dem ein König spricht, rief er: «Dieser König ist besoffen.»
Einmal, als er im Weggehen einen Vers verbesserte, entwendete man ihm den
Hut; er wurde dessen erst gewahr, als er das gesuchte
Wort gefunden hatte, und danach begann er zu schreien: «Haltet den Dieb!» Aber
dazu war es zu spät. Er war nicht alt, als er starb; seine Krankheit war sonderbar,
denn bei ihm ist alles sonderbar. Er war auf die Einbildung verfallen, nur mehr
Eingemachtes zu essen, was ihm eine sonderbare Magenverstimmung verursachte:
Er gab die Dinge wieder so von sich, wie er sie zu sich genommen hatte, und
verspürte keinen Schmerz. Daran starb er indes. Es heißt, daß er in Ergebung
in den göttlichen Willen alle seine Verse einem Jansenisten gegeben habe. Ich
weiß nicht, was dieser Jansenist damit gemacht hat. - (
tal
)
Dichtertod (5)
Im Juni 1822 stirbt Hoffmann an Rückenmarksschwindsucht,
noch keine fünfzig Jahre alt, buchstäblich bis zur letzten Minute schreibend,
das heißt diktierend, denn er ist schon gelähmt, und er diktiert so lange, bis
ihm seine Frau diesen Dienst verweigert, da seine Stimme nur noch ein Röcheln
ist. Er läßt sich daraufhin mit dem Gesicht gegen die Wand drehen und stirbt
in der nächsten halben Stunde. Tags zuvor war er, »um die Lebensgeister anzuregen«,
wie später auch Heinrich Heine, mit glühenden Eisen längs des Rückgrats
gebrannt worden, und er hat es ertragen, sogar mit grimmigen Scherzen - die
sind wieder bekannt, denn sie passen ins Bild. Er starb mittellos und hinterließ
so viel Schulden, daß seine Frau das Erbe ausschlug, und auch sein geistiges
Erbe war in deutschen Landen lange Zeit ausgeschlagen, ja ich wage die Behauptung,
daß dies in bestimmter Weise noch bis zum heutigen Tage gilt. - Franz
Fühmann, Ernst Theodor Wilhelm Amadeus Hoffmann. In: F. F., Den Katzenartigen
wollten wir verbrennen. München 1988 (zuerst 1973)
Dichtertod (6)
Während der thracische Sänger mit seinem Liede des Wildes Doch zuerst zerreißen die wilden Maenaden des Orpheus
Die erraffen die Wilden, zerstücken die hörnerbewehrten D i c h , o Orpheus, beweinten voll Schmerz die Vögel, des Wildes Weit zerstreut seine Glieder. Das Haupt und die Leyer empfingst,
o Hinter sich lassen sie schon, ins Meer getragen, der Heimat |
Dichtertod (8)
Anakreon erreichte ein Alter von fünfundachtzlg Jahren und
starb — wie einige wollen in Teos — der Sage nach an einem Rosinkern erstickt,
was man am besten mit Teuffel als den symbolischen Ausdruck des Gedankens
erklärt, daß der Gott, dem er diente, Dionysos, ihn
zu sich genommen. Die Teïer errichteten ihm Bildsäulen und setzten sein Bild
auf ihre Münzen. - Eduard Mörike, Classische Blumenlese. Zuerst 1840
Dichtertod (9)
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Wir sehen den Dichter - der über achtzig Jahre alt geworden sein soll - an festlicher Tafel sitzen, in einem Raum, dessen Pilaster und Kapitelle auf die Antike hinweisen; die Stuckdecke hingegen mit der Rocaille-artigen Ornamentik scheint aus dem achtzehnten Jahrhundert zu stammen. Ihm gegenüber, leicht zurückgeneigt, die Hand noch erhoben, sieht man eine Ieichtbekleidete Frau, die ihm über den runden Tisch hinweg eine Kirsche zuwirft, die Anakreon nach Art eines Hundes aufzuschnappen bemüht ist. Der mit Rosen bekränzte Alte, mit ausgeprägter Hakennase und fast zahnlosem Mund, stützt sich mit den Händen auf den Tisch, wie ein sprungbereites Tier, die Augen fest auf die gerade noch in der Luft schwebende Kirsche gerichtet. Daumier verbindet hier die karikierende Darstellung des berühmten Dichters, der Generationen von Lesern verzaubert hat, mit dem Motiv des liebestollen Alten. Man weiß ja, daß selbst die weisesten Männer von der Liebe zu jungen Mädchen oft derart bezwungen werden, daß sie ihnen die ausgefallensten Wünsche erfüllen. |
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