afé   So saß er also wiederum alleine im Café Schafheutle, meistens vorne an der Türe, wo er alles überschauen konnte, stützte den rechten Ellenbogen in die linke Hand, rauchte Zigaretten aus dem Bernsteinröhrchen, das er im Stuttgarter Königsbau bei Menner gekauft hatte, wo sein Großvater Julius Krumm früher aus und ein gegangen war, weiter zurück freilich, als er sich erinnern konnte; obwohl er damals gern dabeigewesen wäre, in Stuttgart, München, oder am liebsten in Wien, dessen biedermeierliche Uniformen der Jahrhundertwende mit steifen Kappen und Sternen am Kragen ihm gut gefielen, weil er auf einer Photographie der Mölkerbastei einen Offizier seinen Degen an der Hüfte festhaken gesehen hatte. Und er erinnerte sich dessen, während seine Zigarette rauchte und er die Leute im Kaffeehause betrachtete, den Fuß auf die Leiste des benachbarten Stuhls stützte, der noch leer war und auf dem Wieland sitzen sollte. Wie hatte Professor Zimmer gesagt? »Also, ein ganzes Leben werden Sie wahrscheinlich nicht beisammenbleiben können.« Das Café war gefüllt mit Persönlichkeiten, weshalb er froh war, vorerst alleine hierzusein.

Da saß mit randloser Brille der kummervolle Feuilletonist ErKaGe, las oder fand sich mit einer bemittelten Kaufmannsgattin auf rotgepolstertem Fauteuil zusammen. Und gegen halb eins kam die beachtliche Dame, auf die Eugen hinter seiner Zigarette schon die ganze Zeit gewartet hatte, eine enorm kurzsichtige Person mit schwarzer Hornbrille von einer Schärfe, die ihre braunen Augen wie geschrumpft erscheinen ließ. Sie schrieb Briefe, rauchte, beachtete niemanden, hatte einen leidvoll gespannten Mund, redete rasch, warf eine flache Hand entschieden seitwärts, wenn vom Schauspielertisch jemand zu ihr trat und stehend sprach, bis er sich wiederum zurückzog, während sie, tief übers Briefpapier gebückt, im Schreiben fortfuhr, wobei ihr bleiches und gespanntes Gesicht unverändert blieb. Eugen dachte: eine Berufstätige, eventuell Berichterstatterin, Pressephotographin oder Dame vom Film, eine Medusenmaske, seltsam ekstatisch trotzdem; jedenfalls eine schwierige Person, ungemütlich, denn jeder sprach nur kurz mit ihr. Auch eine sonngebräunte Schauspielerin, die gerne lachte, verhandelte respektvoll mit der Tragischen, die auf ihre Schultern und Ellenbogen zeigte, als beschriebe sie ein Kleid, das hier aufgestülpt, an den Armen aber gebauscht sein müsse, worauf sie über der Stirn eine Frisur andeutete, als ob es sich um ein Lockenhaupt handele. Von der Straße sprach sie durchs Fenster ein Graumelierter an und sagte, er brauche jetzt endlich ein Bild von ihr, sie solle sich, bitte, beeilen; worauf sie mit hastigen Gesten und gequältem Munde ihm klarmachte, daß sie schon geschrieben habe und ihr Photograph es schicken werde. - »Ja, bitte. Aber dann pünktlich. Sie wissen: es ist die letzte Woche.«   - Hermann Lenz, Andere Tage. Frankfurt am Main 1978 (st 461, zuerst 1968)

Café (2)

- (grand)

Café (3)  

Wir saßen im Café, im erz-bizarren,
umwallt von salzig-zuckender Musik,
bei Cocain-Omelette und Paprika-Zigarren
und lila Palmenwein von Mozambique.

Du saßest da wie phrygische Keramik.
Dein holder Busen zierlich und konvex
verriet von der verhaltenen Dynamik
(oh!) deines Leibes nicht den kleinsten Klex.

Du glotztest mir berückend in die Augen,
dummschlau verblendet und voll Dämonie;
und Chrysoprase blitzten, mich zu saugen
bestrebt, voll zweifelsfreier Sympathie.

Wir seufzten herbstlich, ratlos, doch entschlossen.-
Dein Lächeln schien  jetzt wie kopiert nach Rops.-
Wir sehnten uns nach starken Feuerrossen
und sausten heim daktylischen Galopps.

-  Edgar Firn, Bibergeil. Pedantische Liebeslieder (1919)

Café (4)   Ich nahm auf einem noch freien Stuhl in einem städtischen Café Platz und bestellte einen Mokka. Seltsamerweise erschien der Kellner nicht wieder, und nachdem ich längere Zeit gewartet hatte, stand ich auf und ging in die Küche. In dem Augenblick, da ich den Raum betrat, schloß ein Koch, kenntlich durch eine weiße, am oberen Rand leicht gewulstete Mütze, sehr rasch eine wattefarbene, nach Mäusen riechende Kiste und sah mich mit einem scheuen Lächeln an.

Ich wandte mich, von einem Gefühl undeutlichen Überdrusses geleitet, um und suchte wieder meinen Platz auf. Dort erwartete mich schon der Kellner, dem ich den Auftrag gegeben hatte, und erfreut, meiner lästigen Gedanken über die nicht ganz verständliche Begebenheit von vorhin enthoben zu sein, fragte ich geradewegs nach meinem Mokka. Der Angesprochene aber lächelte und deutete leichthin zur Tür, wo eben ein Hund, häßlich und braunbehaart, eine kleine zerbissene Maus zwischen seinen Zähnen, das Café verließ. - Andreas Okopenko, Trugbilder. Hommage à Ramón Gómez de la Serna. In: A.E., Der Akazienfresser. Salzburg 1973

Café (5)  Neulich traf ich meine alten Freunde von der Kulturvereinigung wieder an. Sie saßen in einem städtischen Café auf Onanierstühlen und lasen in bedeutenden Zeitschriften des Auslands. Auf dem Rücken hatte jeder der Freunde die Photographie seines Nachbarn befestigt. Es machte den Eindruck, als ob ein gemeinsames Ziehen an einem braunledernen Gegenstand unter den Tischen verliefe.

Einige Polizisten, die auf Serviertellern belegte Brötchen im Lokal umhertrugen, verstanden meine Frage nach dem Sinn dieses Arrangements nicht. Endlich, da ich von meinem Begehren nicht ließ, wurde ich abgeführt. - Andreas Okopenko, Trugbilder. Hommage à Ramón Gómez de la Serna. In: A.E., Der Akazienfresser. Salzburg 1973

Café (6)  Wir hatten unsere Heimat im Café des Westens, am Kurfürstendamm, einem langgestreckten viktorianisch ausgemalten Raum, mit flinken Kellnern und einem buckligen Zeitungsjungen, den mein Freund Doehmann als Krantenboß bezeichnete. Wir saßen dort morgens, mittags und abends, es wurde nie zuviel, es war damals noch nicht so, daß die Eigentümer darauf warteten, daß Plätze frei würden, es waren immer Plätze vorhanden, die Kellner waren immer höflich, der Kaffee immer lauwarm. Es war alles in Ordnung. Die Freude bestand im Diskutieren, nicht im Essen und Trinken. Wir trafen die Schriftsteller und Maler, die sich um Pfemferts ›Aktion‹ gesammelt hatten, ebenso die, die um Herwarth Waldens ›Sturm‹ versammelt waren. Da war Johannes R. Becher, ebenso Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn, Resi Langer, Alfred Richard Meyer, Ernst Blaß, Höxter, der gewohnheitsmäßig die Leute anpumpte (sie gaben ihm auch) und von dem man sagte, er sei Morphinist. Er war es auch, die Nazis sperrten ihn später ein und man sagt, sie hätten ihn umgebracht. Ich weiß es nicht, ich habe Höxter nie wieder gesehen. Es gab im Café auch einen Baron Schennis, Gott allein weiß, was er tat, ebenso ein Mädchen Taka Taka, die nichts weiter als schön war und wahrscheinlich von ihrer Schönheit lebte. - Richard Huelsenbeck, Reise bis ans Ende der Freiheit. Autobiographische Fragmente. Heidelberg 1984

Café (7)

CAFÉ IN DEUTSCHER STADT 

Ein Kellnerfrack. Der Demut feile Geste
Geduckt ein Dichter nachsinnt neuer Pose.
Der feiste Wirt, in sehr befleckter Hose,
Breit grinsend grüßt die vornehmeren Gäste.

Ein Pikkolo verstummt vor schmalen Frauen.
Er starrt verstört. Die Geigen gurren geil.
Bebauchte Bürger, stämmig, steif und steil,
Glotzblickig blöde, dösen und verdauen.

Kokotten lächeln - sündeseliger Segen.
Sehr provozierend wirken neben fetten
Profitvisagen protzig Epauletten,
Verwelkte Weiber wonnig zu bewegen.

Der Dichter döst. Das Dudeln macht ihn dumm.
Ein grauer Greis sielt sich in Dreckjournalen.
Ein rauher Ruf zerreißt den Raum: "Bezahlen!"
Der Dichter geht. Sehr langsam, träge, krumm.

  - Friedrich Wilhelm Wagner, Jungfraun platzen männertoll. Siegen 1986 (Vergessene Autoren der Moderne XXI, zuerst 1920)

Café (8)  Gestern waren wir  in einem Café, das eines der schönsten von Kairo ist und in dem sich gleichzeitig mit uns ein Esel befand, der kackte, und ein Herr, der in einer Ecke pißte. Niemand findet das merkwürdig, niemand sagt etwas. Manchmal steht jemand neben einem auf und beginnt sein Gebet zu sprechen, mit tiefen Verneigungen und lauten Ausrufen, als ob er ganz allein wäre. Man wendet nicht einmal den Kopf, so natürlich erscheint das. Kannst Du Dir einen Menschen vorstellen, der im Café de Paris laut sein Tischgebet hersagt? - Flaubert an seine Mutter, nach (flb)

Café (9)  

Café

Mir wird manchmal ganz kinderhaft zu Sinn:  
Ich bitte, flehentlich, um deine Augen,
Iich sage höflich Lebenssachen hin  
Und werde stumm um Eiskaffee zu saugen.

Und keiner weiß von euch, wie jung ich bin,  
Wie mich noch schmerzt diese Vereinzeltheit,  
Dies: jedes Menschen enges Hirngerinn,  
Und welche Dimensionen kriegt ein Streit!

Hin stiebt Musik in schnellem Siegerton.  
Dem wachen Schmerze jeglicher Monade  
Wird hier, so gut es geht, ein Bett bereitet.

Es biegt die Geige in die Zielgerade.  
Nach vorn geworfen streckt sie sich, wo schon  
Der Pianist das große Finish reitet.

- Ernst Blass

Café (10)

- N.N.

Café (11) Gegenüber der Buchhandlung Rey das Café Biard, das von drei Seiten Licht erhält: von der Galerie des Thermometers, von einem  kleinen Gang und vom Boulevard des Italiens. Schankraum und Hinterzimmer, mit euren verschiedenen Türen und euren Scheiben, die immer noch dem Cafe für zwei Sous und dem Amerikaner für vier vergangener Zeiten nachtrauern, mit euren Pfeilern und euren Spiegeln bildet ihr einen hübschen Palast für Erinnerungen, der in allem dem ähnelt, was wir, die Träumer Europas, von dem fernen Amerika und seinen blutigen Epopöen wissen. Ihr seid die richtige Kulisse für heimliche Verbrechen, geplante Attentate, Verbrecherjagd und Hinterhalte. In euren gebrochenen Perspektiven wird die ganze Lächerlichkeit eines Lebens offenbar, das große Geheimnis jener lyrischen Unangebrachtheiten, die die Bourgeoisie insgeheim zu einem gereizten Lachen nötigen. Und die Liebe: wie ungezwungen würde sich die Liebe hier ausnehmen! in diesem Cafe, wo alles wie geschaffen ist, um Blicke auszutauschen. Zwielicht, Komplize echter leidenschaftlicher Erregung: in diesem abenteuerlichen Lokal liegt das Licht noch mit sich im Streit. O Gott der Hölle, warum nur streicheln die unbeschäftigten und so vor sich hin summenden Dirnen die rissigen Marmorplatten der Tische?   - (ara)

Café (12)  Ich glaube, in dem bemerkenswerten Roman von Kubin »Die andere Seite«, in dem sich die tiefe Angst der Träume niedergeschlagen hat, fand ich zum ersten Male das Gefühl angedeutet, daß ein Großstadtcafé einen teuflischen Eindruck erwecken kann. Es ist sonderbar, daß dieses Gefühl an Stellen, an denen die Technik bereits fast rein auftritt, noch so selten empfunden zu werden scheint. Die Lichtreklame in ihrer glühend roten und eisblau gleißenden Faszination, eine moderne Bar, ein amerikanischer Groteskfilm — dies alles sind Ausschnitte des gewaltigen luziferischen Aufstandes, dessen Anblick den Einsamen mit ebenso rasender Lust wie erdrückender Angst erfüllt.   - (ej)


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