Da saß mit randloser Brille der kummervolle Feuilletonist
ErKaGe, las oder fand sich mit einer bemittelten Kaufmannsgattin
auf rotgepolstertem Fauteuil zusammen. Und gegen halb eins kam die beachtliche
Dame, auf die Eugen hinter seiner Zigarette schon die
ganze Zeit gewartet hatte, eine enorm kurzsichtige Person mit schwarzer Hornbrille
von einer Schärfe, die ihre braunen Augen wie geschrumpft erscheinen ließ. Sie
schrieb Briefe, rauchte,
beachtete niemanden, hatte einen leidvoll gespannten Mund, redete rasch, warf
eine flache Hand entschieden seitwärts, wenn vom Schauspielertisch jemand zu
ihr trat und stehend sprach, bis er sich wiederum zurückzog, während sie, tief
übers Briefpapier gebückt, im Schreiben fortfuhr, wobei ihr bleiches und gespanntes
Gesicht unverändert blieb. Eugen dachte: eine Berufstätige, eventuell Berichterstatterin,
Pressephotographin oder Dame vom Film, eine Medusenmaske, seltsam ekstatisch
trotzdem; jedenfalls eine schwierige Person, ungemütlich, denn jeder sprach
nur kurz mit ihr. Auch eine sonngebräunte Schauspielerin, die gerne lachte,
verhandelte respektvoll mit der Tragischen, die auf ihre Schultern und Ellenbogen
zeigte, als beschriebe sie ein Kleid, das hier aufgestülpt, an den Armen aber
gebauscht sein müsse, worauf sie über der Stirn eine Frisur andeutete, als ob
es sich um ein Lockenhaupt handele. Von der Straße sprach sie durchs Fenster
ein Graumelierter an und sagte, er brauche jetzt endlich ein Bild von ihr, sie
solle sich, bitte, beeilen; worauf sie mit hastigen Gesten und gequältem Munde
ihm klarmachte, daß sie schon geschrieben habe und ihr Photograph es schicken
werde. - »Ja, bitte. Aber dann pünktlich. Sie wissen: es ist die letzte Woche.«
- Hermann
Lenz, Andere Tage. Frankfurt am Main 1978 (st 461, zuerst 1968)
Café (2)
- (
grand
)
Café (3)
Wir saßen im Café, im erz-bizarren, Du saßest da wie phrygische Keramik. Du glotztest mir berückend in die Augen, Wir seufzten herbstlich, ratlos, doch entschlossen.- |
-
Edgar Firn
,
Bibergeil
.
Pedantische
Liebeslied
er (1919)
Café (4) Ich nahm auf einem noch freien Stuhl in einem städtischen Café Platz und bestellte einen Mokka. Seltsamerweise erschien der Kellner nicht wieder, und nachdem ich längere Zeit gewartet hatte, stand ich auf und ging in die Küche. In dem Augenblick, da ich den Raum betrat, schloß ein Koch, kenntlich durch eine weiße, am oberen Rand leicht gewulstete Mütze, sehr rasch eine wattefarbene, nach Mäusen riechende Kiste und sah mich mit einem scheuen Lächeln an.
Ich wandte mich, von einem Gefühl undeutlichen Überdrusses geleitet, um und
suchte wieder meinen Platz auf. Dort erwartete mich schon der Kellner, dem ich
den Auftrag gegeben hatte, und erfreut, meiner lästigen Gedanken über die nicht
ganz verständliche Begebenheit von vorhin enthoben zu sein, fragte ich geradewegs
nach meinem Mokka. Der Angesprochene aber lächelte und deutete leichthin zur
Tür, wo eben ein Hund, häßlich und braunbehaart, eine kleine zerbissene Maus
zwischen seinen Zähnen, das Café verließ. - Andreas Okopenko, Trugbilder.
Hommage à Ramón Gómez de la Serna. In: A.E., Der Akazienfresser. Salzburg 1973
Café (5) Neulich traf ich meine alten Freunde von der Kulturvereinigung wieder an. Sie saßen in einem städtischen Café auf Onanierstühlen und lasen in bedeutenden Zeitschriften des Auslands. Auf dem Rücken hatte jeder der Freunde die Photographie seines Nachbarn befestigt. Es machte den Eindruck, als ob ein gemeinsames Ziehen an einem braunledernen Gegenstand unter den Tischen verliefe.
Einige Polizisten, die auf Serviertellern belegte Brötchen im Lokal umhertrugen,
verstanden meine Frage nach dem Sinn dieses Arrangements nicht. Endlich, da
ich von meinem Begehren nicht ließ, wurde ich abgeführt. - Andreas Okopenko,
Trugbilder. Hommage à Ramón Gómez de la Serna. In: A.E., Der Akazienfresser.
Salzburg 1973
Café (6)
Wir hatten unsere Heimat im Café des Westens,
am Kurfürstendamm, einem langgestreckten viktorianisch ausgemalten Raum, mit
flinken Kellnern und einem buckligen Zeitungsjungen, den mein Freund Doehmann
als Krantenboß bezeichnete. Wir saßen dort morgens, mittags und abends, es wurde
nie zuviel, es war damals noch nicht so, daß die Eigentümer darauf warteten,
daß Plätze frei würden, es waren immer Plätze vorhanden, die Kellner waren immer
höflich, der Kaffee immer lauwarm. Es war alles in Ordnung. Die Freude bestand
im Diskutieren, nicht im Essen und Trinken. Wir trafen die Schriftsteller und
Maler, die sich um Pfemferts ›Aktion‹ gesammelt hatten, ebenso die, die
um Herwarth Waldens ›Sturm‹ versammelt waren. Da war Johannes R. Becher,
ebenso Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn, Resi Langer,
Alfred Richard Meyer, Ernst Blaß, Höxter, der gewohnheitsmäßig die Leute anpumpte
(sie gaben ihm auch) und von dem man sagte, er sei Morphinist. Er war es auch,
die Nazis sperrten ihn später ein und man sagt, sie hätten ihn umgebracht. Ich
weiß es nicht, ich habe Höxter nie wieder gesehen. Es gab im Café auch einen
Baron Schennis, Gott allein weiß, was er tat, ebenso ein Mädchen Taka Taka,
die nichts weiter als schön war und wahrscheinlich von ihrer Schönheit lebte.
- Richard Huelsenbeck, Reise bis ans Ende der Freiheit. Autobiographische
Fragmente. Heidelberg 1984
Café (7)
CAFÉ IN DEUTSCHER STADT Ein Kellnerfrack. Der Demut feile Geste Ein Pikkolo verstummt vor schmalen Frauen. Kokotten lächeln - sündeseliger Segen.
Der Dichter döst. Das Dudeln macht ihn dumm. |
- Friedrich Wilhelm Wagner, Jungfraun platzen
männertoll. Siegen 1986 (Vergessene Autoren der Moderne XXI, zuerst 1920)
Café (8)
Gestern waren wir in einem Café, das eines der schönsten
von Kairo ist und in dem sich gleichzeitig mit uns ein Esel befand, der kackte,
und ein Herr, der in einer Ecke pißte. Niemand findet das merkwürdig, niemand
sagt etwas. Manchmal steht jemand neben einem auf und beginnt sein Gebet zu
sprechen, mit tiefen Verneigungen und lauten Ausrufen, als ob er ganz allein
wäre. Man wendet nicht einmal den Kopf, so natürlich erscheint das. Kannst Du
Dir einen Menschen vorstellen, der im Café de Paris laut sein Tischgebet hersagt?
- Flaubert an seine
Mutter,
nach (
flb
)
Café (9)
Café Mir wird manchmal ganz kinderhaft zu Sinn: Und keiner weiß von euch, wie jung ich bin, Hin stiebt Musik in schnellem Siegerton. Es biegt die Geige in die Zielgerade. |
Café (10)
Café (11)
Gegenüber der Buchhandlung Rey das Café Biard, das von drei Seiten
Licht erhält: von der Galerie des Thermometers, von einem kleinen
Gang und vom Boulevard des Italiens. Schankraum und Hinterzimmer, mit euren
verschiedenen Türen und euren Scheiben, die immer noch dem Cafe für zwei Sous
und dem Amerikaner für vier vergangener Zeiten nachtrauern, mit euren Pfeilern
und euren Spiegeln bildet ihr einen hübschen Palast für Erinnerungen, der in
allem dem ähnelt, was wir, die Träumer Europas, von dem fernen Amerika und seinen
blutigen Epopöen wissen. Ihr seid die richtige Kulisse für heimliche Verbrechen,
geplante Attentate, Verbrecherjagd und Hinterhalte. In euren gebrochenen Perspektiven
wird die ganze Lächerlichkeit eines Lebens offenbar, das große Geheimnis jener
lyrischen Unangebrachtheiten, die die Bourgeoisie insgeheim zu einem gereizten
Lachen nötigen. Und die Liebe: wie ungezwungen würde sich die Liebe hier ausnehmen!
in diesem Cafe, wo alles wie geschaffen ist, um Blicke auszutauschen. Zwielicht,
Komplize echter leidenschaftlicher Erregung: in diesem abenteuerlichen Lokal
liegt das Licht noch mit sich im Streit. O Gott der Hölle, warum nur streicheln
die unbeschäftigten und so vor sich hin summenden Dirnen die rissigen Marmorplatten
der Tische? -
(ara)
Café (12) Ich glaube, in dem
bemerkenswerten Roman von Kubin »Die andere Seite«, in dem sich die
tiefe Angst der Träume niedergeschlagen hat, fand ich zum ersten Male
das Gefühl angedeutet, daß ein Großstadtcafé einen teuflischen Eindruck
erwecken kann. Es ist sonderbar, daß dieses Gefühl an Stellen, an denen
die Technik bereits fast rein auftritt, noch so selten empfunden zu
werden scheint. Die Lichtreklame in ihrer glühend roten und eisblau
gleißenden Faszination, eine moderne Bar, ein amerikanischer Groteskfilm
— dies alles sind Ausschnitte des gewaltigen luziferischen Aufstandes,
dessen Anblick den Einsamen mit ebenso rasender Lust wie erdrückender
Angst erfüllt. - (
ej
)
|
||
|
|
|
|
|