nwandlung   Der Mensch weiß oft nicht, woher ihm seine Gedanken kommen, es fällt ihm etwas ein; es wandelt ihn eine Sehnsucht, eine Bangigkeit oder Lust an, von der er sich keine Rechenschaft zu geben vermag, es drängt ihn eine Macht zu handeln oder es mahnt ihn eine Stimme davon ab, ohne daß er sich eines eigenen Grundes bewußt ist. Das sind Anwandlungen von Geistern, die in ihn hineindenken, in ihn hineinhandeln von einem anderen Mittelpunkt aus, als seinem eigenen. Noch augenfälliger werden ihre Wirkungen in uns, wenn in abnormen Zuständen (des Schlafwachens oder geistiger Krankheit) das, eigentlich gegenseitige. Abhängigkeitsverhältnis zwisehen ihnen und uns sich zu ihren Gunsten entschieden hat, so daß wir nur noch passiv aufnehmen, was uns von ihnen zufließt, ohne Rückwirkung von unserer Seite.

So lange aber der menschliche Geist wach und gesund ist, ist er nicht das willenlose Spiel oder Produkt der Geister, die in ihn hineinwachsen oder aus denen er zusammengewachsen erscheint; sondern das was eben diese Geister verknüpft, der unsichtbare urlebenskräftige Mittelpunkt voll geistiger Anziehungskraft, in den alle zusammenströmen, in dem sich alle kreuzen und durch wechselseitigen Verkehr miteinander die Gedanken zeugen, dieser ist nicht erst durch die Kreuzung der Geister entstanden, sondern ist dem Menschen als sein Ureigentum bei der Zeugung eingeboren; und der freie Wille, die Selbstbestimmung, das Selbstbewußtsein, die Vernunft und der Grund aller geistigen Vermögen liegen hierin enthalten. Aber alles das liegt bei der Geburt noch darin wie in einem unaufgeschlossenen Keime, erst harrend der Entwicklung zum Organismus voll lebensvoller individueller Wirklichkeit. So wie der Mensch in das Leben getreten ist, spüren es die fremden Geister und drängen sich von allen Seiten heran und suchen seine Kraft zu der ihrigen zu machen, um durch sie ein Moment ihrer selbst zu verstärken, aber indem ihnen dies gelingt, wird zugleich dies Moment Eigentum des Menschengeistes selbst, wird ihm eingebildet und trägt zu seiner Entwicklung bei.  - Gustav Theodor Fechner, Das Büchlein vom Leben nach dem Tode, in: G.T.F., Das unendliche Leben. München 1984 (Matthes & Seitz debatte 2, zuerst 1836)

Anwandlung (2)  Einer meiner Freunde, einer der harmlosesten Träumer, der je gelebt hat, legte einmal Feuer an einen Wald, um, so sagte er, festzustellen, ob das Feuer wirklich mit solcher Leichtigkeit um sich griffe, wie man allgemein versichere. Zehnmal hintereinander mißlang der Versuch, aber beim elften Male gelang er nur allzu gut.

Ein anderer ist imstande, sich neben einem Pulverfaß eine Zigarre anzustecken, um zu sehen, um zu wissen, um das Schicksal zu versuchen, um sich selbst zu zwingen, einen Beweis von Tatkraft zu geben, um den Spieler vorzustellen, um die Lustgefühle der Angst kennen zu lernen, für nichts, aus Laune, weil er nichts zu tun hat.

Es handelt sich da um eine Art von Tatkraft, die aus der Langeweile und der Träumerei aufspringt und die Menschen, bei denen sie sich so überraschend offenbart, sind im allgemeinen, wie ich schon sagte, die lässigsten und träumerischsten Geschöpfe.

Ein anderer, der derart scheu ist, daß er die Augen schon vor den Blicken der Menschen niederschlägt, derart scheu, daß er seinen armen Willen mit beiden Händen zusammen nehmen muß, um in ein Cafe einzutreten, oder sich an einer Theaterkasse anzustellen, an der die Aufsichtsbeamten ihm mit der Würde eines Minos, Äakus und Rhadamanthes bekleidet zu sein scheinen, kann ganz plötzlich einem vorübergehenden alten Herrn an den Hals springen und ihm voller Begeisterung vor der erstaunten Menge einen Kuß versetzen. - Charles Baudelaire, Der Spleen von Paris. In: C. B., Die Tänzerin Fanfarlo und Der Spleen von Paris. Zürich  1977 (detebe 20387)

 

Einfall Laune Augenblick

 

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Inspiration
Synonyme