eiten,
bessere Die Monate vergingen, sie reihte eifrig ihre
Zähne, die sich ganz leicht aus dem Kiefer ziehen ließen, auf der Kommode aneinander
und zeigte mir eines Tages triumphierend eine Plastiktüte mit blutiger Watte:
So viel Blut ist aus meinem Hals gekommen! Wozu? Wozu machst du das? Welcher
Kommission willst du das alles zeigen, gib her, ich werf es weg! Und wie du
rumläufst, Mama! Was ist nur aus dir geworden? Du hast einen ganzen Schrank
voll Kleider, ich bin es, die nichts zum Anziehen hat, aber du!? Wahrscheinlich
hatte sie vor, das alles für bessere Zeiten aufzuheben, sie glaubte ganz fest,
eines schönen Tages würden alle zur Seite treten, sie werde auf der Bildfläche
erscheinen, in einem neuen Sommermantel oder dem bordeauxroten Wollkleid, und
dann, aufgepaßt! gibt's eine Hochzeit! Einmal hat sie sogar im Scherz gesagt,
man solle sie für den Bräutigam aufbewahren, und ich fiel ihr ins Wort: «Für
einen Rentner etwa? Willst du den Rest deines Lebens einen Rentner versorgen?»,
ohne daß ich näher in Erfahrung bringen wollte, auf welchen Bräutigam sie eigentlich
wartete. Sie blickte mich mit ihren kleinen, einstmals grauen Augen an, jetzt
ist nur noch das blinde Blau übriggeblieben, alles ist verblichen und verschwommen
- die matten Augen eines Säuglings, sie glänzen wie eine Pfütze. Sie antwortete
strahlend, Rentner könne sie nicht ausstehen und sie beabsichtige keinesfalls,
Nachttöpfe zu leeren. Es blieb also offen, worauf sie wartete, und es drängte
sich die einzig mögliche Antwort auf, sie wartete auf die Rückkehr ihrer Jugend
und glaubte unerschütterlich daran. Irgendwo in der Tiefe ihrer Seele harrte
sie besserer Zeiten, d. h. daß sie plötzlich erbeben, ihre Hülle abwerfen und
aufblühen würde, so wie einst nach einem Sommerurlaub. Worauf endlich wartete
sie in der Tiefe ihrer Seele? Auf Paradies und Himmelreich? Doch statt dessen
geschah es, daß sie mich eines Tages leise zu sich rief, um mir zu sagen, daß
man sie «holen kommt». - Ljudmila Petruschewskaja,
Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante. Berlin 1991
(zuerst 1990)
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