- Theodor Däubler, Der Werwolf.
In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg.
Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1921)
Pensionär (2) »Wie gefällt es Ihnen auf dem Mars, Opa?«
»Gut. Gibt immer etwas Neues. Als ich letztes Jähr raufkam, hab ich keine großen Dinge erwartet und keine Ansprüche gestellt und wollte mich auch nicht überraschen lassen. Wir müssen die Erde vergessen, wir müssen vergessen, wie es da unten war. Wir müssen uns ansehen, was wir hier haben und wie anders alles ist. Das Wetter zum Beispiel. Schon das Wetter macht mir hier verdammt Spaß. Ist eben marsianisch.es Wetter. Heiß wie die Hölle am Tage, kalt wie die Hölle in der Nacht. Ich beschäftige mich viel mit den andersartigen Blumen und dem andersartigen Regen. Ich wollte mich auf dem Mars zur Ruhe setzen, mir ein Plätzchen suchen, wo alles anders ist. Ein alter Mann braucht das. Das junge Volk will nichts mehr von ihm wissen, und seine Altersgenossen langweilen ihn zu Tode. Also hielt ich es für das beste, mir ein Fleckchen zu suchen, das so anders ist, daß ich nur die Augen aufzumachen brauche und schon etwas zu sehen habe. Hier die Tankstelle hab ich mir besorgt. Wenn das Ges'chäft zu lebhaft wird, suche ich mir weiter oben eine andere alte Straße, auf der es noch ruhiger ist und wo ich ausreichend verdiene und noch Zeit habe, all das Fremde in mich aufzunehmen.«
»Sie machen's richtig, Opa«, sagte Tomàs. Seine braunen Hände ruhten locker auf dem Steuerrad. Er fühlte sich wohl. Er hatte zehn Tage hintereinander in einer der neuen Kolonien gearbeitet und hatte jetzt zwei Tage frei und war auf dem Weg zu einer Party.
»Mich überrascht gar nichts mehr«, sagte der alte Mann. »Ich sehe mich nur
um. Ich registriere. Wenn man den Mars nicht so nehmen kann, wie er ist, sollte
man gleich wieder zur Erde fliegen. Hier oben ist alles verrückt — der Boden,
die Luft, die Kanäle, die Eingeborenen (ich hab noch keine gesehen, aber es
sollen sich ja noch welche herumtreiben), die Uhren. Sogar meine Uhr ist komisch.
Auch die Zeit ist völlig verdreht. Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich
ganz allein, als gäbe es außer mir keine Seele auf dem ganzen verdammten Planeten.
Ich könnte in solchen Momenten glatt wetten, allein zu sein. Manchmal komme
ich mir etwa acht Jahre alt vor, ganz winzig zusammengequetscht, und alles ist
riesig. Mein Gott, hier ist wirklich der richtige Ort für einen alten Mann.
Hält mich munter und zufrieden.« - Ray Bradbury, Die Mars-Chroniken. München
1974 (Heyne 3410, zuerst 1950)
Pensionär (3) Ein Däne,
namens Draakenberg, geboren 1626, diente bis in sein 91. Jahr als Matrose
auf der königlichen Flotte und brachte 15 Jahre seines Lebens in der türkischen
Sklaverei, und also im größten Elend zu. Als er 111 Jahre
alt war und sich nun zur Ruhe gesetzt hatte, fiel's ihm ein, doch nun zu heiraten,
und er nahm eine sechzigjährige Frau; diese aber überlebte er lange, und nun
in seinem 130. Jahre verliebte er sich noch in ein
junges Bauernmädchen, die aber, wie man wohl denken kann, seinen Antrag ausschlug.
Er versuchte sein Heil nun noch bei mehreren; da er aber nirgends glücklicher
war, so beschloß er endlich ledig zu bleiben und lebte so noch 16 Jahre. Erst
im Jahre 1773 starb er im 146. Jahre seines Alters. Er war ein Mann von ziemlich
heftigem Temperament. - (
huf
)
Pensionär (4) Monsieur Traum setzt sich an den Eisentisch,
auf dem der Band Vergil liegengeblieben ist, und zieht die Rechnungen wieder
aus seiner Tasche. Ist er während seines Kaffees oder danach nicht eingedöst,
kommt es vor, daß er jetzt eindöst. Das geht ganz einfach vor sich. Sei es,
daß er Anmerkungen auf einer Rechnung macht, sei es, daß er keine macht, nach
einer kurzen Prüfung sinkt sein Kopf plötzlich vornüber. Er hebt ihn wieder
und blickt um sich, die alte Gewohnheit des Beamten, der sich beobachtet fühlt.
Er macht sich wieder ans Prüfen oder an seine Anmerkungen, doch sein Kopf sinkt
wieder vornüber. Da trifft Monsieur Traum, der jetzt im Ruhestand lebt und von
niemandem mehr beobachtet wird, von der Müdigkeit übermannt und seine letzten
Skrupel unterdrückend, die köstliche Entscheidung sich am Tisch zusammengesunken,
den Kopf in der Armbeuge, dem Schlummer zu überlassen. Es kommt vor, daß er
eine halbe Stunde schläft. Dann wacht er auf, sagt etwas Haltung bitte und nimmt
einen Augenblick seine Rechnungen wieder oder steht auf und macht die Runde
durch den Garten, doch ohne etwas zu sehen. - (
rp2
)
Pensionär (5) Onkel Hieronymus verließ schon jahrelang nicht mehr sein Zimmer. Seit der Zeit, da die Vorsehung ihm das Ruder des zerschellten und auf eine Sandbank gelaufenen Lebensschiffchens sanft aus der Hand genommen hatte, führte er auf dem Streifchen zwischen dem Flur und dem dunklen Erker, das man ihm zugewiesen hatte, das Leben eines Pensionisten.
In einem langen, bis auf die Erde reichenden Schlafrock saß er in der Tiefe des Erkers und wurde mit einem schier phantastischen Bartwuchs überzogen. Ein langer pfefferfarbener (in den Enden der langen Zotteln freilich weißer) Bart umrankte sein Gesicht, reichte bis auf die halben Wangen und ließ nur die Habichtsnase und seine zwei Augen frei, deren weiße Äpfel im Schatten der buschigen Brauen kreisten.
In diesem dunklen Erker, einem engen Gefängnis, das ihn wie einen großen raubgierigen Kater dazu verurteilte, vor der großen Glastür zum Salon hin und her zu gehen, standen zwei große Eichenbetten, die Nachtlager des Onkels und der Tante, während ein großer, undeutlich in der dunklen Tiefe schimmernder Gobelin die ganze hintere Wand bedeckte. Wenn die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, tauchte zwischen Bambus und Palmen ein gewaltiger Löwe auf, dräuend und düster wie ein Prophet und majestätisch wie ein Patriarch.
Rücken an Rücken sitzend, wußten der Löwe und Onkel Hieronymus haßerfüllt voneinander. Ohne sich eines Blickes zu würdigen, drohten sie einander mit entblößten, gefletschten Hauern und schrecklich knurrenden 'Worten. Mitunter stellte sich der Löwe, aufs äußerste gereizt, auf die Vorderbeine, streckte den Hals vor und sträubte die Mahne und ließ sein fürchterliches Gebrüll rings um den düsteren Horizont kreisen.
Darauf übertraf ihn Onkel Hieronymus wieder durch eine prophetische
Tirade, und sein Gesicht wurde erschreckend von den großen Worten modelliert,
die es anschwellen ließen, während sein Bart begeistert wogte. Da verengte
der Löwe schmerzlich die Pupillen, wandte langsam den Kopf ab und rollte
sich unter der Wucht des Gotteswortes zusammen. -
Bruno Schulz, Dodo. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen.
München 1966
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