erführer 

Verführer

- Aus: Molitor, De lamiis et phitonicis mulieribus (um 1498)

Verführer (2)  Der Jüngling trat an den Derwisch heran und begann, ihm zu schmeicheln und sich ihm anzubieten. Aber der Alte ward zornig und sprach zu ihm: ,Was sind das für Reden, mein Sohne Ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor dem verfluchten Teufel. O Allah, dies ist ein Greuel, der dir nicht gefällt. Entferne dich von mir, mein Sohn!' Darauf erhob sich der Derwisch von seinem Sitze und ließ sich in einiger Ferne von dem Jüngling nieder; doch der folgte ihm und warf sich auf ihn und sprach zu ihm: .Weshalb, o Derwisch, willst du dir die Freude versagen, mich zu genießen, da doch mein Herz dich uebtei Nun ward der Derwisch noch heftiger ergrimmt, und er sprach: .Wenn du dich nicht von mir zurückhältst, so rufe ich deinen Vater und sage ihm, was du da treibst.' Aber der Jüngling erwiderte ihm: ,Mein Vater weiß, daß ich von dieser Art bin, und es ist unmöglich, daß er mich hindern würde; also erfülle meinen Wunsch! Weshalb hältst du dich von mir zurück; Gefalle ich dir denn nicht?' Darauf sagte jener: ,Bei Allah, mein Sohn, das tu ich nie, würde ich auch mit den scharfen Schwertern in Stücke geschlagen.' Und dann hüb er an, das Dichterwort vorzutragen:

Mein Herz ist voller Liebe zu den Schönen allen.
Zu Knaben und zu Mädchen, und ich säume nicht.
Doch schau ich sie nur an des Abends und des Morgens:
Ich bin kein Wüstling, keiner, der die Ehe bricht.

Dann weinte er und sprach: ,Wohlan, öffne mir die Tür, auf daß ich meiner Wege gehen kann! Ich will nicht mehr an dieser Stätte ruhen.' Und alsbald sprang er auf; aber der Jüngling hängte sich an ihn und sagte: ,Schau doch mein strahlendes Gesicht und meiner Wangen rotes Licht, meines Leibes weiche Art und mein Lippenpaar so zart!' Dann enthüllte er ihm eine Wade, die den Wein und den Schenken beschämte; und er schaute ihn an mit einem lieblichen Blick, der den Zauber und den Zauberer bezähmte. Er war ja von so herrlicher Lieblichkeit und von so sanfter Zierlichkeit, wie ihm einer der Dichter die Worte geweiht:

Ich kann ihn nicht vergessen, seit er vor mir stand,
Mit einer Wade wie von Perlenglanz erfüllt.
Drum staunet nicht, wenn mir die Seele auferstand:
Am Tag der Auferstehung wird das Bein enthüllt.

 Nun zeigte der Jüngling ihm gar seinen Busen und sprach zu ihm:,Schau meine Brüste, sie übertreffen die Brüste der Jungfrauen an Lieblichkeit, und mein Lippentau ist zarter als Zuckerkand an Süßigkeit. Drum laß ab von Entsagung und Enthaltsamkeit! Denke nicht mehr an frommes Leben und Gottergebenheit! Erfreu dich dessen, was ich dir bin, und nimm meine ganze Anmut hin! Fürchte ganz und gar nichts; denn du bist sicher vor allem Arg! Tu ab von dir dies schwere Blut; denn solche Gewohnheit ist nicht gut!' So zeigte er ihm seine verborgenen Reize und wollte ihn blenden, und er suchte durch zierliche Windungen die Zügel seines Verstandes zu wenden. Aber der Derwisch wandte sein Antlitz ab und rief: ,Ich nehme meine Zuflucht zu Allah. Schäme dich, mein Sohn, das ist ein sündiges Beginnen, darauf könnte ich nicht einmal im Traume sinnen!' Als der Jüngling ihn jedoch immer noch bedrängte, riß der Derwisch sich von. ihm los, wandte sich in die Richtung nach Mekka und begann zu beten. Wie jener ihn beten sah, ließ er von ihm ab, bis er zwei Rak'as gebetet und zum Schlusse den Gruß an die Engel gesprochen hatte. Nun wollte er von neuem auf ihn zukommen; doch der Derwisch machte sich wiederum zum Gebet bereit und betete zwei Rak'as. Und das tat er auch noch ein drittes und viertes und fünftes Mal. Da sprach der Jüngling: 'Was soll dies Beten? Willst du auf den Wolken entweichen? Wenn du die ganze Nacht in der Gebetsnische bist, lassest du unser Glück verstreichen.' Und noch einmal warf sich der Jüngling auf ihn und küßte ihn auf die Stirn. Da sprach der Derwisch zu ihm: 'Mein Sohn, laß doch den Satan von dir weichen und widme dich dem Gehorsam gegen den Erbarmungsreichen!' Doch jener erwiderte: 'Wenn du nicht mit mir tust, was ich will, so rufe ich meinen Vater und spreche zu ihm: Der Derwisch will Schlechtes mit mir tun. Dann wird er über dich kommen und schlagen; dann werden dir deine Knochen in deinem Fleische zerbrochen.' - (1001)

Verführer (3)  »Im Juni 1917 wurde es mir, Franz Jung und Johannes Baader klar, daß das stumme Erstarren der großen Masse unterbrochen werden mußte. Franz Jung gab diese Parole aus, die Pläne hatte ich zu liefern.

Ich sagte mir, daß die allgemeine Unterordnungs-Situation eines Stoßes bedürfe. Meine Psychologie arbeitete derart: Jeder Mensch ist ein Kompromiß zwischen eigenem Wollen und fremder Autorität. Man mußte versuchen, die Fremdautorität dem eigenen Wollen zu unterwerfen. Dazu erschien mir ein Besessener wie Baader der geeignete Exponent.

Ich ging mit ihm auf die Felder von Südende, wo Jung damals wohnte, und sagte ihm: ›Dies alles ist Dein, wenn Du tust, was ich Dir sage. Der Bischof von Braunschweig hat Dich nicht anerkannt, Du hast dafür seine Kirche verunreinigt. Dies ist keine Kompensation. Ich will Dich über die Menschen setzen. Jedem steht es frei, göttlich zu sein. Du bist ab heute der Präsident der Christus G.m.b.H. und hast Mitglieder zu werben. Du mußt jeden überzeugen, daß auch er, wenn er nur will, Christus ist, gegen Zahlung von 50 Mark. Als Mitglied unserer Gesellschaft ist er nicht mehr der weltlichen Obrigkeit untertan und wird automatisch dienstuntauglich. Du erhältst von mir einen Purpurmantel, und wir veranstalten auf dem Potsdamer Platz eine Echternacher Springprozession. Vorher werde ich Berlin mit Bibeltexten überschwemmen — auf allen Litfaßsäulen wird zu lesen sein: ›Wer das Schwert wählt, wird durch das Schwert umkommen.‹

Zwar war Baader gänzlich einverstanden, Jung aber gab nicht das Geld, das er uns versprochen hatte. So unterblieb die Prozession.«  - Raoul Hausmann, nach: Hans Richter, Dada - Kunst und Antikunst. Köln 1964

Verführer (4)  Mittelalterliche Lords verbannten viele ihrer Töchter in Klöster. In der ganzen Welt haben reiche Männer stets ihre Söhne bevorzugt, häufig sogar nur einen einzelnen. Ein wohlhabender oder mächtiger Vater, der seinen Söhnen seinen Status hinterläßt beziehungsweise die Mittel, diesen zu erlangen, vererbt ihnen damit auch die Mittel, erfolgreiche Verführer zu werden und zahlreiche uneheliche Söhne zu produzieren. Für wohlhabende Töchter existiert ein solcher Vorteil nicht. Daraus ergibt sich eine merkwürdige Konsequenz: Das Verdienstvollste, was ein Mann oder eine Frau tun können, ist damit, einem wohlhabenden Mann einen legitimen Erben zu schenken. Eine solche Logik legt nahe, daß Verführer anspruchsvoll sein sollten. Sie sollten sich für die Frauen mit den besten Genen entscheiden und gleichzeitig für diejenigen mit den wohlhabendsten Ehemännern und mit dem Potential, wiederum Sohne zu bekommen, die viele Nachkommen produzieren. Im Mittelalter wurde dies zur Kunst erhoben. Das Umwerben reicher Erbinnen und der Frauen großer Herrscher galt als die höchste Form höfischer Liebe. Turniere hatten keinen anderen Zweck, als potentiellen Verführern die Möglichkeit zu geben, großen Damen zu imponieren. Wie Erasmus Darwin es ausdrückt:

Brunftende Keiler hauen mit schmelzharten Zähnen,
Der Schulterschild wehrt ab, was sie von seitlich kommen wähnen;
Während die Weibchenrotte zusieht in verstummtem Staunen,
Und anglotzt den Sieger mit bewundernden Augen. -

So Ritter um Ritter, wie zu lesen in Romanzen,
Trieb an das stolze Roß, legt' ein die stoßbereite Lanzen;
Und wessen Wagemut gesegnet mit Unbezwingbarkeit
und Kraft, der - dies seiner Mühen güldner Sold -
vor der Schönheit sich verneigte und erreichte ihres Lächelns Huld.

- Matt Ridley, Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München 1995 (zuerst 1993)

 

Teufel Verführung

 

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Verwandte Begriffe
Mann
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Teufelskrallen Jammerblick