eufzen
»... da Kinder wohl zu weinen, aber nicht zu seufzen verstehen« (Gottfried
Keller, Das Sinngedicht). - Das Zuständige, gefragt,
ob das stimme: »Sie können es wohl, aber sie machen es nicht« -
(
bleist
)
Seufzen (2) Die Sehnsucht der Liebe, welchen
in zahllosen Wendungen auszudrücken die Dichter aller
Zeiten unablässig beschäftigt sind und den Gegenstand nicht erschöpfen, ja,
ihm nicht genug thun können, diese Sehnsucht, welche an den Besitz eines bestimmten
Weibes die Vorstellung einer unendlichen Säligkeit knüpft
und einen unaussprechlichen Schmerz an den Gedanken, daß er nicht zu erlangen
sei, - diese Sehnsucht und dieser Schmerz der Liebe können nicht ihren Stoff
entnehmen aus den Bedürfnissen eines ephemeren Individuums; sondern sie sind
der Seufzer des Geistes der Gattung, welcher hier ein unersetzliches Mittel
zu seinen Zwecken zu gewinnen, oder zu verlieren sieht und daher tief aufstöhnt.
Die Gattung allein hat unendliches Leben und ist daher unendlicher Wünsche,
unendlicher Befriedigung und unendlicher Schmerzen fähig. Diese aber sind hier
in der engen Brust eines Sterblichen eingekerkert: kein Wunder daher, wenn eine
solche bersten zu wollen scheint und keinen Ausdruck finden kann für die sie
erfüllende Ahndung unendlicher Wonne oder unendlichen Wehes. Dies also giebt
den Stoff zu aller erotischen Poesie erhabener Gattung, die sich demgemäß in
transscendente, alles Irdische überfliegende Metaphern versteigt. Dies ist das
Thema des Petrarka, der Stoff zu den St. Preuxs, Werthern und Jacopo
Ortis, die außerdem nicht zu verstehn, noch zu erklären seyn würden. Denn auf
etwanigen geistigen, überhaupt auf objektiven, realen Vorzügen der Geliebten
kann jene unendliche Werthschätzung derselben nicht beruhen; schon weil sie
dazu dem Liebenden oft nicht genau genug bekannt ist. - (
wv
)
Seufzen (3) Grave Diggers Stirn schwoll an, und seine Stimme klang gepreßt und trocken wie Baumwolle. Die Adern an seinen Schläfen wurden so dick, als würden sie mit Luft aufgepumpt.
»Du hast von dem Geld gelebt, das diese schwarze Frau verdiente, indem sie ihren Körper an weißes Gesindel verkaufte«, keuchte Grave Digger. »Du hast von ihrer Treue und ihrem Schweiß und ihrer Schande gelebt.«
Coffin Ed beobachtete ihn besorgt. Er hatte seinen Partner noch nie so außer sich gesehen.
»Immer mit der Ruhe, Digger«, warnte er wieder. »Reg dich ab, Mann. Dieses schwarze Stück Scheiße ist es nicht wert.«
Doch hinter Grave Diggers Stirn dröhnte die Wut, und er hörte seinen Partner nicht. »Und du hast sie umgebracht, weil sie frei sein wollte.«
Vor Furcht bäumte T-bones Körper sich stoßweise auf wie in Todeszuckungen. »Ich wollte alles sagen«, winselte er mit knochentrockenen Lippen, »'s war mehr für sie als für mich.«
»Das kannst du ihr selber sagen, Bastard«, krächzte Grave Digger; seine Kehle war so trocken wie T-bones Lippen.
»Digger!« schrie Coffin Ed, als er sah, wie Grave Digger mit seiner Pistole ausholte.
Wie eine von Panik erfüllte Ratte sprang T-bone auf
und mit einem unwillkürlichen Sinn für das Verhängnis dem auf ihn niederknallenden
Kolben der langen, nickelbeschlagenen Pistole entgegen. Sein Körper fiel in
das geronnene Blut der Frau, die er getötet hatte. Gleichzeitig stieß Grave
Digger einen langen, erstickten Seufzer aus, beinahe so, als erlebe er einen
heftigen Orgasmus. - Chester Himes, Plan B. Berlin 1994 (Alexander Verlag, zuerst 1993)
Seufzen (4) Mit einem Schraubenschlüssel wäre es ganz einfach gewesen, das Ausstellfenster aufzubrechen, mit dem Taschenmesser dauerte es ein wenig länger. Obwohl der Wagen im Schatten stand, hatte das Innere sich aufgeheizt. Als die Messerklinge die Arretierung faßte und Chee das Fenster aufdrücken konnte, entwich die aufgestaute Hitze mit einem Laut, der wie unterdrücktes Seufzen klang. Das Verblüffendste war der Geruch. Es stank nach Chemie, stickig und dumpf, wie von einem Desinfektionsmittel. Chee langte durch die schmale Öffnung, tastete nach dem Türgriff und zog die Wagentür auf.
Richard Palanzer saß auf dem Rücksitz. Vom Foto, das Cowboy ihm gezeigt hatte, erkannte Chee ihn sofort wieder. Ein schmächtiger Weißer mit zerzaustem stahlgrauem Haar, engstehenden Augen und einem schmalen Gesicht, das zu Lebzeiten knochig gewesen sein mochte, jetzt aber, im Tod und von der beginnenden Verwesung gezeichnet, wie mumifiziert aussah. Er trug einen grauen Nylonblouson und ein weißes Hemd, seine Füße steckten in Cowboystiefein. Wie er so stocksteif da hinten saß, ganz in die Ecke gedrückt und den Kopf zur Seite gewandt, hätte man denken können, er starre aus blinden Augen angestrengt nach draußen.
Chee blieb an der Tür stehen. Der beißende Geruch nahm ihm den Atem, würgte
in seiner Kehle. Lysol, vermutete er. Lysolspray und der Tod - so roch es. Es
dauerte eine Weile, bis er die krampfartigen Zuckungen seines Magens unter Kontrolle
bringen konnte. Irgend etwas stimmte nicht mit dem linken Auge des Toten, es
sah aus, als ob er schielte. Vorsichtig, um möglichst
nichts zu berühren, ließ Chee sich auf den Fahrersitz gleiten. Aus der Nähe
erkannte er, was mit dem Auge los war. Die linke Kontaktlinse hatte sich von
der Pupille gelöst und war halb herausgerutscht. -
Tony Hillerman, Der Wind des Bösen. In: T. H., Der Wind des Bösen / Schüsse
aus der Steinzeit. München 1997
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