arquis, göttlicher  

Marquis, göttlicher (2)  In Freiheit führte der Marquis de Sade ein geregeltes Dasein und lebte vom Ertrag seiner Feder. Er veröffentlichte seine Werke, besorgte Theateraufführungen in Paris, Versailles und vielleicht auch in Chartres. Er geriet in ernste Geldschwierigkeiten, bewarb sich vergeblich um irgendeinen Posten: »Geeignet für Geschäfte, womit sein Vater zwanzig Jahre zugebracht hat, einen Teil Europas kennend, brauchbar für die Abfassung oder Bearbeitung jedweden Werkes, für buchhalterische Tätigkeiten, die Leitung einer Bibliothek, einer Kanzlei oder eines Museums, kurzum, Sade, der nicht untalentiert ist, fleht Euren Gerechtigkeitssinn und Euer Wohlwollen an, er bittet Euch inständig um einen Posten.« - Brief an das Mitglied des Konvents Bernard (de Saint-Afrique), 8. Ventôse des Jahres III (27. Februar 1795).   - Nach (apol)

Marquis, göttlicher (3) »Während der achtzehn Monate, die ich in den Jahren 1802 und 1803 in Erwartung meiner Begnadigung in Sainte-Pelagie verbrachte, war ich auf demselben Gang einquartiert wie der berühmte Marquis de Sade, der Verfasser des abscheulichsten Werkes, das sich menschliche Perversion je ausgedacht hat. Dieser Elende war von der Lepra der unvorstellbarsten Verbrechen derart überzogen, daß ihn die Behörden nicht der Todesstrafe und nicht einmal der Einstufung als Bestie für würdig befunden hatten und zu den Besessenen zählten: die Justiz, die weder wollte, daß ihre Archive mit dem Namen dieses Individuums beschmutzt würden, noch dalS der Scharfrichter, indem er ihm den Kopf abschlug, ihm jene Berühmtheit zukommen ließe, auf die er so erpicht war, hatte ihn in eine Ecke des Gefängnisses verbannt und es jedem Gefangenen freigestellt, ihn von dieser Last zu befreien.

Die Sucht nach literarischer Berühmtheit lag der Verdorbenheit dieses Mannes zugrunde, der nicht als Bösewicht zur Welt gekommen war. Da er sich nicht über das Niveau der moralischen Schriftsteller zu erheben vermochte, hatte er beschlossen, den Abgrund der Sünde zu öffnen und sich dort hineinzustürzen, um, von den Flügeln eines bösen Genies getragen, wieder aufzutauchen und sich durch das Ersticken jeglicher Tugend und die öffentliche Vergöttlichung aller Laster unsterblich zu machen. Und doch bemerkte man an ihm noch Spuren von Tugend, wie etwa Wohltätigkeit. Dieser Mann erschauerte bei dem Gedanken an den Tod und fiel in Ohnmacht, wenn er seine weißen Haare erblickte. Zuweilen schluchzte er in einem Anflug von Reue, der keine Fortsetzung fand: >Warum bin ich bloß so abscheulich, und warum ist das Verbrechen so anziehend? Es verewigt mich, man muß seine Herrschaft über die Welt errichten.<  - Ange Pitou 1816, nach: Guillaume Apollinaire, Der göttliche Marquis. (apol)

Marquis, göttlicher (4)  De Sade, der abscheuliche Autor des schrecklichsten aller Romane, hat mehrere Jahre in Bicêtre, Charenton und Sainte-Pélagie verbracht. Er behauptete immer wieder, daß er die höllische J*** nicht verfaßt hätte, aber Monsieur de G***, ein junger Autor, den er häufig angriff, wies es ihm auf diese Weise nach: Sie bekennen sich zu den »Verbrechen der Liebe«, einem fast moralischen Werk, das Ihren Namen trägt; Sie fügen diesem Titel hinzu: Vom Autor von »Aline und Valcour«, und im Vorwort zu diesem Ihrem letzten Buch, das noch schlimmer als J*** ist, erklären Sie sich zum Verfasser dieses infamen Werkes; also schicken Sie sich drein. Unter physiologischen Gesichtspunkten kann der Kopf dieses Malers der Verbrechen als eine der seltsamsten Ungeheuerlichkeiten gelten, die die Natur je hervorgebracht hat. Es wird versichert, daß viele Zügellosigkeiten, die er mit grauenhafter Energie beschrieben hat, von ihm selber ausprobiert worden sind. Er ging mit Schandtaten schwanger, und seine hassenswerte Fruchtbarkeit zwang ihn dazu, selbst in den Gefangnissen zu gebären, wo man ihm sein höllisches Genie austreiben wollte. Polizeiinspektoren hatten die Aufgabe, häufig die Ortlichkeiten zu inspizieren, die er bewohnte, und alles Geschriebene zu beschlagnahmen, das sie vorfänden und das er zuweilen so gut versteckte, daß es nur schwer zu finden war. Ein gewisser V., der des öfteren mit solchen Aufgaben betraut war, hat gegenüber mehreren Personen geäußert, daß der Marquis trotz der Frostkälte des Alters mittels der Feuer einer wahrhaftig vulkanischen Phantasie Dinge hervorbrächte, die noch abscheulicher seien als die der Öffentlichkeit bereits unterbreiteten.

Es ist möglich, daß die Archive des Sittenbüros der Polizeipräfektur als Katakomben für diese ruchlosen Kinder einer Verdorbenheit dienen, die man nicht zu bewerten vermag; aber es bliebe auch zu wünschen, daß sie in das Nichts zurückkehrten, aus dem sie nie hätten hevortreten dürfen.  - P.-F.-T.-J. Giraud, nach: Guillaume Apollinaire, Der göttliche Marquis. (apol)

Marquis, göttlicher (5)   Restif de La Bretonne, der die Werke des Marquis de Sade gut kannte, die gedruckten ebenso wie die Manuskripte, und sich um sie kümmerte, ist ihm niemals begegnet. »Er hat«, heißt es von ihm in »Monsieur Nicolas«, »einen langen weißen Bart, der triumphierend hochgehalten wurde, als man ihn aus der Bastille holte.« Man weiß, daß der Marquis de Sade am 14. Juli gar nicht mehr in der Basrille war.

Von Jugend an widmete er sich der vielfältigsten Lektüre; las alles mögliche, bevorzugte jedoch philosophische, historische Werke und vor allem Reiseberichte, die ihm Kenntnisse über die Sitten und Gebräuche ferner Völker vermittelten. Er stellte selber Forschungen an. Er war ein fähiger Musiker, tanzte vorzüglich, machte eine gute Figur auf dem Pferd, war ein Meister im Fechten und befaßte sich sogar mit Bildhauerei. Seine besondere Liebe galt der Malerei, und er verbrachte viele Stunden in Gemäldegalerien. Häufig war er in der des Louvre anzutreffen. Seine Kenntnisse erstreckten sich auf alle Gebiete. Er beherrschte Italienisch, Provenzalisch (er nannte sich selber den provcnzaliscben Troubadour und verfaßte provenzalische Verse) und Deutsch. Es mangelte nicht an Beweisen seines Mutes. Die Freiheit liebte er über alles. Seine Taten, sein philosophisches System, alles bezeugt seinen leidenschaftlichen Hang zur Freiheit, die er im Verlauf dessen, was sein Diener Carteron ein »Hundeleben« nannte, so oft entbehren mußte. Dieser Carteron läßt uns durch seine Briefe, die in der Arsenal-Bibliothek aufbewahrt werden, wissen, daß der Marquis de Sade »wie ein Seeräuber« Pfeife rauchte und »für drei« gegessen hat.  - Guillaume Apollinaire, Der göttliche Marquis. (apol)

 

Selbstvergöttlichung Marquis

 


Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe

Synonyme