useum  Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß die unglaubliche Sonderbarkeit dieser Träume und ihre ganze Art, die meinen Beschäftigungen und meinen Herzensangelegenheiten völlig fremd ist, mich immer zu der Annahme treibt, daß alles das nur eine Hieroglyphensprache ist, zu der mir der Schlüssel fehlt.

Es war (in meinem Traum) zwei oder drei Uhr früh, und ich ging allein in den Straßen umher. Ich begegne Castille, der, glaube ich, einige Wege zu machen hatte. Ich sage ihm, daß ich ihn begleiten werde und den Wagen benutzen möchte, um für mich einen Weg zu machen. Wir nehmen also einen Wagen. Ich betrachte es als eine Pflicht, der Besitzerin eines großen Bordells ein Buch von mir, das eben erschienen war, zu überbringen. Als ich das Buch, das ich in Händen hielt, ansah, zeigte es sich, daß es ein obszönes Buch war, was mir die Notwendigkeit erklärte, das Buch dieser Frau zu schenken. In meinem Innern war diese Notwendigkeit übrigens nur ein Vorwand, um eines der Mädchen dieses Hauses zu ..., woraus sich ergibt, daß ich ohne die Notwendigkeit, das Buch zu überbringen, nicht gewagt hätte, in ein solches Haus zu gehen. Ich sage Castille von all dem nichts, lasse den Wagen vor diesem Hause halten, Castille bleibt im Wagen zurück, und ich nehme mir vor, ihn nicht lange warten zu lassen. Gleich nachdem ich geläutet habe und eingetreten bin, bemerke ich, daß mein . . . durch den offenen Hosenschlitz heraushängt, und ich finde, daß es selbst an einem solchen Orte unanständig wäre, sich so zu zeigen. Zudem spüre ich, daß ich sehr durchnäßte Füße habe, und bemerke, daß meine Füße nackt sind und ich in eine Wasserlache unter der Treppe getreten bin. Ach was! sage ich mir, ich werde sie waschen, bevor ich . . ., und bevor ich das Haus verlasse. Ich gehe hinauf. — Von diesem Augenblick an ist von dem Buch keine Rede mehr.

Ich befinde mich in ungeheuren ineinandergehenden Sälen, Räumen von traurigem und düsterem Aussehen, wie alte Kaffeehäuser, alte Lesesäle oder gemeine Spielhäuser. Die Mädchen, die in diesen Sälen verstreut sind, sprechen mit Männern, unter denen ich Gymnasiasten bemerke. — Ich fühle mich verstimmt und befangen, ich fürchte, daß man meine Füße sieht. Ich schaue sie an und sehe, daß ich einen Stiefel anhabe. Einige Zeit darauf bemerke ich, daß beide Füße beschuht sind. Es fällt mir auf, daß die Wände dieser ungeheuren Säle mit allen möglichen Zeichnungen in Rahmen geschmückt sind. Nicht alle sind obszön. Es sind sogar architektonische Zeichnungen und auch ägyptische Figuren darunter. Da ich mich immer befangener fühle und keines der Mädchen anzusprechen wage, unterhalte ich mich damit, alle Zeichnungen auf das genaueste zu besehen.

In einem rückwärtigen Teile eines dieser Säle entdecke ich eine ganz sonderbare Serie. In einer Menge kleiner Rahmen sehe ich Zeichnungen, Miniaturen und Photographien. Es sind buntfarbige Vögel mit glänzendem Gefieder und lebenden Augen. Bisweilen sind es nur Vogelhälften, Bilder seltsamer Lebewesen, gräßlich, fast formlos wie Meteorsteine. In der Ecke jeder Zeichnung findet sich eine Anmerkung: Das und das Mädchen, soundso alt, hat in dem und dem Jahre diesen Fötus zur Welt gebracht, und mehr Anmerkungen dieser Art.

Ich erwäge, daß derlei Zeichnungen wenig danach angetan sind, Liebesgedanken zu erwecken.

Ein anderer Gedanke ist: Es gibt in der ganzen Welt nur ein einziges Blatt, nämlich den „Siede", der dumm genug sein könnte, ein Bordell zu eröffnen und darin gleichzeitig eine Art medizinisches Museum unterzubringen. Und plötzlich sage ich mir: Tatsächlich, es ist der ,,Siede", der die Gelder zu dieser Spekulation hergegeben hat, und dieses medizinische Museum entspricht ganz seiner Art, Fortschritt, Wissenschaft und Aufklärung zu propagieren. Dann überlege ich, daß die moderne Dummheit ihre geheimnisvolle Nützlichkeit hat und daß dasjenige, was zum Schlechten hätte führen sollen, durch einen geheimnisvolten Mechanismus sich zum Guten wendet. Und ich bewundere bei mir selbst das Treffende meines philosophischen Geistes.

Aber mitten zwischen diesen Abnormitäten gibt es ein Wesen, das lebt. Es ist eine Mißgeburt, die in dem Hause geboren wurde und sich immer auf einem Sockel befindet. Obwohl sie lebt, gehört sie mit zum Museum. Sie ist nicht häßlich, das Gesicht ist sogar ganz hübsch, sehr sonnverbräunt, von orientalischer Färbung, viel Rosa und Grün darin. Sie hält sich zusammengekauert in einer sonderbaren, verdrehten Stellung. Außerdem ist etwas Schwärzliches an ihr, das ihren Körper und ihre Glieder vielfach wie eine Schlange umwindet. Ich frage sie, was das eigentlich sei? Sie erklärt mir, daß das ein gräßlicher Fortsatz ist, der von ihrem Kopf ausgeht, etwas Elastisches, wie Kautschuk, und so lang, so unendlich lang, daß, wenn sie es wie einen Haarzopf um ihren Kopf winden wollte, die Schwere nicht zu ertragen wäre, und daß sie deshalb gezwungen ist, diesen Fortsatz um ihre Glieder zu winden, was übrigens auch viel effektvoller sei.

Ich spreche lange mit der Mißgeburt. Sie teilt mir ihre Sorgen und Kümmernisse mit. Seit mehreren Jahren schon ist sie wegen der Neugierde des Publikums genötigt, sich in diesem Saale und auf diesem Sockel aufzuhalten. Das Unangenehmste für sie ist aber. die Abendbrotzeit. Denn da sie ein lebendes Wesen ist, muß sie gemeinsam mit den Mädchen des Hauses soupieren und muß mit diesem furchtbaren kautschukartigen Anhängsel schwankend bis zum Speisesaal gehen, wo sie dann diesen Fortsatz entweder um sich gerollt lassen oder ihn wie ein Paket Stricke auf einen Sessel neben sich zusammenlegen muß; denn lasse sie ihn einfach auf dem Boden nachschleppen, so würde die Schwere ihren Kopf nach hinten reißen. Außerdem muß sie, die kleine, zusammengerollte Mißgeburt, gerade neben einer großen, schön gewachsenen Dirne sitzen. Übrigens gibt sie mir alle diese Erklärungen ohne jede Bitterkeit. Ich wage nicht, sie zu berühren, aber ich interessiere mich für sie.

In diesem Augenblick (das ist kein Traum mehr) macht meine Frau mit einem Möbel ein Geräusch im Zimmer und weckt mich auf. Ich erwache, ermüdet, zerschlagen; Rücken, Beine und Hüften wie zusammengeschnürt. Ich glaube, ich muß in der verdrehten, zusammengerollten Stellung der Mißgeburt geschlafen haben. Ich weiß nicht, ob Sie all das ebenso komisch finden wie ich.  - Charles Baudelaire, nach (je)

Museum (2) Beim ersten Schritte den schönen Dingen entgegen nimmt eine Hand mir den Stock weg, untersagt mir ein Anschlag das Rauchen.

Durch die obrigkeitliche Gebärde und das Gefühl, unter Zwang zu stehen, schon zu Eis geworden, betrete ich einen Raum mit Plastiken, darin kaltes Durcheinander herrscht. Eine blendend weiße Büste wird zwischen den Beinen eines Ringkämpfers aus Bronze sichtbar. Die Gelassenheit und die Heftigkeit der Bewegungen, das Getändel, das Gelächel, die Verkrampfungen, gewagteste Gleichgewichtsakte setzen in meinem Gemüte ein unerträglich quälendes Mosaik von Eindrücken zusammen. Ich stehe inmitten eines Aufruhrs eingefrorener Kreaturen, deren jede einzelne, — ohne daß es ihr gewährt würde — nach dem Nichtvorhandensein aller anderen schreit. — Und dabei rede ich noch nicht einmal von dem Chaos all dieser Ausmaße ohne gemeinsamen Maßstab, dem unvorstellbaren Gemenge von Riesen und Zwergen, noch auch von jener vereinfachenden Darstellung des Ganges der Entwicklung, die uns solch eine Ansammlung vollendeter und unvollendeter, verstümmelter und restaurierter Wesen, von Ungeheuern und feinen Herren darbietet...   - Paul Valéry, Über Kunst. Frankfurt am Main 1959 (BS 53, zuerst ca. 1935)

Museum (3)  Neben den grasenden, nickenden und schmatzenden lebensgroßen Dinos hat das Museum auch einen gigantischen Nachbau der Arche Noah zu bieten - jenem Schiff, mit dem Noah ein Männchen und ein Weibchen jeder Tierart über die Sintflut gerettet haben soll. Die Kreationisten glauben, dass dieses göttliche Wasser nicht nur die Welt überschwemmt, sondern auch den gewaltigen Grand Canyon ausgehöhlt hat - in nur einer Woche. Überhaupt sei die große Flut für viele der Entwicklungen verantwortlich, die Wissenschaftler fälschlicherweise der Eiszeit zuschreiben, meint Mark Looy. Die Berge Täler, Flüsse, alles sei ein Produkt des Wassers, auf dem Noah mit seiner Arche und den vielen Tieren schwamm - natürlich waren auch zwei Dinosaurier an Bord.   - Olivia Schoeller, Berliner Zeitung vom 3. Januar 2007

Museum (4) Auf einer Rangliste ausgefallener Museen, die von Weisman Travel Reports, einem Informationsdienst für Reiseveranstalter, aufgestellt wird, landete kürzlich (laut Notiz in der Ausgabe des Philadelphia Inquirer vom 12.. Februar 1995) das Mütter-Museum an vorderster Stelle; auf den nächsten Plätzen (in dieser Reihenfolge) das Barbie-Museum in Palo Alto, Kalifornien; die Ausstellung für Internationale Freundschaft in Myoyangsan, Nordkorea (Geschenke an die politische Führung des Landes); die Abteilung für Tiere mit zwei Köpfen im Naturkundemuseum von Bamberg; das Städtische Museum in Iquitos, Peru (verwesende Leichname); die Ausstellungshalle für kriminelle Handlungen der USA und Tschiang Kai-scheks in Tschungking, China; und das Inquisitionsmuseum in Lima, Peru. Das Menstruationsmuseum in New Carrollton, Maryland, verfehlte einen Listenplatz nur knapp. - (wesch)

Museum (5)

Museum (6)  Wir wollen dieses Land von dem Krebsgeschwür der Professoren, Archäologen, Fremdenführer und Antiquare befreien.

Schon zu lange ist Italien ein Markt von Trödlern. Wir wollen es von den unzähligen Museen befreien, die es wie zahllose Friedhöfe über und über bedecken.

Museen: Friedhöfe!… Wahrlich identisch in dem unheilvollen Durcheinander von vielen Körpern, die einander nicht kennen. Museen: öffentliche Schlafsäle, in denen man für immer neben verhaßten oder unbekannten Wesen schläft! Museen: absurde Schlachthöfe der Maler und Bildhauer, die sich gegenseitig wild mit Farben und Linien entlang der umkämpften Ausstellungswände abschlachten!

Einmal im Jahr mögt ihr dahin pilgern, wie man zu Allerseelen auf den Friedhof geht… das gestatte ich euch. Einmal im Jahr mögt ihr einen Blumenstrauß vor der Mona Lisa niederlegen, …das gestatte ich euch… Aber ich lasse nicht zu, daß man täglich in den Museen unser kümmerliches Dasein, unseren gebrechlichen Mut und unsere krankhafte Unruhe spazierenführt. Warum will man sich vergiften? Warum will man verfaulen?

Mögen also die lustigen Brandstifter mit ihren verkohlten Fingern kommen! Hier! Da sind sie!… Drauf! Legt Feuer an die Regale der Bibliotheken!… Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen!… Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!… Ergreift die Spitzhacken, die Äxte und die Hämmer und reißt nieder, reißt ohne Erbarmen die ehrwürdigen Städte nieder!  - F. T. Marinetti, Futuristisches  Manifest 1909

Museum (7)   

- Ronald Searle, Weil noch das Lämpchen glüht. Zürich (ca.) 2000

Museum (8)  Endlich von den Museen befreit! Die Sammlungen sind dem Geist zuwider, wie der Harem der Liebe. Das Gezänk dieser Sultansdamen fällt einem zur Last. Die Ansammlung so vie­ler Schönheiten ist bedrückend und sinnlos. Die Häufung einzigartiger Gegenstände, Erlesenes in Menge kann nur Händlern gefallen, nur Gefühllose entzücken, die sich für empfänglich halten, und Leichtgläubige. Ein geistreiches Auge sähe in den Galerien keine Besucher, nur lauter umherirrende Adjektive. Schließlich bezweckt der Künstler nur dies: ein Epitheton zu erlangen... Der herbe Geschmack der Schokolade paßt zu diesem leeren Raum, er sagt meiner Stimmung zu. Ein Löffel voll — ein Gedanke — wieder ein Löffel — ein Zug — ein Schluck eiskalten Wassers — und dazu diese Folge von Urteilen: Die Museen sind den Künstlern verhaßt. Sie betreten sie nur, um zu leiden oder zu spionieren, Kriegsgeheimnisse auszuhorchen. Wenn sie es dennoch genießen, so kraft der Grausamkeit, die in ihrer Verachtung liegt. Die schrecklichen Leiden der Künstler-Eifersucht schildern.

Hätte Michelangelo es gewagt, er würde andere vergiftet haben. Sein Auftritt, mit Leonardo. Was alles darin liegt.

Leonardo wachte nur über seinen Ideen eifersüchtig.

Verwundert hörte ich zu, als ein talentierter Mann bei der Nachricht vom Tod — oder vielleicht Wahn­sinn — eines Schriftstellers, der bekannter und ge­feierter war als er, sich zu dem Geständnis hinreißen ließ: Um so besser... Nun bin ich an der Reihe.   - (pval)

Museum (9)

Museum (10)  Ich mißtraue den Museen, besonders, wenn es sich um.Institutionen handelt, die dazu neigen, »alles« zu sammeln und zu katalogisieren. Eine Bibliothek ist pedantisch, aber ehrbar. Sie erhebt nicht den Anspruch, einmalig zu sein. Das Museum pocht aufsein soiitäres, exemplarisches Wesen, seine Unwieder-holbarkeit. Es besteht aus lauter einmaligen Objekten. Jedes Exemplar ist eine Beute: gekauft, ergattert, verschleppt, aufgestöbert, ausgegraben, gestohlen, verdorben, eingetauscht, heimlich entwendet. Voraussetzung für ein Museum ist eine Leidenschaft, die das Verbrechen nicht scheut, ist eine düstere Konzentration und die mythologische Einbildung, man könne einen flachen, abgeschlossenen ptolemäischen Raum aus der runden kopernikanischen Welt herausschneiden. - Giorgio Manganelli, Die Uffizien. nach (enc)

Museum (11)  Die ballonförmigen weißen Laternen erleuchteten die Allee, die sie langsam entlangfuhren, nur spärlich. Eher schienen sie die Dunkelheit zu beiden Seiten noch zu verstärken. Immer wieder tauchte neben einem Baum oder an einer Bank eine gespenstische Figur auf und verschwand langsam wieder im Dunkel hinter ihnen. Manche Gestalten bewegten sich ein wenig, traten in den Lichtschein, so daß man sie erkennen konnte, oder drehten den Kopf ein wenig zur Seite, aber stets wirkten sie wie in regelmäßigen Abständen aufgestellte Statuen. Die Autos, die in einem endlosen Strom die Straße entlangschlichen und sich bisweilen vor einer der bleichen Figuren zu einer 'Warteschlange formierten, verstärkten den Eindruck eines verrückten Museums, in dem es keinen Katalog gab und höchstens eine Taschenlampe, um sich zurechtzufinden.  - Magdalen Nabb, Tod einer Queen. Zürich 1994

Vergangenheit Sammlung
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Archiv
Synonyme