Kapern  Ein ziemlich abgetakeltes Schiff mit geflickten Segeln hält auf Millemosche zu, der immer noch auf dem Baumstamm mitten im Meere sitzt. Das Schiff ist voll mit sarazenischen Piraten, und daß es sich um sarazenische Piraten handelt, merkt man alsogleich an ihren Gesichtern, ihren Bewegungen, ihrer Art zu sprechen, an den Lumpen, welche sie am Leibe tragen, und an den langen Dolchen, die sie mit großer Hinterhältigkeit handhaben. Zu anderen Zeiten hätte Millemosche alles getan, um zu fliehen, allein, hier ging es um die Frage, ob er den Tod durch Ertrinken erleiden oder von Haifischen aufgefressen werden würde. Dann sind Piraten schon besser. Er meint sogar, gehört zu haben, daß es herzensgute Piraten gäbe, die über die Meere segeln, um die zu retten, welche Schiffbruch erlitten, und wenn er es zufällig doch nicht so gehört haben sollte, ist es ihm nun lieb, dieser Art zu denken. Er sendet große Zeichen der Freundschaft zu dem sarazenischen Piratenschiffe hinüber und ruft mit dem bißchen Stimme, das ihm verblieben ist. »Ziehet mich hinauf und errettet mich. Ich bin bis oben an voll Goldes.«

Das Wort ›Gold‹ hat die Eigentümlichkeit, daß man es auch noch in großer Entfernung und inmitten des tosenden Lärmes der Wellen höret. Man hört es auch, wenn der Wind geht oder Nebel herabfällt oder ein Gewitter losdonnert. Es ist das klangvollste Wort, das es gibt, und es hat einen schönen Klang bei allen Menschen auf der ganzen Welt, für Piraten aber ist es wie ein magischer Anziehungspunkt. Sie kommen alle herbeigelaufen, um jenen sonderbaren Menschen zu sehen, welcher sich an einem Baumstamme festklammert, rufen den Oberpiraten herbei und bereden sich untereinander. »Er sagt, er sei bis oben an voll Goldes.« »Aber er ist doch halb nackigt!« »Dann wird ers in seinem Gedärme haben.« »Dann ziehen wir ihn also herauf und machen uns ein Vergnügen daraus, ihm den Bauch aufzuschlitzen. Vielleicht ist er ja wirklich voll Goldes.«

»Lassen wir ihn, wo er ist, so fressen ihn die Fische. Immerhin können wir ihn nicht essen.« »Und warum nicht? Das Fleisch eines Christenmenschen ist gar köstlich, es ist so ähnlich wie das vom Kaninchen.« Zu seinem Glücke versteht Millemosche kein Wort. Einer der Piraten wirft ins Wasser ein Seil. Gleich klammert er sich daran, doch als er nahe beim sarazenischen Piratenschiffe ist, hat er die Kraft nicht mehr, um emporzuklettern. Da nun schnürt er sich den Strick um die Hüfte und macht den Piraten ein Zeichen, sie sollen ihn hochziehen. Doch alsobald er seinen Fuß aufs Schiff gesetzt, wirft Millemosche sich fast schon wieder ins Wasser zurück. Entsetzt von den durch Pocken zerstörten Gesichtern blickt er um sich und begreift, daß er in einem anderen Meere von Schwierigkeiten ist. Was tun? Wollen wir uns noch einmal ins Wasser stürzen? Millemosche erinnert sich, daß auch er eine Waffe besitzt, und zwar eine viel schlimmere als einen Dolch, ein Schwert oder eine Hellebarde: die Glocke, die immer noch um seinen Fuß gebunden ist. Da nun hebt er das Bein und beginnt es mit aller Kraft zu schütteln, die ihm verblieben ist.

»Ich hab die Lepra! Ich hab die Lepra! Fliehet, das ist besser für euch! Ich bin verfault durch die Lepra vom Kopf bis an die Fuß!«

Millemosche beginnt von einer Seite zur anderen zu laufen, die Piraten verfolgend, die damit begonnen haben, sich lieber nacheinander ins Wasser zu stürzen, als sich von einem Leprakranken berühren zu lassen. Der sarazenische Oberpirat wirft ein Messer nach ihm. Wie durch ein Wunder gelingt es Millemosche, ihm auszuweichen, dann läuft er wieder den wenigen nach, die noch auf dem Schiffe verblieben sind, doch am Ende stürzen auch sie sich ins Wasser und schicken ihm einhunderttausend Flüche und Verwünschungen auf sarazenisch hinauf.

Allein geblieben, läuft Millemosche hierin und dorthin, um das Steuerrad zu suchen, allein, er findet es nirgends.   - Luigi Malerba, Tonino Guerra: Von Dreien, die auszogen, sich den Bauch zu füllen. Berlin 1996 (zuerst 1969)

 

Pirat Schiff Erwerb

 

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