wiegespräch
Es gab hier und da eine Stimme, die, ohne sich zu erheben und öffentlich
aufzutreten, meinte, die wirklichwahren Zwiegespräche würden in der Zwischenzeit
anders geführt, z. B. als Monologe, denen das Gegenüber,
welches auch eine Mehrheit, ein regelrechtes Publikum sein könne, nichts als
Auge und Ohr sei, als Erzählen und Zuhören, Zuhören und Weitererzählen, Weiter-Zuhören
und Weiter-und-immer-weiter-Erzählen. Und das inständigste Zwiegespräch (das
freilich nichts und noch einmal nichts sei für gleichwelches Publikum) geschehe
heutzutage, insbesondere heutzutage!, wortlos, nicht im stummen Augenspiel,
sondern im Zusammenspiel deines und meines Geschlechts, dem nicht bloß wort-,
sondern womöglich fast lautlosen, dafür umso beredteren und nachdrücklicheren,
wobei ich ein jedes meiner Gesprächsbruchstücke mit mehr als bloß meinen sämtlichen
Sinnen auf dich übertrage und im Gegenzug wiederum ein jedes deiner Gesprächsfragmente
mit mehr als bloß all meinen Sinnen mir einverleibe? ja, mir einverleibe, und
mir einschreibe von Alpha bis Omega: ein Zwiegespräch, oder meinetwegen ein
Dialog so nachhaltig wie, wenigstens heutigentags oder damals zu der Zeit, da
diese Abenteuergeschichte spielt, kaum einer; eine Dialog-Erzählung, von der
keine, auch nicht eine noch so winzige der wechselseitig erzählten Episoden
- gegen Ende des Erzählens immer inständiger in Frage-Antwort-Antwort-Frage-Antwort-Antwort-Form
- je vergessen werden wird; unvergeßlichstes unter den Zwiegesprächen unseres
Lebens; nicht löschbar aus deinem wie meinem Gedächtnis, auch wenn wir später
wieder Fremde oder gar Feinde
sein werden. - Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002
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