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Zuhören

- Charles M. Schulz, Very funny, Charlie Brown. London 1969 (Hodder Fawcett Coronet Books, zuerst ca. 1956)

Zuhören (2)  Lina betrat das Haus sehr leise. Niemand sollte wissen, daß sie zurück war. Sie wollte in ihr Zimmer hinaufgehen und nachdenken. Bis jetzt war sie unfähig dazu gewesen.

Die Salontür stand einen Spalt auf, und sie hörte Stimmen. Sie blieb unwillkürlich stehen und horchte.

Johnnie und Janet. Anfangs achtete Lina gar rücht darauf, was sie sagten.

»Darling, natürlich kannst du zum Tee bleiben. Du hast doch nicht wissen können, daß sie nicht da ist.«

»Aber es sieht nicht gut aus. Man erzählt es ihr bestimmt.«

»Das macht doch nichts, meine kleine Janet. Ich kenne dich schließlich gut genug, um dich bitten zu können, mir Gesellschaft zu leisten.«

»Aber ich kann dich doch angeblich nicht leiden. O Johnnie, wie schwer mir das gefallen ist in den letzten Monaten.«

»Meine geliebte Janet!«

Das Geräusch von Küssen.

»Am nächsten Mittwoch, das ist doch sicher, oder?« fragte Johnnie.

»Ja, aber .. .«

»Aber was, mein Liebes?«

»Ich habe solche Angst, daß es eines Tages herauskommt. Ich kenne doch so viele Leute in Bournemouth. Und du ebenso.«

»Aber mein Kleines, solange wir nicht zusammen in das Appartement gehen, kann uns nidits passieren. Wirklich. Abgesehen davon — du willst doch auch, oder?«

»Johnnie! Wie kannst du so etwas fragen?«

»Ich wollte nur dein entsetztes Gesicht sehen.«

Lina schlich die Treppe hinauf.  - Francis Iles, Vor der Tat. München  1932 (zuerst 1932)

Zuhören (3)  Schilasky interessiert sich für Gedichte. Da beginnt Todd zu erzählen. Von der kleinen Diseuse im Cabaret, nachher habe er sie eingeladen, gerade am Tag, wo er den falschen Check eingelöst habe. Sie sei ganz einsam in der Bar gesessen, niemand habe sich getraut, sie anzureden, denn ihr Ausdruck sei sehr abweisend gewesen. Übrigens, sie habe gut rezitiert. Auch ein anderes. Todd wisse nicht, warum er die Gedichte behalten habe. Er habe die Kleine in der Nacht noch gebeten, sie zu wiederholen. Es sei sehr komisch gewesen. Sie sei nackt auf dem Bett gelegen, ganz kleine Brüste habe sie gehabt und die Verse gegen die Decke des Zimmers gesprochen. Es sah aus, als bete sie einen Rosenkranz. Wirklich. Ja, Schilasky lache, aber es sei trotzdem so gewesen. Todd schiebt den Unterkiefer vor und schweigt.

Schilasky hat einen horchenden Ausdruck. Sein hölzernes Gesicht bekommt Leben. Während er sich mit gebeugten Knien vorwärtsschiebt, legt er den Kopf schier anmutig auf die Schulter, um den Worten des Kameraden zu lauschen.

«Ja», sagt er, wie der andere schweigt, «in Berlin bin ich auch oft ins Cabaret gegangen, mit meinem kleinen Freund. Ein lieber Junge war's, sage ich dir. Und konnte so schön Gitarre spielen und Lieder dazu singen. ‹Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht›», singt er plötzlich mit hölzerner Stimme, die abgehackt klingt, wie ein Xylophonsolo. «Du kennst doch das Lied?»

Todd nickt. Es tut so gut zu sprechen, der Weg rollt viel schneller ab, vorn hebt schon wieder der Capitaine den Arm. Absitzen, wechseln. Sie laufen beide zurück, so schnell sie können, und die Gewehre hüpfen auf ihren Rücken.

Nun reiten sie nebeneinander, obwohl das eigentlich verboten ist. Noch ist der Weg breit, die Berge aber kommen schnell näher. Bis dahin können sie miteinander sprechen, das heißt, jeder kann erzählen, sich selbst erzählen; ob der andere zuhört, ist eine andere Frage.

«Ich habe ihr einen Gin-Fizz angeboten», erzählt Todd. «Zuerst war sie ein wenig zugeknöpft, aber ich sage zu ihr: ‹Wic können Sie so zugeknöpft sein, mein gnädiges Fräulein, Sie haben ja gar keine Knöpfe an Ihrem Kleid›. Weißt du, sie hatte so ein enganliegendes Kleid an, nachher zog sie es einfach über den Kopf. Sie sah wie ein Schulmädchen aus, ein wenig verboten; in ihren Schlupfhosen sah sie wie ein Bub aus. Und frech war sie. Erzählt mir da, sie sei mit zwölf Jahren von ihrem Großvater vergewaltigt worden. Auf einem roten Kanapee. Ja. Hat wohl schauen wollen, was ich dazu sage. Nichts hab ich gesagt. Gelacht hab ich. Und dann war sie so bescheiden. Die Mädels animieren einen sonst zum Trinken. Sie gar nicht. War mit ihrem Gin-Fizz ganz zufrieden. Saß still neben mir und erzählte von einer Bootsfahrt auf dem Vierwaldstättersee. Sie hatte ein Engagement in der Schweiz gehabt; das sei angenehm gewesen, während dem Krieg. Dort hätte sie sich wieder einmal sattessen können.»

Schilasky unterbricht ihn, und nun hört Todd, daß der andere gar nicht aufgepaßt hat, denn er fährt fort, dort, wo er stehengeblieben ist.

«Weißt du, ich hatte ihn auf dem Bahnhof kennengelernt. Am Abend war ich immer auf dem Bahnhof. Natürlich in Zivil. Als Wachtmeister von der Sipo kann man doch nicht in Uniform gehen. Plötzlich gefällt einem ein Gesicht, oder die Bewegung eines Körpers, man geht nach, eine Zeitlang, bis man den Menschen ein wenig studiert hat. Man kriegt Übung. So kleine Anzeichen verraten viel. Irgendein weiches Gehen, ein Schwingen in den Hüften, ein sonderbares Lächeln, untertänige Augen. Ich habe einen guten Blick. Meinem Jungen bin ich ein paar Tage nachgestiegen, bis ich es gewagt habe, ihn anzusprechen. Von den vielen, die ich gehabt habe, war es der einzige, der mir ein wenig Angst gemacht hat, im Anfang. Aber ich glaube, ich wäre eingegangen, wenn es nicht zum Klappen gekommen wäre. Ich hab ihn vom ersten Augenblick lieb gehabt. Er war noch Gymnasiast. Und dann sind die Eltern dahintergekommen. Skandal hat es gegeben. Der Junge hat einen Selbstmordversuch begangen, so sehr hat er an mir gehangen.»

Todd betrachtete Schilasky von der Seite. Immer mehr zerbrach die hölzerne Maske. Das Ohrläppchen, das unter dem Tropenhelm sichtbar war (zierlich geformt war es, wie bei einer Frau), hatte sich gerötet, und auch auf den Backenknochen saßen zwei rote Tupfen.  - (gou)

Zuhören (4) Das Dienstmädchen führte mich in ein kleines Zimmer, in dem er hinter einem großen Tisch auf einem schweren Stuhl saß. Ein Bett stand in der Nähe des Fensters und ein anderer schwerer Stuhl nahe der Tür. Ich setzte mich darauf und sah mir dieses Buddha-Gesicht an, die großen weit auseinanderstehenden Augen, den großen Mund, und das wohlwollende und amüsierte Lächeln. Seine tastende und sanfte Art, Zugang zu mir zu finden, war alles andere als deutsch, und ich wußte sofort, daß hier der geborene Zuhörer und Tröster vor mir saß.  - Charlotte Wolff, Nachwort zu: Franz Hessel, Ermunterung zum Genuß. Berlin 1981

Zuhören (5)  Wahnsinn heißt, niemanden zu haben, der einem zuhört. Größenwahn: Alle hören einem zu.  - (raf)

Zuhören (6)  An der Straßenecke steht ein Schneemann. Neben dem Schneemann steht ein Mann. Neben dem Mann steht ein zweiter Schneemann. Neben dem zweiten Schneemann steht ein zweiter Mann. Die beiden Schneemänner hören zu, worüber die beiden Männer sprechen. Die beiden Männer ahnen das nicht und sprechen wie üblich.  - Günter Bruno Fuchs, Reiseplan für Westberliner anläßlich einer Reise nach Moskau und zurück. Handbuch für Einwohner N° 2. München 1973


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