ragödie   Als ich die dunkle Treppe hinaufging, stieß ich mit dem alten Salamano, meinem Flurnachbarn, zusammen. Er hatte seinen Hund bei sich. Seit acht Jahren sieht man die beiden immer zusammen. Der Spaniel hat eine Hautkrankheit, ich glaube den Brand; er verliert dabei fast alle Haare und ist voll brauner Flecken und Schorf. Weil die beiden dauernd in einem kleinen Zimmer zusammenhausen, sieht der alte Salamano aus wie sein Hund. Er hat rötliche Flechten im Gesicht und schütteres, gelbliches Haar. Der Hund wiederum hat von seinem Herrn dessen gebeugte Haltung angenommen, indem er Schnauze und Hals nach vorne streckt. Sie scheinen ein und derselben Rasse anzugehören und können doch einander nicht ausstehen. Zweimal täglich, um elf und um sechs Uhr, führt der Alte seinen Hund spazieren. Seit acht Jahren machen sie immer den gleichen Weg. Man kann sie in der Rue de Lyon sehen, wo der Hund den Mann so lange zieht, bis der alte Salamano es satt hat. Dann schlägt er auf den Hund ein und beschimpft ihn. Der Hund kriecht vor Angst und läßt sich nun von dem Alten ziehen. Hat der Hund alles vergessen, dann zieht er wieder seinen Herrn und wird wieder geprügelt und beschimpft. Dann bleiben beide auf dem Bürgersteig stehen und sehen einander an, der Hund voller Angst, der Alte voller Haß. So geht das jeden Tag. Wenn der Hund Wasser lassen will, läßt der Alte ihm keine Zeit dazu und zerrt ihn weiter, so daß der Spaniel eine Fahrte kleiner Tropfen hinter sich her sät. Wenn der Hund zufällig einmal ins Zimmer macht, bekommt er wieder Prügel. So geht das nun schon acht Jahre lang. Céleste meint, das sei «eine wahre Tragödie», aber im Grunde weiß das niemand. - Albert Camus, Der Fremde. Reinbek bei Hamburg 1963 (zuerst 1953)

Tragödie (2) Ich bin kein Freund des Theaters, besonders nicht der Tragödie. Ungern lasse ich mir das bißchen Vernunft, das mir Gott oder ein Funktionär von ihm gegeben hat, rauben. Da wird oben dargestellt, wie einer oder eine irgend etwas nicht kann, und das soll ich bewundern oder tragisch finden, wenn sie es nämlich trotzdem durchaus wollen. Als wenn ich bei meiner, sagen wir, Knickebeinigkeit zwei Meter hoch springen wollte oder als wenn jener hochberühmte Mann in einer gewissen Situation einen gewissen Iste - er nennt ihn so - nicht gefügig findet und sich doch anstrengt; auch Casanova ist es ähnlich gegangen. Komisch, traurig, dumm, peinlich. Es ist schon längst gesagt, daß so dumm wie die Helden der Tragödie selten ein Mensch ist, und vielleicht rechtfertigt allein diese Seltenheit ihre Darstellung auf der Bühne. - (poot)

Tragödie (3)  Wenn sich hier eine Fähigkeit offenbart, zu schockieren und die Leblosen aus ihrem tiefen Schlaf zu schrecken, so wollen wir uns dazu beglückwünschen: denn die Tragödie unserer Welt besteht gerade darin, daß nichts mehr imstande ist, sie aus ihrer Lethargie aufzuscheuchen. Es gibt keine heftigen Träume mehr, keine Erquickung, kein Erwachen. In der Betäubung, die die Selbsterkenntnis erzeugt hat, gehen Leben und Kunst dahin und entgleiten uns.  - Anaïs Nin, Vorwort zu: Henry Miller, Wendekreis des Krebses. Reinbek bei Hamburg 1966 (zuerst 1934)

 

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