chluchzen
»Was ist denn das?«, fragte Brenda. »Was ist das?«
»Eine Schaufensterpuppe.«
»Eine Schaufensterpuppe? Soll das etwa heißen...?«
»Ja, soll es. Ich liebe sie.«
»Oh mein Gott! Du meinst... dieses Ding? Dieses Ding?«
»Ja.«
»Du liebst dieses Ding mehr als mich? Diesen Klumpen Zelluloid, oder was
weiß ich, was für 'n Zeug das ist...? Du meinst, du liebst dieses Ding mehr
als mich?«
»Ja.«
»Ich nehme an, du gehst auch ins Bett mit ihr, hm? Ich nehme an, du machst
so einiges ... mit diesem Ding?«
»Ja.«
»Oh...«
Dann schrie Brenda erst richtig. Sie stand einfach
da und schrie. Robert dachte, sie würde nie mehr aufhören. Dann sprang sie die
Schaufensterpuppe an und begann an ihr herumzureißen und auf sie einzuschlagen.
Die Puppe kippte um und fiel gegen die Wand. Brenda rannte zur Tür hinaus, stieg
in ihren Wagen und raste in wilder Fahrt davon. Sie nahm die halbe Seite eines
geparkten Autos mit, fing ihren Wagen ab und raste weiter.
Robert ging hinüber zu Stella. Der Kopf war abgegangen und unter einen Stuhl
gerollt. Mehliges Zeug lag hier und da am Boden verstreut. Ein Arm hing lose,
gebrochen, zwei Drähte standen heraus. Robert setzte sich auf einen Stuhl. Er
saß einfach da. Dann stand er auf und ging ins Badezimmer,
blieb dort eine Minute stehen, kam wieder heraus. Vom Flur aus konnte er den
Kopf unter dem Stuhl liegen sehen. Er begann zu schluchzen. Es war schrecklich.
Er wußte nicht ein noch aus. Er erinnerte sich, wie er seine Mutter
und seinen Vater begraben
hatte. Doch das hier war anders. Das hier war anders. Er stand da im Flur, schluchzte,
wartete. Stellas Augen, groß, cool und schön, starrten ihn an. - Charles Bukowski,
Die Stripperinnen vom Burbank & 16 andere Stories. Frankfurt am Main 1980
(zuerst 1975)
Schluchzen (2) Unter völliger Stille der Menschen
fängt der Vorbeter das alte Kol-nidre-Gebet an. Er
ist weißbärtig, untersetzt, hat einen weißen Mantel an, darüber liegt sein Gebetsmantel.
Ein Käppchen trägt er, das ist aus Samt, mit Goldfäden bestickt. Die Gebetsmäntel
der anderen Männer sind einfach und roh. Einige tragen kunstvolle mit Silberstickereien.
Ganz leise hat der Vorbeter begonnen. Noch einmal singt er dasselbe Gebet, lauter.
Und nun zum drittenmal mit voller klagender Stimme. Mit diesem Ton ist der Abend
gewaltig und machtvoll eingeleitet. Es scheint mir dabei nicht, als ob die Leute
in gleichmäßiger Spannung und Erregung sind. Ich sehe sie hier und da plaudern.
Der kleine Chor tritt in Aktion; die Jungen und die jungen Männer singen ganz
auswendig. Die Vorbeter dirigiert sie selbst; streichelt während des Gesanges
den und jenen Jungen, nickt ihnen zu. Dann kommt eine Stelle, die den Höhepunkt
des Abends bildet. Der weißbärtige Mann hat sich vorbereitend, seinen Gebetsmantel
ganz über den Kopf gezogen. Andere im Saal tun wie er. Das Tuch fällt nach vorn
über seine Stirn; unter dem Kinn drückt er es zusammen. Und was ich dann höre,
was er dann singt, ist ein Widerhall des Jammerns und Stöhnens, das ich morgens
auf dem Friedhof gehört habe. Nun im Gesang. In Inbrunst saugt sich der Mann
ein, wie er sich in sein Tuch zurückgezogen, in Inbrunst, die alle mitnimmt.
Wahrhaftig weint, wahrhaftig schluchzt er. Schluchzen ist zu Gesang geworden,
Gesang vom Schluchzen getragen. Das Lied sinkt in sein Urelement. Er trillert;
die Stimme schleppt sich abwärts von Stufe zu Stufe. Dann wirft er sie verzweifelt
und bettelnd wieder hoch, sie sinkt wehklagend zurück. Und wieder wirft er sie
hoch. Auf die Frauengalerie greift das Weinen über. Wie der Mann im Jammern
und Drängen nicht nachläßt, sich steigert, geben sie oben ganz nach. Ihr Weinen
wird lauter, heller und übertönt seines. Ein wirklich angstvolles allgemeines
Weinen hat sich zuletzt ausgebreitet, das den Raum durchschallt. Dumpf und tief
singen die Männer in ihren Mänteln und wiegen sich. Nach rückwärts ist der Kopf
des bärtigen alten Mannes gebogen, die Augen sind geschlossen. Die Tränen fließen
ihm sichtbar über die Backen. Dann wird er stiller. Feierliche Gesänge kommen,
auch seltsame wie freudige Lieder. Und zum Schluß, wie alles aus ist und sie
schon gehen, intoniert einer ein Lied. Und alt und jung, Mann und Frau singen
mit: die stolze, hoffnungsfrohe Hatikwah, die zionistische Hymne. - Alfred Döblin, Reise in Polen. München
1987 (dtv 2428, zuerst 1925)
Schluchzen (3) Schweigend betrachteten der Oberst
und die andern Offiziere den Unglücklichen. Es ist etwas Furchtbares, einen
Mann weinen zu hören. Eine Frau kann mit dem Gaumen schluchzen, oder mit den
Lippen, oder sonstwie, aber ein Mann schluchzt aus dem Zwerchfell herauf - es
zerreißt ihn. -
Rudyard Kipling, Der Ausgelöschte. Nach
(ki)