ebet    »Glauben?« wackelt der Rabbi heraus. — »Was nutzt mir der Glauben ohne Wissen

»Ihr seid ein Jud, Rabbi«, fährt es mir heraus.

Der Rabbi funkelt mich an: »Ä Jüd. Wahr gesprochen, Euer Ehren. — Warum fragt Ihr dann einen Juden um die... Geheimnisse?! — Beten, Euer Ehren, ist überall in der Welt nur eine Kunst.« »Da habt Ihr gewiß die Wahrheit gesprochen, Rabbi«, — sage ich und verbeuge mich, denn mein verfluchter Christenhochmut reut mich. Der Rabbi lacht nur mit den Augen. »Schießen könnt ihr Gojim mit der Armbrust und mit dem Gewehr. Ä Wunder, wie ihr zielt und trefft! Ä Kunst, wie ihr schießt! Aber könnt ihr auch beten? Ä Wunder, wie ihr da falsch zielt und wie selten ihr ... trefft!«

»Rabbi! Ein Gebet ist doch keine Kugel aus dem Rohr!«

»Wieso nicht, Euer Ehren? Ein Gebet ist ein Pfeil in Gottes Ohr! Wenn der Pfeil trifft, so ist das Gebet erhört. Jedes Gebet wird erhört, — muß werden erhört, denn das Gebet ist unwiderstehlich,... wenn es trifft.« »Und wenn es nicht trifft?«

»Dann fällt das Gebet wie ä verlorener Pfeil wieder herunter, trifft manchmal noch was Falsches, fällt auf die Erde wie Onans Kraft — oder... es wird abgefangen vom ›Andern‹ und seinen Dienern. Die erhören dann das Gebet auf... ihre Weise!«

»Von welchem ›Andern‹?« frage ich mit Angst im Herzen.

»Von welchem ›Andern‹?« äfft der Rabbi. »Von dem, der immer zwischen Oben und Unten wacht. Vom Engel Metatron, dem Herrn der tausend Gesichter...« - Gustav Meyrink, Der Engel vom westlichen Fenster. München 1984 (zuerst 1927)

Gebet (2)

mit sieben hing mein leben an einem faden, als ich nach masern wassersucht und nierenentzündung mit urämischen erscheinungen bekam und wochenlang auf dem bauch liegen und alles ohne salz essen mußte, aber es kam dann nicht wie mit dem kleinen guido über den ich ein buch gelesen hatte das seine mutter geschrieben hatte um für alle aus ihm einen kleinen heiligen zu machen, sondern meine mutter betete mich gesund und hatte auch ein fläschen mit lourdes-wasser für mich besorgt, obwohl sie gewußt haben mußte warum wir zum abendgebet immer sagten: laß mich lieber sterben als eine todsünde begehn, wozu damals noch die gelegenheit bestanden hätte, und keiner hätte dann jemals von meinen gedichten erfahren, die ja die meisten erst viele jahre später kamen, und es hätte keine lücke gegeben und niemand hätte etwas gefehlt.

hernals

oh scheiße, ich habe gestern
mein abendgebet vergessen
aber heut früh wirst du es, lieber gott
auch noch akzeptieren

"lieber gott, laß mich eher sterben
als eine todsünde begehen"

wie es eben jetzt geschehen könnte
denn es ist sonntag
und ich habe nicht die absicht zur messe zu gehen
was eine todsünde ist
sondern bleibe im warmen bett
um noch ein bißchen zu onanieren
was ebenfalls eine todsünde ist
wie meine mutter mir erklärt hat
eh man sie begraben hat
auf dem hernalser friedhof
hoch über der stadt, meinem geliebten
wien.

seltsam, wie oft
er mein gebet schon nicht erhört hat.

- Ernst Jandl - aus dem wirklichen leben

Gebet (3)  Was die Leichenschmäuse angeht, so verzeih mir Gott, denn ich bin ja mein Lebtag kein Feind des Menschengeschlechts gewesen außer damals, weil wir bei solchen Gelegenheiten gut aßen und die Leute mich fütterten, bis ich nicht mehr konnte. Darum wünschte ich sie mir inständig und flehte sogar zu Gott, er möge jeden Tag jemand sterben lassen. Wenn wir einem Kranken das Sakrament reichten und besonders wenn wir ihn mit der Letzten Ölung versahen und der Priester die Anwesenden zum Beten aufforderte, so war ich mit meinem Gebet gewiß nicht der letzte, und mit ganzem Herzen und in heißem Verlangen trug ich dem Herrn mein Anliegen vor, - nicht, daß er dem Kranken nach seinem heiligen Willen tue, wie man zu sagen pflegt, sondern daß er ihn aus dieser Welt zu sich nehme; kam einer doch davon, so wünschte ich ihn - Gott rechne mir's nicht an! - tausendmal zum Teufel, dem aber, der starb, gab ich ebenso viele Segenswünsche mit ins Grab.

Die ganze Zeit jedoch, als ich bei dem Priester diente, sechs Monate ungefähr mögen's gewesen sein, gingen nur zwanzig Menschen mit dem Tode ab, und die habe sicherlich ich umgebracht, oder vielmehr, sie starben auf mein flehentliches Bitten, denn da der Herr mich unter Qualen langsam zugrunde gehen sah, mag es ihm gefallen haben, sie sterben zu lassen, um mich am Leben zu erhalten. Doch nichts vermochte in jener Zeit meinen Leiden Einhalt zu tun; wenn ich am Tage, wo wir einen zu Grabe trugen, mich meines Lebens freute, so knurrte mir der Magen desto ärger, wenn es keinen Toten gab und ich, schon halb an die Schwelgerei gewöhnt, wieder an meinem alten Hungertuch nagte. So fand ich nirgends Linderung außer im Tode, und oft wünschte ich ihn mir nicht weniger sehnlich als den andern. Aber er holte mich nicht, obwohl er mich immer beim Kragen hatte.- Lazarillo von Tormes, nach (schel)

Gebet (4)  «Ich bin Anarchist! Und als besten Beweis habe ich eine Art rächendes soziales Gebet verfaßt, über das du mir gleich deine Meinung sagen wirst: Die goldenen Flügel! So heißt es!» Und ich trage ihm vor:

«Ein Gott, der die Minuten und die Groschen zählt, ein verzweifelter Gott, sinnlich und mürrisch wie ein Schwein. Ein Schwein mit goldenen Flügeln, das überall herunterfällt, den Bauch nach oben, bereit, Liebkosungen zu empfangen, das ist er, das ist unser Herr. Umarmen wir uns!»

- (reise)

Gebet (5)  Gebet meines Vetters de Villedeuil:

»Mach doch, lieber Gott, daß mein Urin weniger Zucker enthält, mach', daß mich die kleinen Fliegen nicht mehr in den After stechen, mach', daß ich am Leben bleibe, um noch hunderttausend Francs zu verdienen, mach', daß der Kaiser bleibt, damit meine Einkünfte steigen, mach', daß die Hausse in Anzin-Kohlen anhält.«

Die Magd las ihm das jeden Abend vor, und er wiederholte es mit gefalteten Händen.

Grotesk? Grausig? Ja? Und im Grunde, was ist es? Das Gebet ganz nackt und unverfälscht! -(gon)

Gebet (6)  «Wollen mal sehen, was diese wahrhaft coolen Moslems zu bieten haben», sagte Grave Digger.

«Abzählen, ihr Scheichs», befahl Coffin Ed.

Sie hatten den Fall abgeschlossen, noch ehe die Streifenwagen eingetroffen waren. Die stetig drohende Gefahr eines Aufruhrs war überwunden. Sie waren mit sich zufrieden.

«Gelobt sei Allah», rief der größte der Araber.

Wie in der Befolgung eines Rituals antworteten die anderen mit «Mekka» und verneigten sich tief mit ausgestreckten Armen.

«Spart euch das Theater und bleibt gerade stehen», sagte Grave Digger. «Wir nehmen euch als Zeugen fest.»

«Wer spricht das Gebet?» fragte der Führer mit gesenktem Kopf.

«Ich spreche das Gebet», erwiderte einer.

«Dann bete zu dem großen Ungeheuer», befahl der Führer.

Der eine, der das Gebet sprechen sollte, drehte sich langsam um und präsentierte Coffin Ed seine weißverhüllte Rückseite. Ein Laut wie das Bellen eines Hundes ertönte von seinem Hinterteil.

«Allah sei gepriesen», intonierte der Führer, und die weiten Ärmel der Gewänder aller anderen flatterten respondierend.

Coffin Ed begriff das Ganze erst, als Sonny und seine Freunde in Gelächter ausbrachen. Dann verzerrte sich sein Gesicht in schwarzer Wut.

«Halunken!» brüllte er heiser. Er versetzte dem sich verneigenden Araber einen Tritt, daß er sich überschlug, und richtete drohend seinen Revolver auf ihn.

«Langsam, Mann, langsam», sagte Grave Digger und versuchte ein unbewegtes Gesicht zu zeigen. «Du kannst doch nicht auf einen schießen, nur weil er dich anfurzt.»

«So, du Ungeheuer», schrie ein dritter Araber, der plötzlich eine Flasche in der Hand hatte, deren Inhalt er Coffin Ed entgegenspritzte. «Dufte süß!»

Coffin Ed sah das Blinken der Flasche, die spritzende Flüssigkeit. Er duckte sich und riß seinen Revolver hoch.

«Das ist doch nur Parfüm», schrie der Araber entsetzt.

Aber in Coffin Eds Kopf rauschte das Blut so laut, daß er ihn nicht hörte. Er dachte nur an einen Gangster namens Hank, der ihm einmal Säure ins Gesicht geschleudert hatte. Und jetzt sah es so aus, als ob ihn  wieder einer mit Säure bespritzte. Die aufwallende, brennende Wut verwandelte sein Gesicht zu einer Maske, seine zernarbten Lippen entblößten zusammengebissene, fletschende Zähne.

Er feuerte rasch hintereinander zwei Schüsse ab. Der Araber mit der halbvollen Parfumflasche in der Hand sagte leise «Oh» und sank langsam auf das Pflaster.  - Chester Himes, Heiße Nacht für kühle Killer. Reinbek bei Hamburg 1969  (zuerst 1859)

Gebet (7) Bebuquin wandte sich vom Fenster ab, der Mond schien ihm sein erstauntes Loch in den Rücken, er setzte sich hin, schaute auf seine Hände, die noch nie gearbeitet hatten, und sprach lange.

»Gleichgültigkeit, woraus bist du wohl gewebt, war die allzu große Empfindlichkeit dein Ursprung, oder die Kraft, die der opulenten Natur gleichkommt? Ich sah schon viele aus Gleichgültigkeit die absonderlichsten Kapricen begehen, und schon mancher war es aus Furcht vor der eigenen Wut. O Erstarrnis, stagnierender Tod; Versteinerung und Schlaf, ihr fristet uns das Leben, das sich wütend aufbrauchte ohne eure Hemmung. O Krankheit, komme, nur du kannst mir Grenzen geben, Gott, laß mich einen ungeheuren Schmerz empfinden, damit der Geist paralysiert werde; oder vielleicht, o Hoffnung, schafft die Krankheit einen neuen Körper, fähig zu den sonderlichen Dingen, deren ich bedarf.

Herr, ich weiß, am Ende eines Dinges steht nicht sein Superlativ, sondern sein Gegensatz, und die Erkenntnisse gehen zum Wahnsinn. Ich bin geschaffen zu erkennen und zu schauen, aber Deine Welt ist hierzu nicht gemacht; sie entzieht sich uns; wir sind weltverlassen. Suchen wir Dich, o Gott, dann sterben wir in der lautlosen Erstarrung, und es ist keine Erkenntnis, sondern Du bist das Ende.

Herr, laß mich einmal sagen, ich schuf aus mir.

Sieh mich an, ich bin ein Ende, laß mich eine unabhängige Tat, ein Wunder tun.

O Nacht der Verwandlung, wann kommst du, wo ich diesen Körper vergesse, ja, ihn abstreife, und die Dinge anderes bedeuten und anderes sind, denn je sonst; die Glieder werden selbständig, die Teile beginnen zu reden. Die Auflösung, sie ist die Verwandlung und sei mir ein Anfang.«  - (beb)

Gebet (8) »Sie hielten mich zwei Wochen unter Verschluß - keine Zigaretten, nichts zu lesen, kein Radio. Bloß diese Nigger, die / mich jeden Tag bearbeiten. Die wurden nie müde, Burke - als würden sie die elende Scheiße verflucht lieben. Rumzuschrein, wie sie schwangere weiße Frauen aufschneiden und ihnen das Baby rausziehn. Eines Tages wurde es echt leise. Ich bin nicht draufgekommen. Der Kapo kommt mit dem Kaffee. Er hatte 'ne Notiz für mich - ein gefaltetes Stück Papier. Ich hab es aufgemacht - drinnen war ein großer, dicker Klumpen weißes Zeug. Niggerwichse. Mir wurde schlecht, aber ich hatte Angst zu kotzen - Angst, sie würden mich hören. Dann flüstert mir einer von ihnen was zu - es war so leise, daß es klang, als war's in der nächsten Zelle. >Lutsch es rein, weißer Junge! Lutsch alles rein, Muschi! Morgen ham wir Hof, du Sack. Der Mann läßt uns alle raus, verstehste mich? Lutsch alles auf, sag mir, dasses gut war!< Das sagt er immer zu zu mir, und alles, woran ich denken konnte, war, daß es in der lausigen kleinen Zelle keine Chance gab, mich selber umzubringen. Ich wollte bloß noch sterben. Ich hab mich selber bepißt - ich dachte, sie könnten's alle riechen.«

Jetzt zitterte Bobby stark. Ich legte meine Hand auf seine Schulter, doch er war gefangen in seiner Furcht. »Ich fiel auf die Knie. Ich betete mit allem, was ich hatte. Ich betete zu Jesus - Zeug, an das ich nicht mehr gedacht hab, seit ich ein Junge war. Wenn ich nichts sagte, wäre ich tot - schlimmer als tot. Ich schaute auf das Papier mit der Niggerwichse drauf. Ich ging in mich - ich dachte drüber nach, wie es sein müßte. Und ich fand einen Weg, wie ein Mann zu sterben - alles, was ich wollte. Ich bin aufgestanden. Ich stand. Meine Stimme war total im Arsch, weil ich solange nichts gesagt hatte, aber es kam gut und deutlich raus. Es war so leise, daß mich jeder hörte. ›Verrat mir dein' Namen, Nigger‹, hab ich zu ihm gesagt. ›Ich will nicht den falschen Nigger umbringen, wenn wir auf den Hof gehn, und für mich schaut ihr Affen alle gleich aus‹. Sobald mir die Worte vom Mund gingen, hab ich mich anders gefühlt - wie wenn Gott in mich gekommen wäre - genauso als hätte ich drum gebetet.« - Andrew Vachss, Strega. Frankfurt am Main und Berlin 1994

Gebet (9) Aladin hob seine Hände, faltete sie zusammen und rief gottergeben: «Es gibt keine höhere Macht noch Gewalt als diejenige Gottes!» Und während er so die Hände faltete, rieb er, ohne es zu bemerken, den Ring, den ihm der Afrikanische Zauberer an den Finger gesteckt hatte und dessen Wirkung er noch nichl kannte. Alsbald stieg ein Geist von schrecklicher Gestalt und mit gräßlichem Gesicht vor ihm aus der Erde empor, bis er mit dem Kopf an die Decke stieß, und sprach folgende Worte: «Was willst du? Hier siehst du mich, bereit, dir zu gehorchen wie ein Sklave und wie ein Sklave all derjenigen, die den Ring an ihrem Finger tragen. Hier siehst du mich nebst allen anderen Sklaven des Ringes.» Zu anderer Zeit und unter anderen Umständen wäre Aladin. der solche Erscheinungen nicht ge­wohnt war, zutiefst erschreckt gewesen und hätte sicher die Sprache verloren. Aber er dachte an nichts anderes als an die große Gefahr, in der er schwebte, und antwortete deshalb ohne Zögern: «Sei wer du willst, bring mich nur von diesem Ort hier fort, wenn du es vermagst.» Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da öffnete sich die Erde und er befand sich außerhalb der Höhle, an eben jenem Ort, zu dem ihn der Zauberer geführt hatte. - Historie von Aladin oder Die wunderbare Lampe. Nach: Tausendundeine Nacht nach Galland (Die Bibliothek von Babel 26, Hg. J. L. Borges)  Stuttgart 1984

Gebet (10)

Glaube

 

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